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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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der Staat sei, der Staat nicht helfen könnte, wenn nicht die übrigen 3'/" Pro¬
cent mit ihren Reichthümern von ihm herangezogen werden dürften, um durch
Geld und Garantie den Arbeiter zu seinem eigenen Unternehmer (?) zu
machen.

Nun hat aber, so fährt diese Auseinandcrscizung fort, gegenwärtig die
Bourgeoisie den Staat in der Hand, und sie ist natürlich nicht so aufopferungs¬
fähig, ihre Capitalien zu Versuchen mit subventionirtcn Arbeiterassociationcn
herzugeben; deswegen muß der Arbeiterstand in der Erkenntniß, daß er eigent¬
lich der Staat ist, mit allen seinen Kräften dahin streben, auch die maßgebende
Stimme im Staate zu werden. Dieses Ziel, dieser Staat des vierten Stan¬
des ist aber nur durch Einführung des allgemeinen und directen Wahlrechtes
zu ermöglichen. Wenn dieses erste Ziel erreicht sein wird, dann werden die
Forderungen der arbeitenden Classen in den gesehgebenden Körpern erhoben
werden, "dann werden die unbemittelten Classen der Gesellschaft es jedenfalls
nur sich selbst und ihren schlechten Wahlen zuzuschreiben haben, wenn und so
lange die Vertreter ihrer Sache in der Minorität bleiben."

Den Schluß des offenen Briefs, der, wie man sieht, nur eine vermehrte
Auflage der Weltvcrbcsserungsthcorie ist, welche der Schneider Weitling vor
dreizehn Jahren predigte, bildet die Aufforderung zur Agitation für das all¬
gemeine und directe Wahlrecht. Zur Unterstützung und Ausbreitung derselben
fordert Herr Lassalle die Bildung eines allgemeinen deutschen Arbeitervereins,
dessen Aufgabe unablässiges Dcbattiren und Discutircn in öffentlichen und pri¬
vaten Zusammenkünften über die Nothwendigkeit des allgemeinen Wahlrechtes
sein soll. Seine Mittel -- bei hunderttausend Mitgliedern und einem Silber-
groschen Wochenbeitrag von jedem, niedrig angeschlagen 100,000 Thaler jährlich
-- müssen dazu verwendet werden, Flugschriften unter der Arbeiterbevölkerung zu
verbreiten, Zeitungen zu gründen, welche täglich dieselbe Forderung erheben und
Agenten zu besolden, welche dieselbe Einsicht in alle Winkel des Landes tragen,
"das Herz eines jeden Arbeiters, eines jeden Häuslers und Ackerkncchts mit
demselben Ruf durchdringen," und so in wenig Jahren die obigen 89 bis V6
Procent, also die gesammte unbemittelte Classe zur Ueberzeugung bringen, daß
das allgemeine Wahlrecht "eine Magenfrage" für sie ist. Der Bethätigung
dieser Ueberzeugung kann nichts widerstehen.




der Staat sei, der Staat nicht helfen könnte, wenn nicht die übrigen 3'/» Pro¬
cent mit ihren Reichthümern von ihm herangezogen werden dürften, um durch
Geld und Garantie den Arbeiter zu seinem eigenen Unternehmer (?) zu
machen.

Nun hat aber, so fährt diese Auseinandcrscizung fort, gegenwärtig die
Bourgeoisie den Staat in der Hand, und sie ist natürlich nicht so aufopferungs¬
fähig, ihre Capitalien zu Versuchen mit subventionirtcn Arbeiterassociationcn
herzugeben; deswegen muß der Arbeiterstand in der Erkenntniß, daß er eigent¬
lich der Staat ist, mit allen seinen Kräften dahin streben, auch die maßgebende
Stimme im Staate zu werden. Dieses Ziel, dieser Staat des vierten Stan¬
des ist aber nur durch Einführung des allgemeinen und directen Wahlrechtes
zu ermöglichen. Wenn dieses erste Ziel erreicht sein wird, dann werden die
Forderungen der arbeitenden Classen in den gesehgebenden Körpern erhoben
werden, „dann werden die unbemittelten Classen der Gesellschaft es jedenfalls
nur sich selbst und ihren schlechten Wahlen zuzuschreiben haben, wenn und so
lange die Vertreter ihrer Sache in der Minorität bleiben."

