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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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ljchen Pflegehäusern u. s. w. aufgehend, im Uebrigen die im Kreise der "Christ¬
lichen" herrschenden Vorurtheile gegen constitutionelle Staatseinrichtungen voll¬
ständig in sich aufgenommen hatte. Die religiösen Antipathien der Großher¬
zogin Auguste gegen das drei Wochen vor ihrer Vermählung verkündigte
Staatsgrundgesetz und dessen Konsequenzen tonnen nur um so mehr dazu bei¬
getragen haben, auch den Großherzog mit Zweifeln zu erfüllen. als das eheliche
Verhältniß zwischen beiden ein außerordentlich glückliches war.

Vielleicht aber würden alle diese verschiedenen Einwirkungen, zu welchen
noch der von außen geübte diplomatische Druck hinzugerechnet werden muß,
mindestens nicht so rasch zum Ziele geführt haben, wenn es nicht gelungen
Ware, zum Zwecke der Emancipation von der constitutionellen Verfassung ein
Verfahren aufzufinden, welches freilich für jedes klare Auge sich als eine nur
zu durchsichtige Umhüllung darstellte, doch oberflächlich oder aus weiter Ferne
betrachtet fast mit einem geordneten Rechtsverfahren einige Ähnlichkeit hatte.
Der Großherzog ward dafür gewonnen, mit den rennenden Rittern vor ein von
beiden Theilen erwähltes Schiedsgericht zu gehen und von dem Spruche dieses
Schiedsgerichts die Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit und Beibehaltung
des Staatsgrundgesetzes abhängig zu machen.

Von diesem Entschlüsse des Großherzogs ward die mitten in ihren Ar¬
beiten begriffene Abgeordnetenkammer am 4. April 18S0 in Kenntniß gesetzt.
Zugleich ward ihr angezeigt, daß infolge dessen die sämmtlichen Minister ihre
Entlassung eingereicht hätten, und eine Verfügung verlesen, durch welche die
Kammer auf drei Monate, den längsten nach der Verfassung zulässigen Zeit¬
raum, vertagt ward. Den constitutionellen Ministern gebührt die Anerkennung,
daß sie ihre Ehre wahrten, indem sie es verschmähten, sich zu Werkzeugen der
Jnscenesetzung dieser processualischen Aufführung herzugeben; und nur darin haben
sie gefehlt, daß sie dem Großherzog und ihren bereits hinter demselben
stehenden Nachfolgern die Durchführung ihres Planes durch die dreimonatliche
Vertagung der Abgeordnetenkammer erleichterten.

Die Männer, welche es übernahmen, als vorläufig noch auf dem Boden
des Staatsgrundgesetzes stehende Minister dieses letztere durch einen sogenannten
Rechtsweg zu vernichten, welcher dem Bereich der altständischen Verfassung
angehörte und den Rechtsboden des Staatsgrundgesetzes principiell negirte,
heißen Graf v. Bülow, v. Schröter und v. Brock.

Der Erstgenannte, Minister des Auswärtigen und des Innern und Prä¬
sident des Gesammtministeriums, war ein bisher in preußischem Staatsdienst
gestandener Diplomat der mantcuffelschen Schule. Von den mecklenburgischen
Verhältnissen verstand er nichts und hat dieselben auch während seiner acht¬
jährigen Wirksamkeit in Mecklenburg nicht kennen gelernt. Einen großen Theil
des Jahres pflegte er aus seinen Gütern in Pommern zu verleben, während


Grenzboten II. 1863. 33

ljchen Pflegehäusern u. s. w. aufgehend, im Uebrigen die im Kreise der „Christ¬
lichen" herrschenden Vorurtheile gegen constitutionelle Staatseinrichtungen voll¬
ständig in sich aufgenommen hatte. Die religiösen Antipathien der Großher¬
zogin Auguste gegen das drei Wochen vor ihrer Vermählung verkündigte
Staatsgrundgesetz und dessen Konsequenzen tonnen nur um so mehr dazu bei¬
getragen haben, auch den Großherzog mit Zweifeln zu erfüllen. als das eheliche
Verhältniß zwischen beiden ein außerordentlich glückliches war.

Vielleicht aber würden alle diese verschiedenen Einwirkungen, zu welchen
noch der von außen geübte diplomatische Druck hinzugerechnet werden muß,
mindestens nicht so rasch zum Ziele geführt haben, wenn es nicht gelungen
Ware, zum Zwecke der Emancipation von der constitutionellen Verfassung ein
Verfahren aufzufinden, welches freilich für jedes klare Auge sich als eine nur
zu durchsichtige Umhüllung darstellte, doch oberflächlich oder aus weiter Ferne
betrachtet fast mit einem geordneten Rechtsverfahren einige Ähnlichkeit hatte.
Der Großherzog ward dafür gewonnen, mit den rennenden Rittern vor ein von
beiden Theilen erwähltes Schiedsgericht zu gehen und von dem Spruche dieses
Schiedsgerichts die Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit und Beibehaltung
des Staatsgrundgesetzes abhängig zu machen.

