Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

heit der organischen Formen lediglich von den auf sie wirkenden äußeren Ein¬
flüssen setzt nothwendig voraus, daß jede Art den Bedingungen ihrer natürlichen
Heimath aufs denkbar Vollkommenste angepaßt sein müsse, da ja alle Eigen¬
schaften des Organismus eben nur als Producte der auf ihn wirkenden Kräfte
seiner Umgebung aufgefaßt werden. Nun liegt aber eine lange Reihe fest¬
gestellter Thatsachen vor. die alle darauf hinaus gehen, daß Pflanzen, von
weit her zufällig oder absichtlich durch den Menschen in Landstriche eingeführt,
denen sie bis dahin völlig fremd waren, hier sich vollständig einbürgerten.
Die fremde Pflanze langt auf einem Boden an, den sie von den voraus¬
gesetzt eingeborenen Pflanzen bis auf den letzten Raum schon eingenommen
findet. In den Fällen zufälliger Einschleppung von Unkräutern ist der Fremd¬
ling zuverlässig zuerst in nur wenigen, vielleicht nur in einem einzigen Indi¬
viduum in das Land gelangt, welches ihm heute eine zweite Heimath ist.
Jedes neue Individuum mußte seinen Standort durch die Verdrängung ein¬
heimischer Pflanzen sich erkämpfen; es mußte sie überwuchern, rascher und
kräftiger vegetiren als sie. Und diesen Kampf hat in sehr zahlreichen Fällen
der Eindringling siegreich bestanden. Der kanadische Engerem bedeckt unsere
Sandfelder, die nordamerikanische Nachtkerze unsre Flußufer, die mexicanischen
Agaven und Cactus alle felsigen Hänge des Mittelmeergebiets, die kanadische
Hydrilla füllt die Flüsse und Kanäle Englands und Hollands. Diese Ein¬
bürgerungen geschahen oft überraschend schnell. Die Nachtkerze wird 1680 von
Morison als exotische Pflanze abgebildet. Linnü nennt sie 1737 in Holland
allenthalben gemein. Die kanadische Hydrilla wurde 1842 zum ersten Male
auf britischen Boden (bei Berwick) beobachtet. Zehn Jahre später war das
lästige Wasserunkraut zur Landplage geworben. Sie und andere der eingebür¬
gerten Pflanzen sind jetzt in Europa viel häusiger und massenhafter anzutreffen,
als in ihrer amerikanischen Heimath. Ein noch viel stärkeres Kontingent erfolg¬
reicher Einwanderer hat die alte Welt für die neue gestellt, für Nordamerika
nicht weniger als 184; in der Mehrzahl allerdings einjährige Unkräuter, aber
auch viele perennirende Gewächse, manche Sträucher (Berberitze, Faulbaum),
selbst einige Bäume (Weiden, Orangen); viele von weitester Verbreitung, all-
mälig mit der Cultur nach Osten vorrückend, wie denn z. B. die gemeine
Gartennessel in den neuen (nordwestlichen) Staaten noch selten ist. Noch zahl¬
reicher und massenhafter ist die europäische Pflanzeneinwanderung in das ge¬
mäßigte Südamerika. In den Pampas von Buenos Ayres bedecken südeurv-
Päische Disteln (die Mariendistel und die wilde Artischocke) unermeßliche Strecken
Landes. Um Montevideo trägt die Vegetation bereits ein völlig europäisches
Gepräge. Die purpurblühende Natterkopfart begleitet alle Wege. Der gemeine
Hafer ist auf vielen Weideplätzen so häufig, als sei er von Menschenhand ge¬
säet. Eine europäische Art von Nz^grün (dem Leindotter ähnliche Pflanze)


heit der organischen Formen lediglich von den auf sie wirkenden äußeren Ein¬
flüssen setzt nothwendig voraus, daß jede Art den Bedingungen ihrer natürlichen
Heimath aufs denkbar Vollkommenste angepaßt sein müsse, da ja alle Eigen¬
schaften des Organismus eben nur als Producte der auf ihn wirkenden Kräfte
seiner Umgebung aufgefaßt werden. Nun liegt aber eine lange Reihe fest¬
gestellter Thatsachen vor. die alle darauf hinaus gehen, daß Pflanzen, von
weit her zufällig oder absichtlich durch den Menschen in Landstriche eingeführt,
denen sie bis dahin völlig fremd waren, hier sich vollständig einbürgerten.
Die fremde Pflanze langt auf einem Boden an, den sie von den voraus¬
gesetzt eingeborenen Pflanzen bis auf den letzten Raum schon eingenommen
findet. In den Fällen zufälliger Einschleppung von Unkräutern ist der Fremd¬
ling zuverlässig zuerst in nur wenigen, vielleicht nur in einem einzigen Indi¬
viduum in das Land gelangt, welches ihm heute eine zweite Heimath ist.
