Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Freunden die Anzeige zu machen, daß sie zu diesen Festlichkeiten sich nicht
einfinden würden. Man zählte denn auch wirtlich an der fürstlichen Festtafel
kaum ein halbes Dutzend adliger Gutsbesitzer. Wie vom Hose überhaupt, so
zoa, sich die Junkerschaft namentlich auch von den fürstlichen Jagden zurück.
Man rechnete darauf, daß der Großherzog in dieser Isolirtheit von seinen frü¬
heren Getreuen sich unbehaglich fühlen und nach einem Mittel suchen würde,
die Kluft zu beseitigen. Es war dies aber um keinen geringeren Preis als
durch Wiederherstellung des alten Ständewesens zu erlangen.

Auch gegen die junge Gemahlin des Großherzogs wandte sich die Ver¬
folgungssucht der erbitterten Aristokratie. Sie gehörte einer Seitenlinie des
mehr durch die große Zahl seiner Heinriche als durch politische Bedeutung be¬
merkenswerthen kleinen reußischen Fürstenhauses an, und diese Seitenlinie
Ward, als der Großherzog sich verlobte, in dem sonst vollständigen genealogischen
Theile des mecklenburg-schwerinschen Staatskalendcrs vergeblich aufgesucht. Erst
im nächsten Jahrgang desselben konnte diese Lücke in den Nachrichten über das
Haus Neuß ausgefüllt werden. Schon in dieser Obscurität der Linie, welcher die
Prinzessin angehörte, fand der Adel erwünschten Stoff zu pikanten Bemerkungen,
und man konnte in junkerlichen Kreisen in sehr sarkastischen und respcctwidrigen
Ausdrücken von der Verlobten des constitutionellen Großherzogs reden hören.
Man erkühnte sich sogar, die Ebenbürtigkeit dieser Linie des Hauses Neuß in
Zweifel zu ziehen. Man glaubte sich zur Unterstützung dieser Ansicht auf den
Umstand berufen zu dürfen, daß unter den Ahnen der Prinzessin sich eine ge¬
borene Freiin v. Genter, genannt Rabensteiner, als Großmutter väterlicherseits,
und eine geborene Gräfin zu Stolberg-Wernigerode als Mutter fand.

Zu den Machinationen der politischen Reaction gesellten sich die nur etwas
leiser einhergehenden der kirchlichen Reaction. Die Kirchenmänner fanden, daß
der constitutionelle Staat mit seinen Grundrechten, seiner Unabhängigkeit der
staatsbürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntniß, seiner Verselbständigung
der Schule, seiner Civilehe u. s. w. in vielen Punkten zu den Vsrstcllungen
in Gegensatz stand, welche sie sich über das Wesen der Kirche und den diesem
Wesen entsprechenden Verfassungsorganismus gebildet hatten. Sie fühlten sich
durch Sonderung der Grenzen zwischen Staat und Kirche in ihren hierarchischen
Neigungen bedroht und hielten die Kirche für gefährdet, wenn sie ihre Herr¬
schaft über die Menschen nicht mehr auf die Mitwirkung des weltlichen Armes
und des polizeilichen Zwanges stützen könne. Hieraus leiteten sie ihre Aus¬
übe ab, für die Rückgängigmachung des auf politischem Gebiet Geschehenen
alle Kräfte aufzubieten.

Im December des Jahres 1848 hatte der Großherzog eine "Kirchcncom-
mission" eingesetzt, welche den Auftrag empfangen hatte, die aus der Verän¬
derung der Staatsform sich als nothwendig ergebenden Veränderungen im


Freunden die Anzeige zu machen, daß sie zu diesen Festlichkeiten sich nicht
einfinden würden. Man zählte denn auch wirtlich an der fürstlichen Festtafel
kaum ein halbes Dutzend adliger Gutsbesitzer. Wie vom Hose überhaupt, so
zoa, sich die Junkerschaft namentlich auch von den fürstlichen Jagden zurück.
Man rechnete darauf, daß der Großherzog in dieser Isolirtheit von seinen frü¬
heren Getreuen sich unbehaglich fühlen und nach einem Mittel suchen würde,
die Kluft zu beseitigen. Es war dies aber um keinen geringeren Preis als
durch Wiederherstellung des alten Ständewesens zu erlangen.

