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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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nennen, daß ihre Zahl in der nächsten Kammer auch ohne die Pfälzer und
Niederbayern beinahe verdoppelt sein wird, und nur durch das aufgewandte
Maß von Energie und Takt zu erklären.

Auch der deutsch-französische Handelsvertrag und der an ihn geknüpfte Be¬
stand des Zollvereins war für die Fortschrittspartei weniger ein Kampfmittel,
als eine Quelle von Verlegenheiten. Die drohende Auflösung des Zollverbands
steht noch nicht nahe genug in Aussicht, um die Gemüther schon im Tiefsten auf¬
zuregen; und die preußische Politik ist jetzt so beschaffen, daß Niemand vollkommen
gewiß sein kann, ob sie selbst nur in dieser ernsten und nüchternen Angelegenheit
zwei Jahre lang sich selber treu bleiben wird. Sie demüthigt sich in diesem
Augenblicke vor dem schwergekränkten Oestreich: wie, wenn Oestreich auf dem
Opfer des Handelsvertrags bestände? und wenn Preußen, um den Schatten
der heiligen Allianz zu erHaschen, den handelspolitischen Fortschritt d. l-r Mops
ins Wasser fallen ließe? Dieses Aeußerste von Selbstentäußerung ist natürlich
noch abzuwarten, aber eine Ahnung, daß es so kommen könne, mußte sich unwill¬
kürlich aufdringen, und schlug die Freunde des Handelsvertrags mit Lähmung.
Unbedingt werden sich im Augenblicke wohl nur einige Pfälzer für denselben
erklären; und auch bedingter Maßen kann er nur dann auf Annahme rechnen,
wenn Preußen zuvor den Verlornen Ruf der Loyalität und intcrcssemäßigcn
Konsequenz wiederherstellt.

Ob die großdeutsche Mehrheit sich zu einem oder zwei Clubs sammeln
wird, bleibt abzuwarten. Ein unterrichteter Beobachter nahm kurz Vor den
Urwähler an, es werde sich unter Lerchenfeld eine gemäßigte und unter Weis
"ne äußerste Rechte bilden. Die letztere dieser beiden einflußreichen Persönlich¬
keiten hat bei der Wahl in München indessen eine Rolle gespielt, welche sie
vielleicht verführt, sich im Liberalismus keinen andern Großdeutschen von der
stritten Observanz zuvorkommen zu lassen. Als Präsident des Münchener Ne-
formvereins hatte Dr. Weis ein strenges und scharfes Regiment geführt, die
sanfte Opposition des Professor Pözsnicht aufkommen lassen, zu dem allgemei¬
nen deutschen Reformverein gewissermaßen die Stellung eines Vormundes ein¬
genommen. Dies verletzte und verwunderte um so mehr, als er bekanntlich vor
fünf bis sechs Jahren der der Negierung mißliebige Abgeordnete war, dessen
Wahl zum Vicepräsidenten die Auslösung des Hauses hcrbeifülnte. und dessen
Wahl zum Präsidenten nach den Neuwahlen dann den Sturz des Ministeriums
Pfordten-Reigersberg nach sich zog. Aber wenn Herr I)r. Weis jetzt wieder
nach kurzem liberalen Zwischenspiel reactionäre Saiten auszieht, so kehrt er nur
zu gewissen "bedenklichen Antecedentien" zurück, die ihm selbst der großdeutsche
Nürnberger Korrespondent zuerkennt. Es war daher gar nicht unglaublich.
Wenn das Gerücht ihm Absichten auf das Portefeuille der Justiz in einem
abermaligen Neactionsministerium beimaß. An diesem Gerücht soll nichts


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nennen, daß ihre Zahl in der nächsten Kammer auch ohne die Pfälzer und
Niederbayern beinahe verdoppelt sein wird, und nur durch das aufgewandte
Maß von Energie und Takt zu erklären.

Auch der deutsch-französische Handelsvertrag und der an ihn geknüpfte Be¬
stand des Zollvereins war für die Fortschrittspartei weniger ein Kampfmittel,
als eine Quelle von Verlegenheiten. Die drohende Auflösung des Zollverbands
steht noch nicht nahe genug in Aussicht, um die Gemüther schon im Tiefsten auf¬
zuregen; und die preußische Politik ist jetzt so beschaffen, daß Niemand vollkommen
gewiß sein kann, ob sie selbst nur in dieser ernsten und nüchternen Angelegenheit
zwei Jahre lang sich selber treu bleiben wird. Sie demüthigt sich in diesem
Augenblicke vor dem schwergekränkten Oestreich: wie, wenn Oestreich auf dem
Opfer des Handelsvertrags bestände? und wenn Preußen, um den Schatten
der heiligen Allianz zu erHaschen, den handelspolitischen Fortschritt d. l-r Mops
ins Wasser fallen ließe? Dieses Aeußerste von Selbstentäußerung ist natürlich
noch abzuwarten, aber eine Ahnung, daß es so kommen könne, mußte sich unwill¬
kürlich aufdringen, und schlug die Freunde des Handelsvertrags mit Lähmung.
Unbedingt werden sich im Augenblicke wohl nur einige Pfälzer für denselben
erklären; und auch bedingter Maßen kann er nur dann auf Annahme rechnen,
wenn Preußen zuvor den Verlornen Ruf der Loyalität und intcrcssemäßigcn
Konsequenz wiederherstellt.

Ob die großdeutsche Mehrheit sich zu einem oder zwei Clubs sammeln
wird, bleibt abzuwarten. Ein unterrichteter Beobachter nahm kurz Vor den
Urwähler an, es werde sich unter Lerchenfeld eine gemäßigte und unter Weis
"ne äußerste Rechte bilden. