Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

für diesen Fall ihm bei seinem Amtsantritt zugesicherten hohen Pension aus
dem Staatsdienst zurück und verließ das Land, welches ihm nichts verdankte als
den an seinem Rechte begangenen Raub. Zeitungsberichten nach ist er später
in eine Gehirnkrankheit verfallen. Mit ihm zugleich schied der Finanzminister
v. Brock-aus seinem Amt, um demnächst als Chef der Verwaltungsbehörde
des großherzoglichen Haushalts wieder in Dienst zu treten. Der Nachfolger
des Grafen v. Bülow ward Jasper v. Oertzen. Er hatte früher die richterliche
Laufbahn erwählt, nahm als Justizrath seinen Abschied und widmete sich als
Besitzer eines Ritterguts nun den ständischen Angelegenheiten als einer der
Führer und Vertrauensmänner des "eingeborenen Adels". Späterhin wirkte
er einige Jahre als mecklenburgischer Bundestagsgesandter und empfing in
dieser Stellung''die Berufung zu den bisher vom Grafen v. Bülow bekleideten
Aemtern. Ungewöhnliche Gaben und Eigenschaften können ihm nicht nach¬
gerühmt werden, und seine aristokratische Grundrichtung hat es nicht gehindert,
daß er den auf die Unterdrückung ständischer und communaler Freiheit gerichteten
Tendenzen des Polizeistaats sich willig zum Organ dargeboten hat. Außerdem
gehört er zur kirchlich-orthodoxen Partei. Als Finanzminister ward ein Mann
wieder hervorgesucht, der schon bis zum Jahre 1848 der Verwaltung der landes¬
herrlichen Finanzen vorgestanden hatte und durch die staatliche Neugestaltung
an die Seite gedrängt worden war: Theodor Dietrich v. Levetzow, ein reicher
Mann und ebenso geschickter wie eifriger L'hombrespieler, durch lange Praxis
mit dem Räderwerk des patrimonialen Finanzsysteins vertraut, aber sonst
mit keiner der Eigenschaften ausgerüstet, welche die Gegenwart einem Finanz-
minister wünscht und in Bezug auf staatsmännische und volkswirtschaftliche
Bildung nicht einmal Dilettant zu nennen. Herr v. Schröter behielt neben
diesen beiden neuen Collegen seinen früheren Wirkungskreis, und die ganze
Veränderung bestand nur darin, daß jetzt alle drei Vorstände der Verwaltungs-
dcpartements den Titel "Staatsminister" und das Prädicat "Excellenz" er¬
hielten, und daß der bisher wenigstens noch nicht ausdrücklich zurückgenommene
Gedanke an eine Verfassungsreform jetzt von der Staatsregierung geradezu
perhorrescirt ward. Ein von Herrn v. Oertzen contrasignirtes großherzogliches
Rescript vom 27. November 18S8 erklärte in dieser Beziehung dem Landtage
Nachstehendes als die landesherrliche Willensmeinung-. "Wie Wir fest ent¬
schlossen bleiben, die bestehende Landesverfassung, so viel an Uns ist, kräftig
aufrecht zu erhalten und zu schützen, so halten Wir das bessere Vertrauen fest,
daß, wenn eine wahrhaft patriotische und einmüthige Gesinnung von den
Trägern der bestehenden Verfassung bethätigt wird, dies seltsamere Resultate
für das Vaterland herbeiführen wird als alles Experimentiren mit neuen
willkürlichen Verfassungsformen." Mit dieser Erklärung war die landesherrliche
Verheißung in der Proclamation vom' 15. April 1860. daß unter allen Um-