Auch gegen die junge Gemahlin des Großherzogs wandte sich die Ver¬
folgungssucht der erbitterten Aristokratie. Sie gehörte einer Seitenlinie des
mehr durch die große Zahl seiner Heinriche als durch politische Bedeutung be¬
merkenswerthen kleinen reußischen Fürstenhauses an, und diese Seitenlinie
Ward, als der Großherzog sich verlobte, in dem sonst vollständigen genealogischen
Theile des mecklenburg-schwerinschen Staatskalendcrs vergeblich aufgesucht. Erst
im nächsten Jahrgang desselben konnte diese Lücke in den Nachrichten über das
Haus Neuß ausgefüllt werden. Schon in dieser Obscurität der Linie, welcher die
Prinzessin angehörte, fand der Adel erwünschten Stoff zu pikanten Bemerkungen,
und man konnte in junkerlichen Kreisen in sehr sarkastischen und respcctwidrigen
Ausdrücken von der Verlobten des constitutionellen Großherzogs reden hören.
Man erkühnte sich sogar, die Ebenbürtigkeit dieser Linie des Hauses Neuß in
Zweifel zu ziehen. Man glaubte sich zur Unterstützung dieser Ansicht auf den
Umstand berufen zu dürfen, daß unter den Ahnen der Prinzessin sich eine ge¬
borene Freiin v. Genter, genannt Rabensteiner, als Großmutter väterlicherseits,
und eine geborene Gräfin zu Stolberg-Wernigerode als Mutter fand.

Zu den Machinationen der politischen Reaction gesellten sich die nur etwas
leiser einhergehenden der kirchlichen Reaction. Die Kirchenmänner fanden, daß
der constitutionelle Staat mit seinen Grundrechten, seiner Unabhängigkeit der
staatsbürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntniß, seiner Verselbständigung
der Schule, seiner Civilehe u. s. w. in vielen Punkten zu den Vsrstcllungen
in Gegensatz stand, welche sie sich über das Wesen der Kirche und den diesem
Wesen entsprechenden Verfassungsorganismus gebildet hatten. Sie fühlten sich
durch Sonderung der Grenzen zwischen Staat und Kirche in ihren hierarchischen
Neigungen bedroht und hielten die Kirche für gefährdet, wenn sie ihre Herr¬
schaft über die Menschen nicht mehr auf die Mitwirkung des weltlichen Armes
und des polizeilichen Zwanges stützen könne. Hieraus leiteten sie ihre Aus¬
übe ab, für die Rückgängigmachung des auf politischem Gebiet Geschehenen
alle Kräfte aufzubieten.

Im December des Jahres 1848 hatte der Großherzog eine „Kirchcncom-
mission" eingesetzt, welche den Auftrag empfangen hatte, die aus der Verän¬
derung der Staatsform sich als nothwendig ergebenden Veränderungen im


