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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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erwiesen wurde, erfuhren von den Europäern geradezu eine verächtliche Behand¬
lung und wurden namentlich da, wo sie diesen als Späher folgten, was bei
jedem Spaziergang geschah, häusig mit Fußtritten regalirt. Sie rächten sich
für solche Ehrenkränkung zwar durch einzelne Morde, und in Joluhama sielen
binnen wenigen Wochen zwei holländische und zwei russische Offiziere durch ihre
Hand. Allein das durch die Drohungen der Gesandten und Kriegsschiffs-
befchlshaber eingeschüchterte Gouvernement setzte solchen in der Regel bei Nacht
unternommenen Ueberfällen bald ein Ziel, und die Drchpistvlen der Fremden
thaten, was sonst noch nothwendig war, um die Mvrdgesellen in Schach zu
halten. Die Jakonins wurden fortan nur noch wegwerfender behandelt. Das
Volk aber gewöhnte sich allmälig daran, dies mit anzusehen, ohne, wie zu
Anfang, in stummem Entsetzen darüber zu erstarren. Es begann die Entwür¬
digung zu empfinden, die darin lag, daß es sich von diesen kleinen Macht¬
habern geduldig unter dem Joch halten, sudeln und mißhandeln ließ, und bald
war zu bemerken, daß die Lehre, die jenen über ihre Bedeutung ertheilt wor¬
den war, auch für das Volk nicht verloren sei. Das Ansehen der Doppclt-
beschwertetcn sank von Tage zu Tage, während das der bisher verachteten
Kaufleute und Handwerker in gleichem Verhältniß stieg. Waren doch fast alle
in Japan ansässig gewordene Europäer auch nur Kaufleute! Jene Jakonins
wurden, weil ihr Gehalt trotz der steigenden Preise der Bedürfnisse derselbe
birch, viel ärmer, diese Handelsleute und Handwerker dagegen täglich wohl¬
habender, und da Geld, wie überall, auch in Japan -- obwohl hier etwas
weniger -- seinen Einfluß übt, fühlten die Jakonins binnen Kurzem, daß sie
fortwährend auf eine tiefere Stufe in der Gesellschaft herabrückten. Das ein¬
mal geweckte Selbstgefühl blieb aber hierbei nicht stehen, sondern trat auch
äußerlich mehr hervor und wagte sich auch dem höhern Adel gegenüber zu
zeigen. "Nicht allein in Jvtuhama". so erzählt unsre Quelle, "sondern auch
in Jeddo sahen wir in den letzten Wochen die Leute nicht nur nicht mehr wie
früher ihr Haupt bis in den Staub beugen, wenn ein Daimio durch die Straßen
zog, sondern sich schleunigst in die Häuser begeben, um sich der Verpflichtung
ganz und gar zu entziehen."

Die Aristokratie müßte blind sein, wenn sie nicht eine Empfindung davon
hätte, daß es. wenigstens in den der Herrschaft des Tellur völlig unterworfenen
Theilen des Landes, mit ihrer Macht raschen Schrittes zu Ende geht. Sehr
erklärlich ist daher, daß sie schon seit langer Zeit mit schlecht verhehltem Ingrimm
auf die Fremden als die Hauptursache ihrer Benachteiligung blickt und alle
Anstrengungen macht, um die Negierung zu stürzen und den alten Zustand
der Dinge zurückzuführen. Wie mächtig sie dem Tellur gegenüber ist. wurde
schon bemerkt und wird durch einige Vorgänge der letzten drei Jahre weiter be¬
wiesen. Durch ihre Machinationen wurde bewirkt, daß einer der Commissäre,


erwiesen wurde, erfuhren von den Europäern geradezu eine verächtliche Behand¬
lung und wurden namentlich da, wo sie diesen als Späher folgten, was bei
jedem Spaziergang geschah, häusig mit Fußtritten regalirt. Sie rächten sich
für solche Ehrenkränkung zwar durch einzelne Morde, und in Joluhama sielen
binnen wenigen Wochen zwei holländische und zwei russische Offiziere durch ihre
Hand. Allein das durch die Drohungen der Gesandten und Kriegsschiffs-
befchlshaber eingeschüchterte Gouvernement setzte solchen in der Regel bei Nacht
unternommenen Ueberfällen bald ein Ziel, und die Drchpistvlen der Fremden
thaten, was sonst noch nothwendig war, um die Mvrdgesellen in Schach zu
halten. Die Jakonins wurden fortan nur noch wegwerfender behandelt. Das
Volk aber gewöhnte sich allmälig daran, dies mit anzusehen, ohne, wie zu
Anfang, in stummem Entsetzen darüber zu erstarren. Es begann die Entwür¬
digung zu empfinden, die darin lag, daß es sich von diesen kleinen Macht¬
habern geduldig unter dem Joch halten, sudeln und mißhandeln ließ, und bald
war zu bemerken, daß die Lehre, die jenen über ihre Bedeutung ertheilt wor¬
den war, auch für das Volk nicht verloren sei. Das Ansehen der Doppclt-
beschwertetcn sank von Tage zu Tage, während das der bisher verachteten
Kaufleute und Handwerker in gleichem Verhältniß stieg. Waren doch fast alle
in Japan ansässig gewordene Europäer auch nur Kaufleute! Jene Jakonins
wurden, weil ihr Gehalt trotz der steigenden Preise der Bedürfnisse derselbe
birch, viel ärmer, diese Handelsleute und Handwerker dagegen täglich wohl¬
habender, und da Geld, wie überall, auch in Japan — obwohl hier etwas
weniger — seinen Einfluß übt, fühlten die Jakonins binnen Kurzem, daß sie
fortwährend auf eine tiefere Stufe in der Gesellschaft herabrückten. Das ein¬
mal geweckte Selbstgefühl blieb aber hierbei nicht stehen, sondern trat auch
äußerlich mehr hervor und wagte sich auch dem höhern Adel gegenüber zu
zeigen. „Nicht allein in Jvtuhama". so erzählt unsre Quelle, „sondern auch
in Jeddo sahen wir in den letzten Wochen die Leute nicht nur nicht mehr wie
früher ihr Haupt bis in den Staub beugen, wenn ein Daimio durch die Straßen
zog, sondern sich schleunigst in die Häuser begeben, um sich der Verpflichtung
ganz und gar zu entziehen."

Die Aristokratie müßte blind sein, wenn sie nicht eine Empfindung davon
hätte, daß es. wenigstens in den der Herrschaft des Tellur völlig unterworfenen
Theilen des Landes, mit ihrer Macht raschen Schrittes zu Ende geht. Sehr
erklärlich ist daher, daß sie schon seit langer Zeit mit schlecht verhehltem Ingrimm
auf die Fremden als die Hauptursache ihrer Benachteiligung blickt und alle
Anstrengungen macht, um die Negierung zu stürzen und den alten Zustand
der Dinge zurückzuführen. Wie mächtig sie dem Tellur gegenüber ist. wurde
schon bemerkt und wird durch einige Vorgänge der letzten drei Jahre weiter be¬
wiesen. Durch ihre Machinationen wurde bewirkt, daß einer der Commissäre,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/275>, abgerufen am 27.09.2024.