Grenzboten II. 1863. 38

für diesen Fall ihm bei seinem Amtsantritt zugesicherten hohen Pension aus
dem Staatsdienst zurück und verließ das Land, welches ihm nichts verdankte als
den an seinem Rechte begangenen Raub. Zeitungsberichten nach ist er später
in eine Gehirnkrankheit verfallen. Mit ihm zugleich schied der Finanzminister
v. Brock-aus seinem Amt, um demnächst als Chef der Verwaltungsbehörde
des großherzoglichen Haushalts wieder in Dienst zu treten. Der Nachfolger
des Grafen v. Bülow ward Jasper v. Oertzen. Er hatte früher die richterliche
Laufbahn erwählt, nahm als Justizrath seinen Abschied und widmete sich als
Besitzer eines Ritterguts nun den ständischen Angelegenheiten als einer der
Führer und Vertrauensmänner des „eingeborenen Adels". Späterhin wirkte
er einige Jahre als mecklenburgischer Bundestagsgesandter und empfing in
dieser Stellung''die Berufung zu den bisher vom Grafen v. Bülow bekleideten
Aemtern. Ungewöhnliche Gaben und Eigenschaften können ihm nicht nach¬
gerühmt werden, und seine aristokratische Grundrichtung hat es nicht gehindert,
daß er den auf die Unterdrückung ständischer und communaler Freiheit gerichteten
Tendenzen des Polizeistaats sich willig zum Organ dargeboten hat. Außerdem
gehört er zur kirchlich-orthodoxen Partei. Als Finanzminister ward ein Mann
wieder hervorgesucht, der schon bis zum Jahre 1848 der Verwaltung der landes¬
herrlichen Finanzen vorgestanden hatte und durch die staatliche Neugestaltung
an die Seite gedrängt worden war: Theodor Dietrich v. Levetzow, ein reicher
Mann und ebenso geschickter wie eifriger L'hombrespieler, durch lange Praxis
mit dem Räderwerk des patrimonialen Finanzsysteins vertraut, aber sonst
mit keiner der Eigenschaften ausgerüstet, welche die Gegenwart einem Finanz-
minister wünscht und in Bezug auf staatsmännische und volkswirtschaftliche
Bildung nicht einmal Dilettant zu nennen. Herr v. Schröter behielt neben
diesen beiden neuen Collegen seinen früheren Wirkungskreis, und die ganze
Veränderung bestand nur darin, daß jetzt alle drei Vorstände der Verwaltungs-
dcpartements den Titel „Staatsminister" und das Prädicat „Excellenz" er¬
hielten, und daß der bisher wenigstens noch nicht ausdrücklich zurückgenommene
Gedanke an eine Verfassungsreform jetzt von der Staatsregierung geradezu
perhorrescirt ward. Ein von Herrn v. Oertzen contrasignirtes großherzogliches
Rescript vom 27. November 18S8 erklärte in dieser Beziehung dem Landtage
Nachstehendes als die landesherrliche Willensmeinung-. „Wie Wir fest ent¬
schlossen bleiben, die bestehende Landesverfassung, so viel an Uns ist, kräftig
aufrecht zu erhalten und zu schützen, so halten Wir das bessere Vertrauen fest,
daß, wenn eine wahrhaft patriotische und einmüthige Gesinnung von den
Trägern der bestehenden Verfassung bethätigt wird, dies seltsamere Resultate
für das Vaterland herbeiführen wird als alles Experimentiren mit neuen
willkürlichen Verfassungsformen." Mit dieser Erklärung war die landesherrliche
Verheißung in der Proclamation vom' 15. April 1860. daß unter allen Um-


