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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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Substantielles sein; aber es hat doch mitgewirkt, um den ehrgeizigen Ministe-
rialrath als Wahlmann durchfallen und ihn als Abgeordneten weniger Stimmen
als Professor Pözl, den Führer der Minderheit im Münchener Nesorm-
verein, erlangen zu lassen. Inzwischen ist er in Dillingen ebenfalls gewählt;
Freiherr v. Lerchenfeld aber nicht weniger als fünfmal, ein Zeichen fcstgegrün-
deter Popularität. Trennen sich die Beiden, so wird diesem leidenschaftlichen
und überzeugten Großdeutschen jedenfalls der größere- Anhang folgen, aber
wie gesagt, es ist nicht unmöglich, daß Dr. Weis den Freiherrn v. Lerchen-
feld im Wettlauf des Liberalismus jetzt um eine Nasenlänge hinter sich zu¬
rückläßt.

Das ultramontane Element wird der Mehrheit inskünftige schwerlich
schwächer beigemischt sein als bisher. Es gab indessen doch selbst in Ober¬
bayern Wahlkreise, in denen der Ruf: "Keine Geistliche mehr" sich als eine
Macht erwies. Das erfuhr der scurrile Kapuziner Professor Sepp, als er in
Weilheim versuchte den Dr. Jörg durchzuringen, den Redacteur der von Görres
gegründeten historisch-politischen Blätter. In Niederbayern ist auch früher
selten ein Geistlicher aus der Urne hervorgegangen, und ebensowenig ein Be¬
amter. An der Verminderung der letzteren Art von Abgeordneten hat die Pfalz
diesmal den stärksten Antheil genommen. Ihre Wahl ist gleichbedeutend mit
einem bündigen und einhelligen Verdammungsurtheil über den Pascha, welchen
man ihr gesetzt hat, den Regierungspräsidenten v. Hohe, dessen Tage in Speyer
nun hoffentlich gezählt sind.

Unter den frischen Kräften, welche die Fortschrittspartei gewonnen hat, ist
Professor Hofmann aus Erlangen hervorzuheben, der berühmte Theologe und
Redner. Da er sich unbedingt zu dem Programm der Fortschrittspartei bekannt
hat. so ist er ein weiteres Beispiel für die starke und allgemeine Strömung,
welche seit einigen Jahren wahrhaft fromme, ja strenggläubige Männer in die
Reihen des kämpfenden Liberalismus geführt hat. Dem grvßdeutschen Consistl.'-
rialprästdenten v. Harleß tritt damit in seinem bisherigen Freunde ein vollkom¬
men ebenbürtiger Gegner gegenüber, und die kirchliche Fortschrittsbewegung
wird wohl durch Hofmann nun auch in das rechtsrheinische Bayern verpflanzt
werden.

Von den alten Führern der Fortschrittspartei ist keiner ungewählt geblie¬
ben. Volk und Barch haben sich sogar unter Doppelwahlcn zu entscheiden.
Für Brater und Cramer hat von sämmtlichen Wahlmänncrn Nürnbergs nur
Einer nicht gestimmt -- ein etwas kümmerlicher Erfolg für all den reinen und
schmutzigen Eifer, der gegen sie aufgewendet worden war. Innerlich gestärkt,
von einer namhaft vermehrten Partei umgeben und aus zuverlässige Freunde
fast in allen Provinzen des Landes gestützt, werden sie in der Kammer ihren
Stand einnehmen, ohne unmittelbaren Einfluß auf die Negierung und von der


Substantielles sein; aber es hat doch mitgewirkt, um den ehrgeizigen Ministe-
rialrath als Wahlmann durchfallen und ihn als Abgeordneten weniger Stimmen
als Professor Pözl, den Führer der Minderheit im Münchener Nesorm-
verein, erlangen zu lassen. Inzwischen ist er in Dillingen ebenfalls gewählt;
Freiherr v. Lerchenfeld aber nicht weniger als fünfmal, ein Zeichen fcstgegrün-
deter Popularität. Trennen sich die Beiden, so wird diesem leidenschaftlichen
und überzeugten Großdeutschen jedenfalls der größere- Anhang folgen, aber
wie gesagt, es ist nicht unmöglich, daß Dr. Weis den Freiherrn v. Lerchen-
feld im Wettlauf des Liberalismus jetzt um eine Nasenlänge hinter sich zu¬
rückläßt.

Das ultramontane Element wird der Mehrheit inskünftige schwerlich
schwächer beigemischt sein als bisher. Es gab indessen doch selbst in Ober¬
bayern Wahlkreise, in denen der Ruf: „Keine Geistliche mehr" sich als eine
Macht erwies. Das erfuhr der scurrile Kapuziner Professor Sepp, als er in
Weilheim versuchte den Dr. Jörg durchzuringen, den Redacteur der von Görres
gegründeten historisch-politischen Blätter. In Niederbayern ist auch früher
selten ein Geistlicher aus der Urne hervorgegangen, und ebensowenig ein Be¬
amter. An der Verminderung der letzteren Art von Abgeordneten hat die Pfalz
diesmal den stärksten Antheil genommen. Ihre Wahl ist gleichbedeutend mit
einem bündigen und einhelligen Verdammungsurtheil über den Pascha, welchen
man ihr gesetzt hat, den Regierungspräsidenten v. Hohe, dessen Tage in Speyer
nun hoffentlich gezählt sind.

Unter den frischen Kräften, welche die Fortschrittspartei gewonnen hat, ist
Professor Hofmann aus Erlangen hervorzuheben, der berühmte Theologe und
Redner. Da er sich unbedingt zu dem Programm der Fortschrittspartei bekannt
hat. so ist er ein weiteres Beispiel für die starke und allgemeine Strömung,
welche seit einigen Jahren wahrhaft fromme, ja strenggläubige Männer in die
Reihen des kämpfenden Liberalismus geführt hat. Dem grvßdeutschen Consistl.'-
rialprästdenten v. Harleß tritt damit in seinem bisherigen Freunde ein vollkom¬
men ebenbürtiger Gegner gegenüber, und die kirchliche Fortschrittsbewegung
wird wohl durch Hofmann nun auch in das rechtsrheinische Bayern verpflanzt
werden.

Von den alten Führern der Fortschrittspartei ist keiner ungewählt geblie¬
ben. Volk und Barch haben sich sogar unter Doppelwahlcn zu entscheiden.
Für Brater und Cramer hat von sämmtlichen Wahlmänncrn Nürnbergs nur
Einer nicht gestimmt — ein etwas kümmerlicher Erfolg für all den reinen und
schmutzigen Eifer, der gegen sie aufgewendet worden war. Innerlich gestärkt,
von einer namhaft vermehrten Partei umgeben und aus zuverlässige Freunde
fast in allen Provinzen des Landes gestützt, werden sie in der Kammer ihren
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/208>, abgerufen am 27.09.2024.