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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Taktik der Reaction war, sich mit den Radicalen gegen die Liberalen zu ver¬
binden. Wir sahen, wie die Ultramontanen Herrn Lassalle und^einem Evan¬
gelium ihren Segen ertheilten, weil die von diesem Evangelium scheinbar be¬
drohte preußische Fortschrittspartei eine deutsch nationale Tendenz verfolgt und
mit dieser nothwendig sich gegen das geliebte Altöstreich lehrt. Wir fanden
endlich, daß die großdeutsche Demokratie, im anmuthigen Bunde dre dritte,
sich für die Agitatoren erklärte, zunächst aus ähnlichen Gründen wie die Ultra-
montanen, dann mit dem Hintergedanken, daß ein siegreiches Wirken der
Reformpartei, ein ernstlich durchgeführtes Verfassungsleben in Preußen ankeine
Revolution und keine gesammtdeutsche Confusionsrepublit, das Ideal jener
Politiker, denken läßt, vielleicht wohl auch, weil diese Herren ihre Jsolirung
empfanden und hier allein die für sie geeignete Gesellschaft antrafen.

Dieses dreifache Beifallsgeschrei gab einen lauten Chorus, konnte die Sache
selbst aber im Ernst nicht bedeutender machen, als sie geboren war. Vielmehr
mußte der verständige Arbeiter, sofern er sich überhaupt über dieselbe täuschen
konnte, jetzt deutlich inne werden, welchen Parteien er durch seine Betheiligung
in die Hände arbeitete. Buche somit nur die einzige Befürchtung übrig, daß
sich unter unsern Arbeitern nicht genug offne Köpfe und helle Augen finden
möchten, und daß durch starken Zufluß von Theilnehmern in das Lager der
neuen Socialdemokraten die Regierungen bedenklich werden, die Agitation nur
als Ausfluß der allgemeinen liberalen Bewegung, die Ziele jener als unver¬
meidliche Konsequenz der letzteren betrachten, demgemäß nicht blos gegen die
radicalen Vereine der Arbeiter, sondern auch gegen die gemäßigten, ja gegen
alle Vereine einschreiten und so die stillen Hoffnungen aller Gegner freier Ent¬
wickelung erfüllen könnten.

Indeß auch dafür ist unsres Erachtens gesorgt. Der deutsche Arbeiter ist
heutzutage im Großen und Ganzen ein völlig anderer als früher. Er hat auf
alle Fälle reichlich so viel gelernt, daß er der Weisheit derer, die sich ihm
jetzt als Führer aufdrängen möchten, entrathen kann, zumal diese Aufdringlichen
selbst jedes eignen Gedankens baar sind, und die, von denen sie ihre Rath¬
schläge borgen, ihnen mit nichts Klügeren aufwarten könne", als mit einer
neuen Auflage von Redensarten, die längst durch Wissenschaft und Erfahrung
gerichtet sind.

Allerdings gibt es, und zwar schon seit geraumer Zeit, in Deutschland
eine Arbeiterbewegung, der kein Sachkenner bestreiten wird, daß sie eine mäch¬
tige, weit ausgebreitete und tiefgehende ist. Dieselbe besteht aber in etwas
ganz Anderem als in den Faseleien der neuen Propheten von Berlin und Leip¬
zig und den zustimmenden Erklärungen von ein paar hundert -- oder sagen
wir ein paar tausend -- unklaren Köpfen am Rhein und in Hamburg. Selbst
drei- und viermal so stark, als sie in Wahrheit sind, würden diese Bewegungs-


Taktik der Reaction war, sich mit den Radicalen gegen die Liberalen zu ver¬
binden. Wir sahen, wie die Ultramontanen Herrn Lassalle und^einem Evan¬
gelium ihren Segen ertheilten, weil die von diesem Evangelium scheinbar be¬
drohte preußische Fortschrittspartei eine deutsch nationale Tendenz verfolgt und
mit dieser nothwendig sich gegen das geliebte Altöstreich lehrt. Wir fanden
endlich, daß die großdeutsche Demokratie, im anmuthigen Bunde dre dritte,
sich für die Agitatoren erklärte, zunächst aus ähnlichen Gründen wie die Ultra-
montanen, dann mit dem Hintergedanken, daß ein siegreiches Wirken der
Reformpartei, ein ernstlich durchgeführtes Verfassungsleben in Preußen ankeine
Revolution und keine gesammtdeutsche Confusionsrepublit, das Ideal jener
Politiker, denken läßt, vielleicht wohl auch, weil diese Herren ihre Jsolirung
empfanden und hier allein die für sie geeignete Gesellschaft antrafen.

Dieses dreifache Beifallsgeschrei gab einen lauten Chorus, konnte die Sache
selbst aber im Ernst nicht bedeutender machen, als sie geboren war. Vielmehr
mußte der verständige Arbeiter, sofern er sich überhaupt über dieselbe täuschen
konnte, jetzt deutlich inne werden, welchen Parteien er durch seine Betheiligung
in die Hände arbeitete. Buche somit nur die einzige Befürchtung übrig, daß
sich unter unsern Arbeitern nicht genug offne Köpfe und helle Augen finden
möchten, und daß durch starken Zufluß von Theilnehmern in das Lager der
neuen Socialdemokraten die Regierungen bedenklich werden, die Agitation nur
als Ausfluß der allgemeinen liberalen Bewegung, die Ziele jener als unver¬
meidliche Konsequenz der letzteren betrachten, demgemäß nicht blos gegen die
radicalen Vereine der Arbeiter, sondern auch gegen die gemäßigten, ja gegen
alle Vereine einschreiten und so die stillen Hoffnungen aller Gegner freier Ent¬
wickelung erfüllen könnten.

