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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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verhält, wie etwa eine der mittelalterlichen Burgen auf classischem Boden zu
dem antiken Prachtbau, aus dessen Trümmern sie aufgeführt ward.

So aber ist es. Unsere heutige Flora, schön, bunt und mannigfaltig,
wie sie für sich betrachtet erscheinen mag. -- sie hält nicht den Vergleich aus
mit der einer geologisch nicht weit zurückliegenden Zeit; einer Zeit, die dem
Auftreten des Mammuth und des Menschen in Europa nahe vorausging. Es
sei uns vergönnt, zur Beranschaulichung dieser Thatsache die Ergebnisse der Unter¬
suchungen aus diesem Gebiete, unter denen die O. Heers in Zürich die hervor¬
ragendste Stelle einnehmen, in kurzer Uebersicht darzulegen.

Aus keiner der vergangenen geologischen Perioden sind zahlreichere und
besser erhaltene Pflanzenreste auf uns gekommen, als aus der tertiären oder
Braunkohlenperiode, insbesondere aus den letzten Zeiten derselben. Die Er¬
haltung der Form, unter Umständen selbst der Substanz der Pflanzentheile ist
oft wunderbar vollständig. Auf zwei verschiedenen Wegen hat die Natur die
feinsten Einzelnheiten des Baues organischer Gebilde jener weit zurückliegenden
Zeit uns bewahrt. Thiere oder Pflanzentheile wurden in den Schlamm ein¬
geschlossen, ^der auf dem Boden stehender oder langsam fließender Gewässer
sich absetzte. Wo die Niederschlagung dieses Schlammes rasch und in sehr klei¬
nen Theilchen erfolgte, da wurden die organischen Körper so bald in denselben^
eingeschlossen, ihre Gestalt so vollständig in ihm abgedrückt, daß selbst Einzeln-,
selten der Form noch erkannt werden können, die nur mikroskopisch wahr¬
nehmbar sind. So besonders in den feinkörnigen, in der Hauptsache aus '"
kohlensaurem Kalk bestehenden Schichten der Tertiärzeit. Dem Reichthum an
wohlerhaltenen solchen Petrefacten verdanken die Steinbrüche von Oeningen
am Bodensee ihre hohe palaevntolvgische Berühmtheit. Noch vollendetes ist
die Erhaltung der organischen Neste, wenn dieselben von flüssigem Harz umhW
wurden, welches später verhärtete. Die Einschlüsse im Bernstein zeigen z. B.
an den aufgesprungenen Früchten gewisser Moose noch Theile des Inhalts der
geöffneten Kapseln an Ort und Stelle, welche ein starker Windstoß hinwegzu-
sühren im Stande ist.

So gut erhaltenes Material gestattete eine tief eingehende Untersuchung.
Bon den, 920 verschiedenen Pflanzenformen angehörigen Petrefacten aus ter¬
tiären Schichten der Schweiz, welche Heer vorgelegen haben, waren nur 70
so unvollständig, daß ihre botanische Bestimmung nicht mit Sicherheit unter¬
nommen werden konnte. Bleiben 850 Arten. Die gegenwärtige Flora der
Schweiz, zu der die Pflanze" der Hochgebirge und des südlichen Fußes der
Alpen ein beträchtliches Contingent stellen, zählt deren nicht ganz dreimal so
viel. Jene Tertiärpflanzen aber stammen nur' aus einem Flach- und Hügel¬
lande, dessen Areal höchstens ein Fünftel von dem der Schweiz beträgt. Und
mehr noch als dieser Umstand ist bei der Vergleichung beider Floren im Auge


verhält, wie etwa eine der mittelalterlichen Burgen auf classischem Boden zu
dem antiken Prachtbau, aus dessen Trümmern sie aufgeführt ward.

So aber ist es. Unsere heutige Flora, schön, bunt und mannigfaltig,
wie sie für sich betrachtet erscheinen mag. — sie hält nicht den Vergleich aus
mit der einer geologisch nicht weit zurückliegenden Zeit; einer Zeit, die dem
Auftreten des Mammuth und des Menschen in Europa nahe vorausging. Es
sei uns vergönnt, zur Beranschaulichung dieser Thatsache die Ergebnisse der Unter¬
suchungen aus diesem Gebiete, unter denen die O. Heers in Zürich die hervor¬
ragendste Stelle einnehmen, in kurzer Uebersicht darzulegen.

Aus keiner der vergangenen geologischen Perioden sind zahlreichere und
besser erhaltene Pflanzenreste auf uns gekommen, als aus der tertiären oder
Braunkohlenperiode, insbesondere aus den letzten Zeiten derselben. Die Er¬
haltung der Form, unter Umständen selbst der Substanz der Pflanzentheile ist
oft wunderbar vollständig. Auf zwei verschiedenen Wegen hat die Natur die
feinsten Einzelnheiten des Baues organischer Gebilde jener weit zurückliegenden
Zeit uns bewahrt. Thiere oder Pflanzentheile wurden in den Schlamm ein¬
geschlossen, ^der auf dem Boden stehender oder langsam fließender Gewässer
sich absetzte. Wo die Niederschlagung dieses Schlammes rasch und in sehr klei¬
nen Theilchen erfolgte, da wurden die organischen Körper so bald in denselben^
eingeschlossen, ihre Gestalt so vollständig in ihm abgedrückt, daß selbst Einzeln-,
selten der Form noch erkannt werden können, die nur mikroskopisch wahr¬
nehmbar sind. So besonders in den feinkörnigen, in der Hauptsache aus '"
kohlensaurem Kalk bestehenden Schichten der Tertiärzeit. Dem Reichthum an
wohlerhaltenen solchen Petrefacten verdanken die Steinbrüche von Oeningen
am Bodensee ihre hohe palaevntolvgische Berühmtheit. Noch vollendetes ist
die Erhaltung der organischen Neste, wenn dieselben von flüssigem Harz umhW
wurden, welches später verhärtete. Die Einschlüsse im Bernstein zeigen z. B.
an den aufgesprungenen Früchten gewisser Moose noch Theile des Inhalts der
geöffneten Kapseln an Ort und Stelle, welche ein starker Windstoß hinwegzu-
sühren im Stande ist.

So gut erhaltenes Material gestattete eine tief eingehende Untersuchung.
Bon den, 920 verschiedenen Pflanzenformen angehörigen Petrefacten aus ter¬
tiären Schichten der Schweiz, welche Heer vorgelegen haben, waren nur 70
so unvollständig, daß ihre botanische Bestimmung nicht mit Sicherheit unter¬
nommen werden konnte. Bleiben 850 Arten. Die gegenwärtige Flora der
Schweiz, zu der die Pflanze» der Hochgebirge und des südlichen Fußes der
Alpen ein beträchtliches Contingent stellen, zählt deren nicht ganz dreimal so
viel. Jene Tertiärpflanzen aber stammen nur' aus einem Flach- und Hügel¬
lande, dessen Areal höchstens ein Fünftel von dem der Schweiz beträgt. Und
mehr noch als dieser Umstand ist bei der Vergleichung beider Floren im Auge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/230>, abgerufen am 27.09.2024.