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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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wisses greifbares Ziel erhalten. Aber freilich das Programm, die Hauptsache,
fand in dem Comite keine kundige Hand, welche die in ihm aufgeführten
Gegenstände mit Eifer und Sorgfalt bearbeitet hätte, und die, welche den Ton
angaben, dachten sicher überhaupt mehr an ihre eigne Wichtigkeit, als an die
des Programms.

Die Wendung auf den gegenwärtigen Standpunkt fand daher bald statt, wenn
man auch in der ersten Zeit das Programm festhalten zu wollen schien. Vor
allen Dingen erachtete man nun für nothwendig, die Kunde von einer ener¬
gischen Arbeiterbewegung in die Welt hinauszurufen, die vorhanden sein
sollte, während sie sich in Wahrheit immer noch auf einen sehr engen Kreis,
das heißt hauptsächlich auf ein paar Hundert Berliner und Leipziger beschränkte.
Weitere Versammlungen wurden in Leipzig veranstaltet, in denen es nicht an
Warnungen vor unreifen Unternehmungen und falschen Freunden, sowie an Hin¬
weisen auf den Umstand fehlte, daß man durch unbedachtes Auftreten nur der
Reaction in die Hände arbeiten werde. Diese Redner machten ferner darauf
aufmerksam, daß das Reden von Bourgeoisie, von einem vierten Stand
u. d. sinnlos sei. Sie empfahlen den Anschluß an die Arbeiterbildungsvereine.
Erst nachdem der Arbeiter etwas Ordentliches gelernt und sich ein Urtheil er¬
worben, könne er mit Selbstvertrauen und ohne Ueberhebung an die Lösung
der ihm gestellten Aufgabe gehen. Erst dann werde es eine wahre und erfolg¬
reiche Arbeiterbewegung geben, geboren von dem Drange klar erkannten Be¬
dürfnisses, geleitet von der Erkenntniß der rechten Mittel, geregelt von dem
Geiste der Selbstbeherrschung und beseelt von dem Streben nach Wissen und
Bildung.

Wir haben länger bei diesen Vorgängen in Leipzig verweilen müssen,
weil die so viel besprochene und von Manchen so sehr gefürchtet" Arbeiter¬
bewegung in dieser Zeit eben in nichts Anderem bestand, und weil andrerseits
die allseitige Anerkennung, welche die angeführten Rathschläge wirklicher Arbeiter¬
freunde fanden, den Beweis liefert, daß die Masse der Arbeiter damals ihr
Interesse durchaus anders auffaßte, als es heute die allerdings wenigen An¬
hänger Lassalles thun. Man beschloß auch in der soeben erwähnten Versamm¬
lung, Vorarbeiten zur Gründung eines Consumvereines zu machen und beauftragte
mit denselben das Comite, von welchem indessen in dieser Beziehung durchaus
nichts geleistet worden ist -- natürlich nicht; denn das hätte Mühe und Eingehen in
scheinbar kleine Dinge verursacht und vielleicht Dank, aber keinen Ruhm und kein
solches Ansehen gebracht, wie die großen Phrasen, mit denen die Herren sich
in das politische Parteileben hineinzudrängen gedachten. Die Hauptpersonen
des Comites waren jetzt dessen Vorsitzender, der wiederholt schon erwähnte
Schuhmacher Vahlteich und ein gewisser Dr. Dämmer. Das Mitglied Fritsche,
welches bei der Ambassade nach Berlin mit gewesen, hatte austreten müssen.


wisses greifbares Ziel erhalten. Aber freilich das Programm, die Hauptsache,
fand in dem Comite keine kundige Hand, welche die in ihm aufgeführten
Gegenstände mit Eifer und Sorgfalt bearbeitet hätte, und die, welche den Ton
angaben, dachten sicher überhaupt mehr an ihre eigne Wichtigkeit, als an die
des Programms.

Die Wendung auf den gegenwärtigen Standpunkt fand daher bald statt, wenn
man auch in der ersten Zeit das Programm festhalten zu wollen schien. Vor
allen Dingen erachtete man nun für nothwendig, die Kunde von einer ener¬
gischen Arbeiterbewegung in die Welt hinauszurufen, die vorhanden sein
sollte, während sie sich in Wahrheit immer noch auf einen sehr engen Kreis,
das heißt hauptsächlich auf ein paar Hundert Berliner und Leipziger beschränkte.
Weitere Versammlungen wurden in Leipzig veranstaltet, in denen es nicht an
Warnungen vor unreifen Unternehmungen und falschen Freunden, sowie an Hin¬
weisen auf den Umstand fehlte, daß man durch unbedachtes Auftreten nur der
Reaction in die Hände arbeiten werde. Diese Redner machten ferner darauf
aufmerksam, daß das Reden von Bourgeoisie, von einem vierten Stand
u. d. sinnlos sei. Sie empfahlen den Anschluß an die Arbeiterbildungsvereine.
Erst nachdem der Arbeiter etwas Ordentliches gelernt und sich ein Urtheil er¬
worben, könne er mit Selbstvertrauen und ohne Ueberhebung an die Lösung
der ihm gestellten Aufgabe gehen. Erst dann werde es eine wahre und erfolg¬
reiche Arbeiterbewegung geben, geboren von dem Drange klar erkannten Be¬
dürfnisses, geleitet von der Erkenntniß der rechten Mittel, geregelt von dem
Geiste der Selbstbeherrschung und beseelt von dem Streben nach Wissen und
Bildung.

Wir haben länger bei diesen Vorgängen in Leipzig verweilen müssen,
weil die so viel besprochene und von Manchen so sehr gefürchtet« Arbeiter¬
bewegung in dieser Zeit eben in nichts Anderem bestand, und weil andrerseits
die allseitige Anerkennung, welche die angeführten Rathschläge wirklicher Arbeiter¬
freunde fanden, den Beweis liefert, daß die Masse der Arbeiter damals ihr
Interesse durchaus anders auffaßte, als es heute die allerdings wenigen An¬
hänger Lassalles thun. Man beschloß auch in der soeben erwähnten Versamm¬
lung, Vorarbeiten zur Gründung eines Consumvereines zu machen und beauftragte
mit denselben das Comite, von welchem indessen in dieser Beziehung durchaus
nichts geleistet worden ist — natürlich nicht; denn das hätte Mühe und Eingehen in
scheinbar kleine Dinge verursacht und vielleicht Dank, aber keinen Ruhm und kein
solches Ansehen gebracht, wie die großen Phrasen, mit denen die Herren sich
in das politische Parteileben hineinzudrängen gedachten. Die Hauptpersonen
des Comites waren jetzt dessen Vorsitzender, der wiederholt schon erwähnte
Schuhmacher Vahlteich und ein gewisser Dr. Dämmer. Das Mitglied Fritsche,
welches bei der Ambassade nach Berlin mit gewesen, hatte austreten müssen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/297>, abgerufen am 27.09.2024.