Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vorliegenden Berichte die Bewegung den Ministern deshalb über den Kopf,
weil die Polizei schlecht organisirt, die Haltung der Nationalgarde unsicher, die
ganze Besatzung Wiens nur in höchstens 8000 kampffähigen Soldaten bestand,
die wegen des Aufruhrs in Ungarn und des Krieges in Italien nicht vermehrt
werden konnte. Gleichwohl vermochte sich das constitutionelle System nicht
zu halten, weil die drei einflußreichsten Stände Geistlichkeit, Adel und Mittel¬
stand seine Gegner waren, und so trat dann wie von selbst die Reaction
ein, die nach den Aufzeichnungen des Hoskanzlers nichts ist als! "Mißtrauen
in die Richtigkeit der Grundsätze, die zu einem begeisterten Aufschwünge ge¬
führt haben, und Zweifel an der Möglichkeit den Staatsbäu ohne Gefahr
für die gesellschaftliche Ordnung auf diese Grundsätze zu stützen."

Wir, die seit den Octobertagen das Walten der Soldateska, die Voll¬
streckung ihrer Kriegsurtheile, Bachs und Rauschers feine Künste, den Polizei¬
druck auf die öffentliche Meinung und den Schacher mit den Schwarzröcken sahen,
wir, die zum Theil noch die bittern Folgen des Concordatcs fühlen, haben davon
sehr andere Begriffe. Dem Klerus sowohl als einem großen Theil des hohen Adels
war nach wie vor jede Volksvertretung vom Uebel, der Mittelstand war unzufrieden,
weil Handel und Gewerbe darniederlagen, beides beweist aber noch lange nicht,
daß es der Nothschrei hier und die bessere Erleuchtung dort war, die zum Ent¬
schlüsse drängten, Jahre lang einen rücksichtslosen Druck über uns zu verhängen.
Von den Ministern der Krone, die damals am Ruder saßen, wollte keiner mehr^
das zeigte der Erfolg, von einer Beschränkung der absoluten Macht wissen;
sobald es ihnen gelang den Griff des Schwertes festzufassen, nahmen sie keinen
Anstand aufzuräumen mit dem Kartenhaus der Verfassung. Erst die demü¬
thigende Schule verlorener Schlachten, bitterer Enttäuschungen und immer tiefer
sinkenden Credits drängte zur Erkenntniß, daß man den falschen Weg betreten.
Und auch da noch hielten der hohe Klerus und Adel an veralteten Formen,
die ihnen ihre Privilegien verbürgen sollten, fest, ohngeachtet nun die Minister
selbst erklärten, man müsse durch "glückliche politische innere Institutionen"
auf neue Bahnen lenken.

Was uns rettete, war die Entwerthung der Valuta, der drohende Staats¬
bankerott. Um jene widerstrebenden klerikalen und feudalen Elemente zu Para¬
lysiren, räumte man ihnen Ehrenplätze in den Landtagen und ein eigenes
Herrenhaus ein. Was aber durch die Controle des Neicbsraths glücklich er¬
strebt und erzielt wurde, entspricht gerade nur der Ursache seiner Entstehung-
man wurde durch ihn in den Stand gesetzt, den Haushalt besser zu ordnen,
darum stiegen Credit und Valuta.

Fragen wir aber nach den Fortschritten, welche andere constitutionelle
Institutionen, die Beseitigung reaktionärer Organe, die Emancipation von
einer mittelalterlichen Kirche, die Schule und das freie Wort gemacht, so sind


vorliegenden Berichte die Bewegung den Ministern deshalb über den Kopf,
weil die Polizei schlecht organisirt, die Haltung der Nationalgarde unsicher, die
ganze Besatzung Wiens nur in höchstens 8000 kampffähigen Soldaten bestand,
die wegen des Aufruhrs in Ungarn und des Krieges in Italien nicht vermehrt
werden konnte. Gleichwohl vermochte sich das constitutionelle System nicht
zu halten, weil die drei einflußreichsten Stände Geistlichkeit, Adel und Mittel¬
stand seine Gegner waren, und so trat dann wie von selbst die Reaction
ein, die nach den Aufzeichnungen des Hoskanzlers nichts ist als! „Mißtrauen
in die Richtigkeit der Grundsätze, die zu einem begeisterten Aufschwünge ge¬
führt haben, und Zweifel an der Möglichkeit den Staatsbäu ohne Gefahr
für die gesellschaftliche Ordnung auf diese Grundsätze zu stützen."

Wir, die seit den Octobertagen das Walten der Soldateska, die Voll¬
streckung ihrer Kriegsurtheile, Bachs und Rauschers feine Künste, den Polizei¬
druck auf die öffentliche Meinung und den Schacher mit den Schwarzröcken sahen,
wir, die zum Theil noch die bittern Folgen des Concordatcs fühlen, haben davon
sehr andere Begriffe. Dem Klerus sowohl als einem großen Theil des hohen Adels
war nach wie vor jede Volksvertretung vom Uebel, der Mittelstand war unzufrieden,
weil Handel und Gewerbe darniederlagen, beides beweist aber noch lange nicht,
daß es der Nothschrei hier und die bessere Erleuchtung dort war, die zum Ent¬
schlüsse drängten, Jahre lang einen rücksichtslosen Druck über uns zu verhängen.
Von den Ministern der Krone, die damals am Ruder saßen, wollte keiner mehr^
das zeigte der Erfolg, von einer Beschränkung der absoluten Macht wissen;
sobald es ihnen gelang den Griff des Schwertes festzufassen, nahmen sie keinen
Anstand aufzuräumen mit dem Kartenhaus der Verfassung. Erst die demü¬
thigende Schule verlorener Schlachten, bitterer Enttäuschungen und immer tiefer
sinkenden Credits drängte zur Erkenntniß, daß man den falschen Weg betreten.
Und auch da noch hielten der hohe Klerus und Adel an veralteten Formen,
die ihnen ihre Privilegien verbürgen sollten, fest, ohngeachtet nun die Minister
selbst erklärten, man müsse durch „glückliche politische innere Institutionen"
auf neue Bahnen lenken.

Was uns rettete, war die Entwerthung der Valuta, der drohende Staats¬
bankerott. Um jene widerstrebenden klerikalen und feudalen Elemente zu Para¬
lysiren, räumte man ihnen Ehrenplätze in den Landtagen und ein eigenes
Herrenhaus ein. Was aber durch die Controle des Neicbsraths glücklich er¬
strebt und erzielt wurde, entspricht gerade nur der Ursache seiner Entstehung-
man wurde durch ihn in den Stand gesetzt, den Haushalt besser zu ordnen,
darum stiegen Credit und Valuta.

Fragen wir aber nach den Fortschritten, welche andere constitutionelle
Institutionen, die Beseitigung reaktionärer Organe, die Emancipation von
einer mittelalterlichen Kirche, die Schule und das freie Wort gemacht, so sind