Von diesem Entschlüsse des Großherzogs ward die mitten in ihren Ar¬
beiten begriffene Abgeordnetenkammer am 4. April 18S0 in Kenntniß gesetzt.
Zugleich ward ihr angezeigt, daß infolge dessen die sämmtlichen Minister ihre
Entlassung eingereicht hätten, und eine Verfügung verlesen, durch welche die
Kammer auf drei Monate, den längsten nach der Verfassung zulässigen Zeit¬
raum, vertagt ward. Den constitutionellen Ministern gebührt die Anerkennung,
daß sie ihre Ehre wahrten, indem sie es verschmähten, sich zu Werkzeugen der
Jnscenesetzung dieser processualischen Aufführung herzugeben; und nur darin haben
sie gefehlt, daß sie dem Großherzog und ihren bereits hinter demselben
stehenden Nachfolgern die Durchführung ihres Planes durch die dreimonatliche
Vertagung der Abgeordnetenkammer erleichterten.

Die Männer, welche es übernahmen, als vorläufig noch auf dem Boden
des Staatsgrundgesetzes stehende Minister dieses letztere durch einen sogenannten
Rechtsweg zu vernichten, welcher dem Bereich der altständischen Verfassung
angehörte und den Rechtsboden des Staatsgrundgesetzes principiell negirte,
heißen Graf v. Bülow, v. Schröter und v. Brock.

Der Erstgenannte, Minister des Auswärtigen und des Innern und Prä¬
sident des Gesammtministeriums, war ein bisher in preußischem Staatsdienst
gestandener Diplomat der mantcuffelschen Schule. Von den mecklenburgischen
Verhältnissen verstand er nichts und hat dieselben auch während seiner acht¬
jährigen Wirksamkeit in Mecklenburg nicht kennen gelernt. Einen großen Theil
des Jahres pflegte er aus seinen Gütern in Pommern zu verleben, während


Grenzboten II. 1863. 33
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[0261] ljchen Pflegehäusern u. s. w. aufgehend, im Uebrigen die im Kreise der „Christ¬ lichen" herrschenden Vorurtheile gegen constitutionelle Staatseinrichtungen voll¬ ständig in sich aufgenommen hatte. Die religiösen Antipathien der Großher¬ zogin Auguste gegen das drei Wochen vor ihrer Vermählung verkündigte Staatsgrundgesetz und dessen Konsequenzen tonnen nur um so mehr dazu bei¬ getragen haben, auch den Großherzog mit Zweifeln zu erfüllen. als das eheliche Verhältniß zwischen beiden ein außerordentlich glückliches war. Vielleicht aber würden alle diese verschiedenen Einwirkungen, zu welchen noch der von außen geübte diplomatische Druck hinzugerechnet werden muß, mindestens nicht so rasch zum Ziele geführt haben, wenn es nicht gelungen Ware, zum Zwecke der Emancipation von der constitutionellen Verfassung ein Verfahren aufzufinden, welches freilich für jedes klare Auge sich als eine nur zu durchsichtige Umhüllung darstellte, doch oberflächlich oder aus weiter Ferne betrachtet fast mit einem geordneten Rechtsverfahren einige Ähnlichkeit hatte. Der Großherzog ward dafür gewonnen, mit den rennenden Rittern vor ein von beiden Theilen erwähltes Schiedsgericht zu gehen und von dem Spruche dieses Schiedsgerichts die Entscheidung über die Rechtsbeständigkeit und Beibehaltung des Staatsgrundgesetzes abhängig zu machen. Von diesem Entschlüsse des Großherzogs ward die mitten in ihren Ar¬ beiten begriffene Abgeordnetenkammer am 4. April 18S0 in Kenntniß gesetzt. Zugleich ward ihr angezeigt, daß infolge dessen die sämmtlichen Minister ihre Entlassung eingereicht hätten, und eine Verfügung verlesen, durch welche die Kammer auf drei Monate, den längsten nach der Verfassung zulässigen Zeit¬ raum, vertagt ward. Den constitutionellen Ministern gebührt die Anerkennung, daß sie ihre Ehre wahrten, indem sie es verschmähten, sich zu Werkzeugen der Jnscenesetzung dieser processualischen Aufführung herzugeben; und nur darin haben sie gefehlt, daß sie dem Großherzog und ihren bereits hinter demselben stehenden Nachfolgern die Durchführung ihres Planes durch die dreimonatliche Vertagung der Abgeordnetenkammer erleichterten. Die Männer, welche es übernahmen, als vorläufig noch auf dem Boden des Staatsgrundgesetzes stehende Minister dieses letztere durch einen sogenannten Rechtsweg zu vernichten, welcher dem Bereich der altständischen Verfassung angehörte und den Rechtsboden des Staatsgrundgesetzes principiell negirte, heißen Graf v. Bülow, v. Schröter und v. Brock. Der Erstgenannte, Minister des Auswärtigen und des Innern und Prä¬ sident des Gesammtministeriums, war ein bisher in preußischem Staatsdienst gestandener Diplomat der mantcuffelschen Schule. Von den mecklenburgischen Verhältnissen verstand er nichts und hat dieselben auch während seiner acht¬ jährigen Wirksamkeit in Mecklenburg nicht kennen gelernt. Einen großen Theil des Jahres pflegte er aus seinen Gütern in Pommern zu verleben, während Grenzboten II. 1863. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/261>, abgerufen am 27.09.2024.