Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die bevorstehenden Wahlen in Hannover.

Gleich der bayerischen Regierung hat auch die hannoversche geglaubt, die
fälligen Wahlen zur Ständeversammlung vornehmen lassen zu sollen, solange
das bismarcksche Regiment in Preußen der Nationalpartei ihre hauptsächliche
Hoffnung zu entziehen scheint. Wie in Bayern, so ist in Hannover den Wabl¬
ausschreiben eine lebhafte Thätigkeit der großdcutschen Partei in ihren neu-
gebildeten Vereinen vorhergegangen. Auch ist die hannoversche Fortschritts¬
partei durch den Entschluß der Negierung ebenfalls ein wenig überrascht worden.
Ohne ein volles Maß von Energie und Takt wird sie im Wahlkampf geschlagen
Werden. Im Uebrigen aber hat sie die Gunst eines gründlich vorbereiteten
Bodens und einer leicht zu benutzenden alten Organisation vor ihrer bayerischen
Schwester voraus, so daß sie nicht wie diese blos für eine numerisch und
moralisch verstärkte Minderheit, sondern für die Mehrheit in der Volks¬
vertretung kämpft.

Die Erinnerung an das pfordten-reigersbergsche Regiment, das 1858
fiel, ist in Bayern schon ziemlich erloschen; das Gedächtniß der Grafen Bor¬
ries und Kielmansegge ist in Hannover noch frisch genug, um auf die poli¬
tische Haltung des Volks seinen Einfluß zu üben. Die bayerische Reaction
hatte sich zudem wenigstens der Octroyirungen enthalten, in denen die hanno¬
versche Reaction förmlich geschwelgt hat. König Max endlich hat die Noth¬
wendigkeit des Liberalismus offenbar bis auf einen gewissen Punkt begriffen
und verwendet ihn unter anderm auch als ein Element seiner auswärtigen
Politik, während von König Georg noch nicht feststeht, ob er den Absolutis¬
mus wirklich für eine überwundene und unmöglich gewordene Staatsform ansieht.
Diese Unterschiede lassen in dem nördlichen Mittelstaat noch kein volles Behagen
im Innern aufkommen, so angenehm man auch den Gegensatz zwischen Hammer¬
stein und Borries, zwischen Erxleben und Kielmansegge, zwischen Lichtenberg
und Boehmer empfindet, und so wenig man gewillt ist, einem versöhnlichen Ent¬
gegenkommen der neuen Minister gegenüber lediglich ablehnend aufzutreten.

Die schwache Seite der Regierung ist ihre großdcutsche particularistische
Politik in vaterländischen Fragen. Aber diese wird jetzt einigermaßen gedeckt


Grenzboten II. 1LL3. 31
Die bevorstehenden Wahlen in Hannover.

Gleich der bayerischen Regierung hat auch die hannoversche geglaubt, die
fälligen Wahlen zur Ständeversammlung vornehmen lassen zu sollen, solange
das bismarcksche Regiment in Preußen der Nationalpartei ihre hauptsächliche
Hoffnung zu entziehen scheint. Wie in Bayern, so ist in Hannover den Wabl¬
ausschreiben eine lebhafte Thätigkeit der großdcutschen Partei in ihren neu-
gebildeten Vereinen vorhergegangen. Auch ist die hannoversche Fortschritts¬
partei durch den Entschluß der Negierung ebenfalls ein wenig überrascht worden.
Ohne ein volles Maß von Energie und Takt wird sie im Wahlkampf geschlagen
Werden. Im Uebrigen aber hat sie die Gunst eines gründlich vorbereiteten
Bodens und einer leicht zu benutzenden alten Organisation vor ihrer bayerischen
Schwester voraus, so daß sie nicht wie diese blos für eine numerisch und
moralisch verstärkte Minderheit, sondern für die Mehrheit in der Volks¬
vertretung kämpft.

Die Erinnerung an das pfordten-reigersbergsche Regiment, das 1858
fiel, ist in Bayern schon ziemlich erloschen; das Gedächtniß der Grafen Bor¬
ries und Kielmansegge ist in Hannover noch frisch genug, um auf die poli¬
tische Haltung des Volks seinen Einfluß zu üben. Die bayerische Reaction
hatte sich zudem wenigstens der Octroyirungen enthalten, in denen die hanno¬
versche Reaction förmlich geschwelgt hat. König Max endlich hat die Noth¬
wendigkeit des Liberalismus offenbar bis auf einen gewissen Punkt begriffen
und verwendet ihn unter anderm auch als ein Element seiner auswärtigen
Politik, während von König Georg noch nicht feststeht, ob er den Absolutis¬
mus wirklich für eine überwundene und unmöglich gewordene Staatsform ansieht.
Diese Unterschiede lassen in dem nördlichen Mittelstaat noch kein volles Behagen
im Innern aufkommen, so angenehm man auch den Gegensatz zwischen Hammer¬
stein und Borries, zwischen Erxleben und Kielmansegge, zwischen Lichtenberg
und Boehmer empfindet, und so wenig man gewillt ist, einem versöhnlichen Ent¬
gegenkommen der neuen Minister gegenüber lediglich ablehnend aufzutreten.