Jedes neue Individuum mußte seinen Standort durch die Verdrängung ein¬
heimischer Pflanzen sich erkämpfen; es mußte sie überwuchern, rascher und
kräftiger vegetiren als sie. Und diesen Kampf hat in sehr zahlreichen Fällen
der Eindringling siegreich bestanden. Der kanadische Engerem bedeckt unsere
Sandfelder, die nordamerikanische Nachtkerze unsre Flußufer, die mexicanischen
Agaven und Cactus alle felsigen Hänge des Mittelmeergebiets, die kanadische
Hydrilla füllt die Flüsse und Kanäle Englands und Hollands. Diese Ein¬
bürgerungen geschahen oft überraschend schnell. Die Nachtkerze wird 1680 von
Morison als exotische Pflanze abgebildet. Linnü nennt sie 1737 in Holland
allenthalben gemein. Die kanadische Hydrilla wurde 1842 zum ersten Male
auf britischen Boden (bei Berwick) beobachtet. Zehn Jahre später war das
lästige Wasserunkraut zur Landplage geworben. Sie und andere der eingebür¬
gerten Pflanzen sind jetzt in Europa viel häusiger und massenhafter anzutreffen,
als in ihrer amerikanischen Heimath. Ein noch viel stärkeres Kontingent erfolg¬
reicher Einwanderer hat die alte Welt für die neue gestellt, für Nordamerika
nicht weniger als 184; in der Mehrzahl allerdings einjährige Unkräuter, aber
auch viele perennirende Gewächse, manche Sträucher (Berberitze, Faulbaum),
selbst einige Bäume (Weiden, Orangen); viele von weitester Verbreitung, all-
mälig mit der Cultur nach Osten vorrückend, wie denn z. B. die gemeine
Gartennessel in den neuen (nordwestlichen) Staaten noch selten ist. Noch zahl¬
reicher und massenhafter ist die europäische Pflanzeneinwanderung in das ge¬
mäßigte Südamerika. In den Pampas von Buenos Ayres bedecken südeurv-
Päische Disteln (die Mariendistel und die wilde Artischocke) unermeßliche Strecken
Landes. Um Montevideo trägt die Vegetation bereits ein völlig europäisches
Gepräge. Die purpurblühende Natterkopfart begleitet alle Wege. Der gemeine
Hafer ist auf vielen Weideplätzen so häufig, als sei er von Menschenhand ge¬
säet. Eine europäische Art von Nz^grün (dem Leindotter ähnliche Pflanze)


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0313" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188340"/>
            <p xml:id="ID_1004" prev="#ID_1003" next="#ID_1005"> heit der organischen Formen lediglich von den auf sie wirkenden äußeren Ein¬<lb/>
flüssen setzt nothwendig voraus, daß jede Art den Bedingungen ihrer natürlichen<lb/>
Heimath aufs denkbar Vollkommenste angepaßt sein müsse, da ja alle Eigen¬<lb/>
schaften des Organismus eben nur als Producte der auf ihn wirkenden Kräfte<lb/>
seiner Umgebung aufgefaßt werden. Nun liegt aber eine lange Reihe fest¬<lb/>
gestellter Thatsachen vor. die alle darauf hinaus gehen, daß Pflanzen, von<lb/>
weit her zufällig oder absichtlich durch den Menschen in Landstriche eingeführt,<lb/>
denen sie bis dahin völlig fremd waren, hier sich vollständig einbürgerten.<lb/>
Die fremde Pflanze langt auf einem Boden an, den sie von den voraus¬<lb/>
gesetzt eingeborenen Pflanzen bis auf den letzten Raum schon eingenommen<lb/>
findet. In den Fällen zufälliger Einschleppung von Unkräutern ist der Fremd¬<lb/>
ling zuverlässig zuerst in nur wenigen, vielleicht nur in einem einzigen Indi¬<lb/>
viduum in das Land gelangt, welches ihm heute eine zweite Heimath ist.<lb/>
Jedes neue Individuum mußte seinen Standort durch die Verdrängung ein¬<lb/>
heimischer Pflanzen sich erkämpfen; es mußte sie überwuchern, rascher und<lb/>
kräftiger vegetiren als sie. Und diesen Kampf hat in sehr zahlreichen Fällen<lb/>
der Eindringling siegreich bestanden. Der kanadische Engerem bedeckt unsere<lb/>
Sandfelder, die nordamerikanische Nachtkerze unsre Flußufer, die mexicanischen<lb/>
Agaven und Cactus alle felsigen Hänge des Mittelmeergebiets, die kanadische<lb/>
Hydrilla füllt die Flüsse und Kanäle Englands und Hollands. Diese Ein¬<lb/>
bürgerungen geschahen oft überraschend schnell. Die Nachtkerze wird 1680 von<lb/>
Morison als exotische Pflanze abgebildet. Linnü nennt sie 1737 in Holland<lb/>
allenthalben gemein. Die kanadische Hydrilla wurde 1842 zum ersten Male<lb/>
auf britischen Boden (bei Berwick) beobachtet. Zehn Jahre später war das<lb/>
lästige Wasserunkraut zur Landplage geworben. Sie und andere der eingebür¬<lb/>
gerten Pflanzen sind jetzt in Europa viel häusiger und massenhafter anzutreffen,<lb/>