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188061"/>
          <p xml:id="ID_81" prev="#ID_80"> vorliegenden Berichte die Bewegung den Ministern deshalb über den Kopf,<lb/>
weil die Polizei schlecht organisirt, die Haltung der Nationalgarde unsicher, die<lb/>
ganze Besatzung Wiens nur in höchstens 8000 kampffähigen Soldaten bestand,<lb/>
die wegen des Aufruhrs in Ungarn und des Krieges in Italien nicht vermehrt<lb/>
werden konnte. Gleichwohl vermochte sich das constitutionelle System nicht<lb/>
zu halten, weil die drei einflußreichsten Stände Geistlichkeit, Adel und Mittel¬<lb/>
stand seine Gegner waren, und so trat dann wie von selbst die Reaction<lb/>
ein, die nach den Aufzeichnungen des Hoskanzlers nichts ist als! &#x201E;Mißtrauen<lb/>
in die Richtigkeit der Grundsätze, die zu einem begeisterten Aufschwünge ge¬<lb/>
führt haben, und Zweifel an der Möglichkeit den Staatsbäu ohne Gefahr<lb/>
für die gesellschaftliche Ordnung auf diese Grundsätze zu stützen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_82"> Wir, die seit den Octobertagen das Walten der Soldateska, die Voll¬<lb/>
streckung ihrer Kriegsurtheile, Bachs und Rauschers feine Künste, den Polizei¬<lb/>
druck auf die öffentliche Meinung und den Schacher mit den Schwarzröcken sahen,<lb/>
wir, die zum Theil noch die bittern Folgen des Concordatcs fühlen, haben davon<lb/>
sehr andere Begriffe. Dem Klerus sowohl als einem großen Theil des hohen Adels<lb/>
war nach wie vor jede Volksvertretung vom Uebel, der Mittelstand war unzufrieden,<lb/>
weil Handel und Gewerbe darniederlagen, beides beweist aber noch lange nicht,<lb/>
daß es der Nothschrei hier und die bessere Erleuchtung dort war, die zum Ent¬<lb/>
schlüsse drängten, Jahre lang einen rücksichtslosen Druck über uns zu verhängen.<lb/>
Von den Ministern der Krone, die damals am Ruder saßen, wollte keiner mehr^<lb/>
das zeigte der Erfolg, von einer Beschränkung der absoluten Macht wissen;<lb/>
sobald es ihnen gelang den Griff des Schwertes festzufassen, nahmen sie keinen<lb/>
Anstand aufzuräumen mit dem Kartenhaus der Verfassung. Erst die demü¬<lb/>
thigende Schule verlorener Schlachten, bitterer Enttäuschungen und immer tiefer<lb/>
sinkenden Credits drängte zur Erkenntniß, daß man den falschen Weg betreten.<lb/>
Und auch da noch hielten der hohe Klerus und Adel an veralteten Formen,<lb/>
die ihnen ihre Privilegien verbürgen sollten, fest, ohngeachtet nun die Minister<lb/>
selbst erklärten, man müsse durch &#x201E;glückliche politische innere Institutionen"<lb/>
auf neue Bahnen lenken.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_83"> Was uns rettete, war die Entwerthung der Valuta, der drohende Staats¬<lb/>
bankerott. Um jene widerstrebenden klerikalen und feudalen Elemente zu Para¬<lb/>
lysiren, räumte man ihnen Ehrenplätze in den Landtagen und ein eigenes<lb/>
Herrenhaus ein. Was aber durch die Controle des Neicbsraths glücklich er¬<lb/>
strebt und erzielt wurde, entspricht gerade nur der Ursache seiner Entstehung-<lb/>
man wurde durch ihn in den Stand gesetzt, den Haushalt besser zu ordnen,<lb/>
darum stiegen Credit und Valuta.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84" next="#ID_85"> Fragen wir aber nach den Fortschritten, welche andere constitutionelle<lb/>
Institutionen, die Beseitigung reaktionärer Organe, die Emancipation von<lb/>
einer mittelalterlichen Kirche, die Schule und das freie Wort gemacht, so sind</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0034] vorliegenden Berichte die Bewegung den Ministern deshalb über den Kopf, weil die Polizei schlecht organisirt, die Haltung der Nationalgarde unsicher, die ganze Besatzung Wiens nur in höchstens 8000 kampffähigen Soldaten bestand, die wegen des Aufruhrs in Ungarn und des Krieges in Italien nicht vermehrt werden konnte. Gleichwohl vermochte sich das constitutionelle System nicht zu halten, weil die drei einflußreichsten Stände Geistlichkeit, Adel und Mittel¬ stand seine Gegner waren, und so trat dann wie von selbst die Reaction ein, die nach den Aufzeichnungen des Hoskanzlers nichts ist als! „Mißtrauen in die Richtigkeit der Grundsätze, die zu einem begeisterten Aufschwünge ge¬ führt haben, und Zweifel an der Möglichkeit den Staatsbäu ohne Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung auf diese Grundsätze zu stützen." Wir, die seit den Octobertagen das Walten der Soldateska, die Voll¬ streckung ihrer Kriegsurtheile, Bachs und Rauschers feine Künste, den Polizei¬ druck auf die öffentliche Meinung und den Schacher mit den Schwarzröcken sahen, wir, die zum Theil noch die bittern Folgen des Concordatcs fühlen, haben davon sehr andere Begriffe. Dem Klerus sowohl als einem großen Theil des hohen Adels war nach wie vor jede Volksvertretung vom Uebel, der Mittelstand war unzufrieden, weil Handel und Gewerbe darniederlagen, beides beweist aber noch lange nicht, daß es der Nothschrei hier und die bessere Erleuchtung dort war, die zum Ent¬ schlüsse drängten, Jahre lang einen rücksichtslosen Druck über uns zu verhängen. Von den Ministern der Krone, die damals am Ruder saßen, wollte keiner mehr^ das zeigte der Erfolg, von einer Beschränkung der absoluten Macht wissen; sobald es ihnen gelang den Griff des Schwertes festzufassen, nahmen sie keinen Anstand aufzuräumen mit dem Kartenhaus der Verfassung. Erst die demü¬ thigende Schule verlorener Schlachten, bitterer Enttäuschungen und immer tiefer sinkenden Credits drängte zur Erkenntniß, daß man den falschen Weg betreten. Und auch da noch hielten der hohe Klerus und Adel an veralteten Formen, die ihnen ihre Privilegien verbürgen sollten, fest, ohngeachtet nun die Minister selbst erklärten, man müsse durch „glückliche politische innere Institutionen" auf neue Bahnen lenken. Was uns rettete, war die Entwerthung der Valuta, der drohende Staats¬ bankerott. Um jene widerstrebenden klerikalen und feudalen Elemente zu Para¬ lysiren, räumte man ihnen Ehrenplätze in den Landtagen und ein eigenes Herrenhaus ein. Was aber durch die Controle des Neicbsraths glücklich er¬ strebt und erzielt wurde, entspricht gerade nur der Ursache seiner Entstehung- man wurde durch ihn in den Stand gesetzt, den Haushalt besser zu ordnen, darum stiegen Credit und Valuta. Fragen wir aber nach den Fortschritten, welche andere constitutionelle Institutionen, die Beseitigung reaktionärer Organe, die Emancipation von einer mittelalterlichen Kirche, die Schule und das freie Wort gemacht, so sind

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/34
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/34>, abgerufen am 27.09.2024.