Den Schluß des offenen Briefs, der, wie man sieht, nur eine vermehrte
Auflage der Weltvcrbcsserungsthcorie ist, welche der Schneider Weitling vor
dreizehn Jahren predigte, bildet die Aufforderung zur Agitation für das all¬
gemeine und directe Wahlrecht. Zur Unterstützung und Ausbreitung derselben
fordert Herr Lassalle die Bildung eines allgemeinen deutschen Arbeitervereins,
dessen Aufgabe unablässiges Dcbattiren und Discutircn in öffentlichen und pri¬
vaten Zusammenkünften über die Nothwendigkeit des allgemeinen Wahlrechtes
sein soll. Seine Mittel — bei hunderttausend Mitgliedern und einem Silber-
groschen Wochenbeitrag von jedem, niedrig angeschlagen 100,000 Thaler jährlich
— müssen dazu verwendet werden, Flugschriften unter der Arbeiterbevölkerung zu
verbreiten, Zeitungen zu gründen, welche täglich dieselbe Forderung erheben und
Agenten zu besolden, welche dieselbe Einsicht in alle Winkel des Landes tragen,
„das Herz eines jeden Arbeiters, eines jeden Häuslers und Ackerkncchts mit
demselben Ruf durchdringen," und so in wenig Jahren die obigen 89 bis V6
Procent, also die gesammte unbemittelte Classe zur Ueberzeugung bringen, daß
das allgemeine Wahlrecht „eine Magenfrage" für sie ist. Der Bethätigung
dieser Ueberzeugung kann nichts widerstehen.




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[0342] der Staat sei, der Staat nicht helfen könnte, wenn nicht die übrigen 3'/» Pro¬ cent mit ihren Reichthümern von ihm herangezogen werden dürften, um durch Geld und Garantie den Arbeiter zu seinem eigenen Unternehmer (?) zu machen. Nun hat aber, so fährt diese Auseinandcrscizung fort, gegenwärtig die Bourgeoisie den Staat in der Hand, und sie ist natürlich nicht so aufopferungs¬ fähig, ihre Capitalien zu Versuchen mit subventionirtcn Arbeiterassociationcn herzugeben; deswegen muß der Arbeiterstand in der Erkenntniß, daß er eigent¬ lich der Staat ist, mit allen seinen Kräften dahin streben, auch die maßgebende Stimme im Staate zu werden. Dieses Ziel, dieser Staat des vierten Stan¬ des ist aber nur durch Einführung des allgemeinen und directen Wahlrechtes zu ermöglichen. Wenn dieses erste Ziel erreicht sein wird, dann werden die Forderungen der arbeitenden Classen in den gesehgebenden Körpern erhoben werden, „dann werden die unbemittelten Classen der Gesellschaft es jedenfalls nur sich selbst und ihren schlechten Wahlen zuzuschreiben haben, wenn und so lange die Vertreter ihrer Sache in der Minorität bleiben." Den Schluß des offenen Briefs, der, wie man sieht, nur eine vermehrte Auflage der Weltvcrbcsserungsthcorie ist, welche der Schneider Weitling vor dreizehn Jahren predigte, bildet die Aufforderung zur Agitation für das all¬ gemeine und directe Wahlrecht. Zur Unterstützung und Ausbreitung derselben fordert Herr Lassalle die Bildung eines allgemeinen deutschen Arbeitervereins, dessen Aufgabe unablässiges Dcbattiren und Discutircn in öffentlichen und pri¬ vaten Zusammenkünften über die Nothwendigkeit des allgemeinen Wahlrechtes sein soll. Seine Mittel — bei hunderttausend Mitgliedern und einem Silber- groschen Wochenbeitrag von jedem, niedrig angeschlagen 100,000 Thaler jährlich — müssen dazu verwendet werden, Flugschriften unter der Arbeiterbevölkerung zu verbreiten, Zeitungen zu gründen, welche täglich dieselbe Forderung erheben und Agenten zu besolden, welche dieselbe Einsicht in alle Winkel des Landes tragen, „das Herz eines jeden Arbeiters, eines jeden Häuslers und Ackerkncchts mit demselben Ruf durchdringen," und so in wenig Jahren die obigen 89 bis V6 Procent, also die gesammte unbemittelte Classe zur Ueberzeugung bringen, daß das allgemeine Wahlrecht „eine Magenfrage" für sie ist. Der Bethätigung dieser Ueberzeugung kann nichts widerstehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/342>, abgerufen am 27.09.2024.