als in ihrer amerikanischen Heimath. Ein noch viel stärkeres Kontingent erfolg¬<lb/>
reicher Einwanderer hat die alte Welt für die neue gestellt, für Nordamerika<lb/>
nicht weniger als 184; in der Mehrzahl allerdings einjährige Unkräuter, aber<lb/>
auch viele perennirende Gewächse, manche Sträucher (Berberitze, Faulbaum),<lb/>
selbst einige Bäume (Weiden, Orangen); viele von weitester Verbreitung, all-<lb/>
mälig mit der Cultur nach Osten vorrückend, wie denn z. B. die gemeine<lb/>
Gartennessel in den neuen (nordwestlichen) Staaten noch selten ist. Noch zahl¬<lb/>
reicher und massenhafter ist die europäische Pflanzeneinwanderung in das ge¬<lb/>
mäßigte Südamerika. In den Pampas von Buenos Ayres bedecken südeurv-<lb/>
Päische Disteln (die Mariendistel und die wilde Artischocke) unermeßliche Strecken<lb/>
Landes. Um Montevideo trägt die Vegetation bereits ein völlig europäisches<lb/>
Gepräge. Die purpurblühende Natterkopfart begleitet alle Wege. Der gemeine<lb/>
Hafer ist auf vielen Weideplätzen so häufig, als sei er von Menschenhand ge¬<lb/>
säet. Eine europäische Art von Nz^grün (dem Leindotter ähnliche Pflanze)</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0313] heit der organischen Formen lediglich von den auf sie wirkenden äußeren Ein¬ flüssen setzt nothwendig voraus, daß jede Art den Bedingungen ihrer natürlichen Heimath aufs denkbar Vollkommenste angepaßt sein müsse, da ja alle Eigen¬ schaften des Organismus eben nur als Producte der auf ihn wirkenden Kräfte seiner Umgebung aufgefaßt werden. Nun liegt aber eine lange Reihe fest¬ gestellter Thatsachen vor. die alle darauf hinaus gehen, daß Pflanzen, von weit her zufällig oder absichtlich durch den Menschen in Landstriche eingeführt, denen sie bis dahin völlig fremd waren, hier sich vollständig einbürgerten. Die fremde Pflanze langt auf einem Boden an, den sie von den voraus¬ gesetzt eingeborenen Pflanzen bis auf den letzten Raum schon eingenommen findet. In den Fällen zufälliger Einschleppung von Unkräutern ist der Fremd¬ ling zuverlässig zuerst in nur wenigen, vielleicht nur in einem einzigen Indi¬ viduum in das Land gelangt, welches ihm heute eine zweite Heimath ist. Jedes neue Individuum mußte seinen Standort durch die Verdrängung ein¬ heimischer Pflanzen sich erkämpfen; es mußte sie überwuchern, rascher und kräftiger vegetiren als sie. Und diesen Kampf hat in sehr zahlreichen Fällen der Eindringling siegreich bestanden. Der kanadische Engerem bedeckt unsere Sandfelder, die nordamerikanische Nachtkerze unsre Flußufer, die mexicanischen Agaven und Cactus alle felsigen Hänge des Mittelmeergebiets, die kanadische Hydrilla füllt die Flüsse und Kanäle Englands und Hollands. Diese Ein¬ bürgerungen geschahen oft überraschend schnell. Die Nachtkerze wird 1680 von Morison als exotische Pflanze abgebildet. Linnü nennt sie 1737 in Holland allenthalben gemein. Die kanadische Hydrilla wurde 1842 zum ersten Male auf britischen Boden (bei Berwick) beobachtet. Zehn Jahre später war das lästige Wasserunkraut zur Landplage geworben. Sie und andere der eingebür¬ gerten Pflanzen sind jetzt in Europa viel häusiger und massenhafter anzutreffen, als in ihrer amerikanischen Heimath. Ein noch viel stärkeres Kontingent erfolg¬ reicher Einwanderer hat die alte Welt für die neue gestellt, für Nordamerika nicht weniger als 184; in der Mehrzahl allerdings einjährige Unkräuter, aber auch viele perennirende Gewächse, manche Sträucher (Berberitze, Faulbaum), selbst einige Bäume (Weiden, Orangen); viele von weitester Verbreitung, all- mälig mit der Cultur nach Osten vorrückend, wie denn z. B. die gemeine Gartennessel in den neuen (nordwestlichen) Staaten noch selten ist. Noch zahl¬ reicher und massenhafter ist die europäische Pflanzeneinwanderung in das ge¬ mäßigte Südamerika. In den Pampas von Buenos Ayres bedecken südeurv- Päische Disteln (die Mariendistel und die wilde Artischocke) unermeßliche Strecken Landes. Um Montevideo trägt die Vegetation bereits ein völlig europäisches Gepräge. Die purpurblühende Natterkopfart begleitet alle Wege. Der gemeine Hafer ist auf vielen Weideplätzen so häufig, als sei er von Menschenhand ge¬ säet. Eine europäische Art von Nz^grün (dem Leindotter ähnliche Pflanze)

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/313
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/313>, abgerufen am 27.09.2024.