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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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vereine zusammenfassen, und seine Ziele durch eine rege Agitation zu erreichen
suchen. Als der gedachte Antrag im Comitö die Majorität erhielt, trat sofort
eine Anzahl von Mitgliedern aus, und zu gleicher Zeit zogen sich die Vertrauens¬
männer Prof. Roßmäßler und Advocat Winter von der Sache zurück.

Der Majoritätsbeschluß wurde in einer Versammlung, die ungemein zahl¬
reich besucht war, zur Ausführung gebracht. Dr. Dämmer, zum Viceprästdenten
gewählt, verlas die lassallesche Antwort an das Comite, worauf der Vorsitzende
Vahlteich den auf Mandatniederlegung gehenden Beschluß des Comites mit¬
theilte und äußerst naiv aufforderte, ein neues Comite zur Begründung des
großen deutschen Arbeitervereines zu wählen, wozu er der Versammlung eine
gedruckte Liste mit den betreffenden Namen der passenden Persönlichkeiten habe
zugehen lassen, die man nun durch Acclamation sofort wählen möge.

Wieder fehlte es nicht an warnenden Stimmen, welche den Arbeitern
nahe legten, welchen falschen Weg sie zu gehen im Begriffe seien. Namentlich
motivirte ein Mitglied des früheren Comites, welches infolge der Annahme des
lassallcschen Systems ausgetreten war, seinen Austritt in sehr energischer
Weise und in klarer, jedem Arbeiter verständlicher Fassung, während Professor
Roßmäßler mit Schärfe die Ueberhebung der Träger der neuen Arbciter-
beglückungslehre zurückwies und ihnen jede Berechtigung absprach, sich als Be¬
auftragte des Arbeiterstandes zu betrachten. Die Fortschrittspartei fand warme
Vertheidiger, und die Versammlung, der eine große Anzahl Nichtarbeiter
beiwohnte, welche die den lassallcschen Plänen feindlichen Arbeiter verstärkte,
gab den betreffenden Rednern mit ganz entschiedener Majorität ihren Beifall
kund. Durch allerlei Berichte hinausgezogen, war die Versammlung endlich sehr
zusammengeschwunden, und mit Erstaunen hörte man später, daß der Beschluß,
das gedruckt vertheilte Comite mit Gründung eines deutschen Arbeitervereins im
bekannten Sinne zu beauftragen, mit großer Stimmenmehrheit gefaßt worden sei.

So stehen wir an dem entscheidenden Wendepunkte der gegenwärtigen
deutschen, oder wie wir lieber und richtiger sagen möchten, der leipziger Ar¬
beiterbewegung. Man hatte nun etwas Positives gefunden: die Agitation für
das allgemeine Wahlrecht, mit diesem für überwiegende Vertretung der Arbeiter
auf den Landtagen, und mit dieser wieder für den Versuch, den Staat mit
seinen Mitteln an Geld und Credit den zu schaffenden Arbeiterassociationen
dienstbar zu machen. Die Abenteuerlichkeit des angenommenen Programms
lag auf der Hand, und infolge dessen fanden die Anstifter und Schürer der
Sache in den Arbeiterkreisen nur geringen Anhang. Die Mehrzahl in denselben
begriff eben, daß, angenommen selbst, die Verwirklichung jenes Programms sei
wünschenswert!), diese Verwirklichung nur nach dem schroffsten und entschie¬
densten Bruche mit allen naturgemäß entwickelten Zuständen des Staatslebens
denkbar sein würde.


vereine zusammenfassen, und seine Ziele durch eine rege Agitation zu erreichen
suchen. Als der gedachte Antrag im Comitö die Majorität erhielt, trat sofort
eine Anzahl von Mitgliedern aus, und zu gleicher Zeit zogen sich die Vertrauens¬
männer Prof. Roßmäßler und Advocat Winter von der Sache zurück.

Der Majoritätsbeschluß wurde in einer Versammlung, die ungemein zahl¬
reich besucht war, zur Ausführung gebracht. Dr. Dämmer, zum Viceprästdenten
gewählt, verlas die lassallesche Antwort an das Comite, worauf der Vorsitzende
Vahlteich den auf Mandatniederlegung gehenden Beschluß des Comites mit¬
theilte und äußerst naiv aufforderte, ein neues Comite zur Begründung des
großen deutschen Arbeitervereines zu wählen, wozu er der Versammlung eine
gedruckte Liste mit den betreffenden Namen der passenden Persönlichkeiten habe
zugehen lassen, die man nun durch Acclamation sofort wählen möge.

Wieder fehlte es nicht an warnenden Stimmen, welche den Arbeitern
nahe legten, welchen falschen Weg sie zu gehen im Begriffe seien. Namentlich
motivirte ein Mitglied des früheren Comites, welches infolge der Annahme des
lassallcschen Systems ausgetreten war, seinen Austritt in sehr energischer
Weise und in klarer, jedem Arbeiter verständlicher Fassung, während Professor
Roßmäßler mit Schärfe die Ueberhebung der Träger der neuen Arbciter-
beglückungslehre zurückwies und ihnen jede Berechtigung absprach, sich als Be¬
auftragte des Arbeiterstandes zu betrachten. Die Fortschrittspartei fand warme
Vertheidiger, und die Versammlung, der eine große Anzahl Nichtarbeiter
beiwohnte, welche die den lassallcschen Plänen feindlichen Arbeiter verstärkte,
gab den betreffenden Rednern mit ganz entschiedener Majorität ihren Beifall
kund. Durch allerlei Berichte hinausgezogen, war die Versammlung endlich sehr
zusammengeschwunden, und mit Erstaunen hörte man später, daß der Beschluß,
das gedruckt vertheilte Comite mit Gründung eines deutschen Arbeitervereins im
bekannten Sinne zu beauftragen, mit großer Stimmenmehrheit gefaßt worden sei.

So stehen wir an dem entscheidenden Wendepunkte der gegenwärtigen
deutschen, oder wie wir lieber und richtiger sagen möchten, der leipziger Ar¬
beiterbewegung. Man hatte nun etwas Positives gefunden: die Agitation für
das allgemeine Wahlrecht, mit diesem für überwiegende Vertretung der Arbeiter
auf den Landtagen, und mit dieser wieder für den Versuch, den Staat mit
seinen Mitteln an Geld und Credit den zu schaffenden Arbeiterassociationen
dienstbar zu machen. Die Abenteuerlichkeit des angenommenen Programms
lag auf der Hand, und infolge dessen fanden die Anstifter und Schürer der
Sache in den Arbeiterkreisen nur geringen Anhang. Die Mehrzahl in denselben
begriff eben, daß, angenommen selbst, die Verwirklichung jenes Programms sei
wünschenswert!), diese Verwirklichung nur nach dem schroffsten und entschie¬
densten Bruche mit allen naturgemäß entwickelten Zuständen des Staatslebens
denkbar sein würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/336>, abgerufen am 27.09.2024.