Grenzboten II. 1863. 38
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0301" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188328"/>
            <p xml:id="ID_973" prev="#ID_972" next="#ID_974"> für diesen Fall ihm bei seinem Amtsantritt zugesicherten hohen Pension aus<lb/>
dem Staatsdienst zurück und verließ das Land, welches ihm nichts verdankte als<lb/>
den an seinem Rechte begangenen Raub. Zeitungsberichten nach ist er später<lb/>
in eine Gehirnkrankheit verfallen.  Mit ihm zugleich schied der Finanzminister<lb/>
v. Brock-aus seinem Amt, um demnächst als Chef der Verwaltungsbehörde<lb/>
des großherzoglichen Haushalts wieder in Dienst zu treten.  Der Nachfolger<lb/>
des Grafen v. Bülow ward Jasper v. Oertzen.  Er hatte früher die richterliche<lb/>
Laufbahn erwählt, nahm als Justizrath seinen Abschied und widmete sich als<lb/>
Besitzer eines Ritterguts nun den ständischen Angelegenheiten als einer der<lb/>
Führer und Vertrauensmänner des &#x201E;eingeborenen Adels".  Späterhin wirkte<lb/>
er einige Jahre als mecklenburgischer Bundestagsgesandter und empfing in<lb/>
dieser Stellung''die Berufung zu den bisher vom Grafen v. Bülow bekleideten<lb/>
Aemtern.  Ungewöhnliche Gaben und Eigenschaften können ihm nicht nach¬<lb/>
gerühmt werden, und seine aristokratische Grundrichtung hat es nicht gehindert,<lb/>
daß er den auf die Unterdrückung ständischer und communaler Freiheit gerichteten<lb/>
Tendenzen des Polizeistaats sich willig zum Organ dargeboten hat. Außerdem<lb/>
gehört er zur kirchlich-orthodoxen Partei.  Als Finanzminister ward ein Mann<lb/>
wieder hervorgesucht, der schon bis zum Jahre 1848 der Verwaltung der landes¬<lb/>
herrlichen Finanzen vorgestanden hatte und durch die staatliche Neugestaltung<lb/>
an die Seite gedrängt worden war: Theodor Dietrich v. Levetzow, ein reicher<lb/>
Mann und ebenso geschickter wie eifriger L'hombrespieler, durch lange Praxis<lb/>
mit dem Räderwerk des patrimonialen Finanzsysteins vertraut, aber sonst<lb/>
mit keiner der Eigenschaften ausgerüstet, welche die Gegenwart einem Finanz-<lb/>
minister wünscht und in Bezug auf staatsmännische und volkswirtschaftliche<lb/>
Bildung nicht einmal Dilettant zu nennen.  Herr v. Schröter behielt neben<lb/>
diesen beiden neuen Collegen seinen früheren Wirkungskreis, und die ganze<lb/>
Veränderung bestand nur darin, daß jetzt alle drei Vorstände der Verwaltungs-<lb/>
dcpartements den Titel &#x201E;Staatsminister" und das Prädicat &#x201E;Excellenz" er¬<lb/>
hielten, und daß der bisher wenigstens noch nicht ausdrücklich zurückgenommene<lb/>
Gedanke an eine Verfassungsreform jetzt von der Staatsregierung geradezu<lb/>
perhorrescirt ward.  Ein von Herrn v. Oertzen contrasignirtes großherzogliches<lb/>
Rescript vom 27. November 18S8 erklärte in dieser Beziehung dem Landtage<lb/>
Nachstehendes als die landesherrliche Willensmeinung-.  &#x201E;Wie Wir fest ent¬<lb/>
schlossen bleiben, die bestehende Landesverfassung, so viel an Uns ist, kräftig<lb/>
aufrecht zu erhalten und zu schützen, so halten Wir das bessere Vertrauen fest,<lb/>
daß, wenn eine wahrhaft patriotische und einmüthige Gesinnung von den<lb/>
Trägern der bestehenden Verfassung bethätigt wird, dies seltsamere Resultate<lb/>
für das Vaterland herbeiführen wird  als alles Experimentiren mit neuen<lb/>
willkürlichen Verfassungsformen."  Mit dieser Erklärung war die landesherrliche<lb/>
Verheißung in der Proclamation vom' 15. April 1860. daß unter allen Um-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1863. 38</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0301] für diesen Fall ihm bei seinem Amtsantritt zugesicherten hohen Pension aus dem Staatsdienst zurück und verließ das Land, welches ihm nichts verdankte als den an seinem Rechte begangenen Raub. Zeitungsberichten nach ist er später in eine Gehirnkrankheit verfallen. Mit ihm zugleich schied der Finanzminister v. Brock-aus seinem Amt, um demnächst als Chef der Verwaltungsbehörde des großherzoglichen Haushalts wieder in Dienst zu treten. Der Nachfolger des Grafen v. Bülow ward Jasper v. Oertzen. Er hatte früher die richterliche Laufbahn erwählt, nahm als Justizrath seinen Abschied und widmete sich als Besitzer eines Ritterguts nun den ständischen Angelegenheiten als einer der Führer und Vertrauensmänner des „eingeborenen Adels". Späterhin wirkte er einige Jahre als mecklenburgischer Bundestagsgesandter und empfing in dieser Stellung''die Berufung zu den bisher vom Grafen v. Bülow bekleideten Aemtern. Ungewöhnliche Gaben und Eigenschaften können ihm nicht nach¬ gerühmt werden, und seine aristokratische Grundrichtung hat es nicht gehindert, daß er den auf die Unterdrückung ständischer und communaler Freiheit gerichteten Tendenzen des Polizeistaats sich willig zum Organ dargeboten hat. Außerdem gehört er zur kirchlich-orthodoxen Partei. Als Finanzminister ward ein Mann wieder hervorgesucht, der schon bis zum Jahre 1848 der Verwaltung der landes¬ herrlichen Finanzen vorgestanden hatte und durch die staatliche Neugestaltung an die Seite gedrängt worden war: Theodor Dietrich v. Levetzow, ein reicher Mann und ebenso geschickter wie eifriger L'hombrespieler, durch lange Praxis mit dem Räderwerk des patrimonialen Finanzsysteins vertraut, aber sonst mit keiner der Eigenschaften ausgerüstet, welche die Gegenwart einem Finanz- minister wünscht und in Bezug auf staatsmännische und volkswirtschaftliche Bildung nicht einmal Dilettant zu nennen. Herr v. Schröter behielt neben diesen beiden neuen Collegen seinen früheren Wirkungskreis, und die ganze Veränderung bestand nur darin, daß jetzt alle drei Vorstände der Verwaltungs- dcpartements den Titel „Staatsminister" und das Prädicat „Excellenz" er¬ hielten, und daß der bisher wenigstens noch nicht ausdrücklich zurückgenommene Gedanke an eine Verfassungsreform jetzt von der Staatsregierung geradezu perhorrescirt ward. Ein von Herrn v. Oertzen contrasignirtes großherzogliches Rescript vom 27. November 18S8 erklärte in dieser Beziehung dem Landtage Nachstehendes als die landesherrliche Willensmeinung-. „Wie Wir fest ent¬ schlossen bleiben, die bestehende Landesverfassung, so viel an Uns ist, kräftig aufrecht zu erhalten und zu schützen, so halten Wir das bessere Vertrauen fest, daß, wenn eine wahrhaft patriotische und einmüthige Gesinnung von den Trägern der bestehenden Verfassung bethätigt wird, dies seltsamere Resultate für das Vaterland herbeiführen wird als alles Experimentiren mit neuen willkürlichen Verfassungsformen." Mit dieser Erklärung war die landesherrliche Verheißung in der Proclamation vom' 15. April 1860. daß unter allen Um- Grenzboten II. 1863. 38

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/301
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/301>, abgerufen am 27.09.2024.