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188284"/>
            <p xml:id="ID_817" prev="#ID_816"> Freunden die Anzeige zu machen, daß sie zu diesen Festlichkeiten sich nicht<lb/>
einfinden würden. Man zählte denn auch wirtlich an der fürstlichen Festtafel<lb/>
kaum ein halbes Dutzend adliger Gutsbesitzer. Wie vom Hose überhaupt, so<lb/>
zoa, sich die Junkerschaft namentlich auch von den fürstlichen Jagden zurück.<lb/>
Man rechnete darauf, daß der Großherzog in dieser Isolirtheit von seinen frü¬<lb/>
heren Getreuen sich unbehaglich fühlen und nach einem Mittel suchen würde,<lb/>
die Kluft zu beseitigen. Es war dies aber um keinen geringeren Preis als<lb/>
durch Wiederherstellung des alten Ständewesens zu erlangen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_818"> Auch gegen die junge Gemahlin des Großherzogs wandte sich die Ver¬<lb/>
folgungssucht der erbitterten Aristokratie. Sie gehörte einer Seitenlinie des<lb/>
mehr durch die große Zahl seiner Heinriche als durch politische Bedeutung be¬<lb/>
merkenswerthen kleinen reußischen Fürstenhauses an, und diese Seitenlinie<lb/>
Ward, als der Großherzog sich verlobte, in dem sonst vollständigen genealogischen<lb/>
Theile des mecklenburg-schwerinschen Staatskalendcrs vergeblich aufgesucht. Erst<lb/>
im nächsten Jahrgang desselben konnte diese Lücke in den Nachrichten über das<lb/>
Haus Neuß ausgefüllt werden. Schon in dieser Obscurität der Linie, welcher die<lb/>
Prinzessin angehörte, fand der Adel erwünschten Stoff zu pikanten Bemerkungen,<lb/>
und man konnte in junkerlichen Kreisen in sehr sarkastischen und respcctwidrigen<lb/>
Ausdrücken von der Verlobten des constitutionellen Großherzogs reden hören.<lb/>
Man erkühnte sich sogar, die Ebenbürtigkeit dieser Linie des Hauses Neuß in<lb/>
Zweifel zu ziehen. Man glaubte sich zur Unterstützung dieser Ansicht auf den<lb/>
Umstand berufen zu dürfen, daß unter den Ahnen der Prinzessin sich eine ge¬<lb/>
borene Freiin v. Genter, genannt Rabensteiner, als Großmutter väterlicherseits,<lb/>
und eine geborene Gräfin zu Stolberg-Wernigerode als Mutter fand.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_819"> Zu den Machinationen der politischen Reaction gesellten sich die nur etwas<lb/>
leiser einhergehenden der kirchlichen Reaction. Die Kirchenmänner fanden, daß<lb/>
der constitutionelle Staat mit seinen Grundrechten, seiner Unabhängigkeit der<lb/>
staatsbürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntniß, seiner Verselbständigung<lb/>
der Schule, seiner Civilehe u. s. w. in vielen Punkten zu den Vsrstcllungen<lb/>
in Gegensatz stand, welche sie sich über das Wesen der Kirche und den diesem<lb/>
Wesen entsprechenden Verfassungsorganismus gebildet hatten. Sie fühlten sich<lb/>
durch Sonderung der Grenzen zwischen Staat und Kirche in ihren hierarchischen<lb/>
Neigungen bedroht und hielten die Kirche für gefährdet, wenn sie ihre Herr¬<lb/>
schaft über die Menschen nicht mehr auf die Mitwirkung des weltlichen Armes<lb/>
und des polizeilichen Zwanges stützen könne. Hieraus leiteten sie ihre Aus¬<lb/>
übe ab, für die Rückgängigmachung des auf politischem Gebiet Geschehenen<lb/>
alle Kräfte aufzubieten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_820" next="#ID_821"> Im December des Jahres 1848 hatte der Großherzog eine &#x201E;Kirchcncom-<lb/>
mission" eingesetzt, welche den Auftrag empfangen hatte, die aus der Verän¬<lb/>
derung der Staatsform sich als nothwendig ergebenden Veränderungen im</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257] Freunden die Anzeige zu machen, daß sie zu diesen Festlichkeiten sich nicht einfinden würden. Man zählte denn auch wirtlich an der fürstlichen Festtafel kaum ein halbes Dutzend adliger Gutsbesitzer. Wie vom Hose überhaupt, so zoa, sich die Junkerschaft namentlich auch von den fürstlichen Jagden zurück. Man rechnete darauf, daß der Großherzog in dieser Isolirtheit von seinen frü¬ heren Getreuen sich unbehaglich fühlen und nach einem Mittel suchen würde, die Kluft zu beseitigen. Es war dies aber um keinen geringeren Preis als durch Wiederherstellung des alten Ständewesens zu erlangen. Auch gegen die junge Gemahlin des Großherzogs wandte sich die Ver¬ folgungssucht der erbitterten Aristokratie. Sie gehörte einer Seitenlinie des mehr durch die große Zahl seiner Heinriche als durch politische Bedeutung be¬ merkenswerthen kleinen reußischen Fürstenhauses an, und diese Seitenlinie Ward, als der Großherzog sich verlobte, in dem sonst vollständigen genealogischen Theile des mecklenburg-schwerinschen Staatskalendcrs vergeblich aufgesucht. Erst im nächsten Jahrgang desselben konnte diese Lücke in den Nachrichten über das Haus Neuß ausgefüllt werden. Schon in dieser Obscurität der Linie, welcher die Prinzessin angehörte, fand der Adel erwünschten Stoff zu pikanten Bemerkungen, und man konnte in junkerlichen Kreisen in sehr sarkastischen und respcctwidrigen Ausdrücken von der Verlobten des constitutionellen Großherzogs reden hören. Man erkühnte sich sogar, die Ebenbürtigkeit dieser Linie des Hauses Neuß in Zweifel zu ziehen. Man glaubte sich zur Unterstützung dieser Ansicht auf den Umstand berufen zu dürfen, daß unter den Ahnen der Prinzessin sich eine ge¬ borene Freiin v. Genter, genannt Rabensteiner, als Großmutter väterlicherseits, und eine geborene Gräfin zu Stolberg-Wernigerode als Mutter fand. Zu den Machinationen der politischen Reaction gesellten sich die nur etwas leiser einhergehenden der kirchlichen Reaction. Die Kirchenmänner fanden, daß der constitutionelle Staat mit seinen Grundrechten, seiner Unabhängigkeit der staatsbürgerlichen Rechte vom religiösen Bekenntniß, seiner Verselbständigung der Schule, seiner Civilehe u. s. w. in vielen Punkten zu den Vsrstcllungen in Gegensatz stand, welche sie sich über das Wesen der Kirche und den diesem Wesen entsprechenden Verfassungsorganismus gebildet hatten. Sie fühlten sich durch Sonderung der Grenzen zwischen Staat und Kirche in ihren hierarchischen Neigungen bedroht und hielten die Kirche für gefährdet, wenn sie ihre Herr¬ schaft über die Menschen nicht mehr auf die Mitwirkung des weltlichen Armes und des polizeilichen Zwanges stützen könne. Hieraus leiteten sie ihre Aus¬ übe ab, für die Rückgängigmachung des auf politischem Gebiet Geschehenen alle Kräfte aufzubieten. Im December des Jahres 1848 hatte der Großherzog eine „Kirchcncom- mission" eingesetzt, welche den Auftrag empfangen hatte, die aus der Verän¬ derung der Staatsform sich als nothwendig ergebenden Veränderungen im

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/257
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/257>, abgerufen am 27.09.2024.