Indeß auch dafür ist unsres Erachtens gesorgt. Der deutsche Arbeiter ist
heutzutage im Großen und Ganzen ein völlig anderer als früher. Er hat auf
alle Fälle reichlich so viel gelernt, daß er der Weisheit derer, die sich ihm
jetzt als Führer aufdrängen möchten, entrathen kann, zumal diese Aufdringlichen
selbst jedes eignen Gedankens baar sind, und die, von denen sie ihre Rath¬
schläge borgen, ihnen mit nichts Klügeren aufwarten könne», als mit einer
neuen Auflage von Redensarten, die längst durch Wissenschaft und Erfahrung
gerichtet sind.

Allerdings gibt es, und zwar schon seit geraumer Zeit, in Deutschland
eine Arbeiterbewegung, der kein Sachkenner bestreiten wird, daß sie eine mäch¬
tige, weit ausgebreitete und tiefgehende ist. Dieselbe besteht aber in etwas
ganz Anderem als in den Faseleien der neuen Propheten von Berlin und Leip¬
zig und den zustimmenden Erklärungen von ein paar hundert — oder sagen
wir ein paar tausend — unklaren Köpfen am Rhein und in Hamburg. Selbst
drei- und viermal so stark, als sie in Wahrheit sind, würden diese Bewegungs-


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[0286] Taktik der Reaction war, sich mit den Radicalen gegen die Liberalen zu ver¬ binden. Wir sahen, wie die Ultramontanen Herrn Lassalle und^einem Evan¬ gelium ihren Segen ertheilten, weil die von diesem Evangelium scheinbar be¬ drohte preußische Fortschrittspartei eine deutsch nationale Tendenz verfolgt und mit dieser nothwendig sich gegen das geliebte Altöstreich lehrt. Wir fanden endlich, daß die großdeutsche Demokratie, im anmuthigen Bunde dre dritte, sich für die Agitatoren erklärte, zunächst aus ähnlichen Gründen wie die Ultra- montanen, dann mit dem Hintergedanken, daß ein siegreiches Wirken der Reformpartei, ein ernstlich durchgeführtes Verfassungsleben in Preußen ankeine Revolution und keine gesammtdeutsche Confusionsrepublit, das Ideal jener Politiker, denken läßt, vielleicht wohl auch, weil diese Herren ihre Jsolirung empfanden und hier allein die für sie geeignete Gesellschaft antrafen. Dieses dreifache Beifallsgeschrei gab einen lauten Chorus, konnte die Sache selbst aber im Ernst nicht bedeutender machen, als sie geboren war. Vielmehr mußte der verständige Arbeiter, sofern er sich überhaupt über dieselbe täuschen konnte, jetzt deutlich inne werden, welchen Parteien er durch seine Betheiligung in die Hände arbeitete. Buche somit nur die einzige Befürchtung übrig, daß sich unter unsern Arbeitern nicht genug offne Köpfe und helle Augen finden möchten, und daß durch starken Zufluß von Theilnehmern in das Lager der neuen Socialdemokraten die Regierungen bedenklich werden, die Agitation nur als Ausfluß der allgemeinen liberalen Bewegung, die Ziele jener als unver¬ meidliche Konsequenz der letzteren betrachten, demgemäß nicht blos gegen die radicalen Vereine der Arbeiter, sondern auch gegen die gemäßigten, ja gegen alle Vereine einschreiten und so die stillen Hoffnungen aller Gegner freier Ent¬ wickelung erfüllen könnten. Indeß auch dafür ist unsres Erachtens gesorgt. Der deutsche Arbeiter ist heutzutage im Großen und Ganzen ein völlig anderer als früher. Er hat auf alle Fälle reichlich so viel gelernt, daß er der Weisheit derer, die sich ihm jetzt als Führer aufdrängen möchten, entrathen kann, zumal diese Aufdringlichen selbst jedes eignen Gedankens baar sind, und die, von denen sie ihre Rath¬ schläge borgen, ihnen mit nichts Klügeren aufwarten könne», als mit einer neuen Auflage von Redensarten, die längst durch Wissenschaft und Erfahrung gerichtet sind. Allerdings gibt es, und zwar schon seit geraumer Zeit, in Deutschland eine Arbeiterbewegung, der kein Sachkenner bestreiten wird, daß sie eine mäch¬ tige, weit ausgebreitete und tiefgehende ist. Dieselbe besteht aber in etwas ganz Anderem als in den Faseleien der neuen Propheten von Berlin und Leip¬ zig und den zustimmenden Erklärungen von ein paar hundert — oder sagen wir ein paar tausend — unklaren Köpfen am Rhein und in Hamburg. Selbst drei- und viermal so stark, als sie in Wahrheit sind, würden diese Bewegungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/286>, abgerufen am 27.09.2024.