Die schwache Seite der Regierung ist ihre großdcutsche particularistische
Politik in vaterländischen Fragen. Aber diese wird jetzt einigermaßen gedeckt


Grenzboten II. 1LL3. 31
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0245" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188272"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die bevorstehenden Wahlen in Hannover.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_780"> Gleich der bayerischen Regierung hat auch die hannoversche geglaubt, die<lb/>
fälligen Wahlen zur Ständeversammlung vornehmen lassen zu sollen, solange<lb/>
das bismarcksche Regiment in Preußen der Nationalpartei ihre hauptsächliche<lb/>
Hoffnung zu entziehen scheint. Wie in Bayern, so ist in Hannover den Wabl¬<lb/>
ausschreiben eine lebhafte Thätigkeit der großdcutschen Partei in ihren neu-<lb/>
gebildeten Vereinen vorhergegangen. Auch ist die hannoversche Fortschritts¬<lb/>
partei durch den Entschluß der Negierung ebenfalls ein wenig überrascht worden.<lb/>
Ohne ein volles Maß von Energie und Takt wird sie im Wahlkampf geschlagen<lb/>
Werden. Im Uebrigen aber hat sie die Gunst eines gründlich vorbereiteten<lb/>
Bodens und einer leicht zu benutzenden alten Organisation vor ihrer bayerischen<lb/>
Schwester voraus, so daß sie nicht wie diese blos für eine numerisch und<lb/>
moralisch verstärkte Minderheit, sondern für die Mehrheit in der Volks¬<lb/>
vertretung kämpft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_781"> Die Erinnerung an das pfordten-reigersbergsche Regiment, das 1858<lb/>
fiel, ist in Bayern schon ziemlich erloschen; das Gedächtniß der Grafen Bor¬<lb/>
ries und Kielmansegge ist in Hannover noch frisch genug, um auf die poli¬<lb/>
tische Haltung des Volks seinen Einfluß zu üben. Die bayerische Reaction<lb/>
hatte sich zudem wenigstens der Octroyirungen enthalten, in denen die hanno¬<lb/>
versche Reaction förmlich geschwelgt hat. König Max endlich hat die Noth¬<lb/>
wendigkeit des Liberalismus offenbar bis auf einen gewissen Punkt begriffen<lb/>
und verwendet ihn unter anderm auch als ein Element seiner auswärtigen<lb/>
Politik, während von König Georg noch nicht feststeht, ob er den Absolutis¬<lb/>
mus wirklich für eine überwundene und unmöglich gewordene Staatsform ansieht.<lb/>
Diese Unterschiede lassen in dem nördlichen Mittelstaat noch kein volles Behagen<lb/>
im Innern aufkommen, so angenehm man auch den Gegensatz zwischen Hammer¬<lb/>
stein und Borries, zwischen Erxleben und Kielmansegge, zwischen Lichtenberg<lb/>
und Boehmer empfindet, und so wenig man gewillt ist, einem versöhnlichen Ent¬<lb/>
gegenkommen der neuen Minister gegenüber lediglich ablehnend aufzutreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_782" next="#ID_783"> Die schwache Seite der Regierung ist ihre großdcutsche particularistische<lb/>
Politik in vaterländischen Fragen.  Aber diese wird jetzt einigermaßen gedeckt</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1LL3. 31</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0245] Die bevorstehenden Wahlen in Hannover. Gleich der bayerischen Regierung hat auch die hannoversche geglaubt, die fälligen Wahlen zur Ständeversammlung vornehmen lassen zu sollen, solange das bismarcksche Regiment in Preußen der Nationalpartei ihre hauptsächliche Hoffnung zu entziehen scheint. Wie in Bayern, so ist in Hannover den Wabl¬ ausschreiben eine lebhafte Thätigkeit der großdcutschen Partei in ihren neu- gebildeten Vereinen vorhergegangen. Auch ist die hannoversche Fortschritts¬ partei durch den Entschluß der Negierung ebenfalls ein wenig überrascht worden. Ohne ein volles Maß von Energie und Takt wird sie im Wahlkampf geschlagen Werden. Im Uebrigen aber hat sie die Gunst eines gründlich vorbereiteten Bodens und einer leicht zu benutzenden alten Organisation vor ihrer bayerischen Schwester voraus, so daß sie nicht wie diese blos für eine numerisch und moralisch verstärkte Minderheit, sondern für die Mehrheit in der Volks¬ vertretung kämpft. Die Erinnerung an das pfordten-reigersbergsche Regiment, das 1858 fiel, ist in Bayern schon ziemlich erloschen; das Gedächtniß der Grafen Bor¬ ries und Kielmansegge ist in Hannover noch frisch genug, um auf die poli¬ tische Haltung des Volks seinen Einfluß zu üben. Die bayerische Reaction hatte sich zudem wenigstens der Octroyirungen enthalten, in denen die hanno¬ versche Reaction förmlich geschwelgt hat. König Max endlich hat die Noth¬ wendigkeit des Liberalismus offenbar bis auf einen gewissen Punkt begriffen und verwendet ihn unter anderm auch als ein Element seiner auswärtigen Politik, während von König Georg noch nicht feststeht, ob er den Absolutis¬ mus wirklich für eine überwundene und unmöglich gewordene Staatsform ansieht. Diese Unterschiede lassen in dem nördlichen Mittelstaat noch kein volles Behagen im Innern aufkommen, so angenehm man auch den Gegensatz zwischen Hammer¬ stein und Borries, zwischen Erxleben und Kielmansegge, zwischen Lichtenberg und Boehmer empfindet, und so wenig man gewillt ist, einem versöhnlichen Ent¬ gegenkommen der neuen Minister gegenüber lediglich ablehnend aufzutreten. Die schwache Seite der Regierung ist ihre großdcutsche particularistische Politik in vaterländischen Fragen. Aber diese wird jetzt einigermaßen gedeckt Grenzboten II. 1LL3. 31

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/245
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/245>, abgerufen am 27.09.2024.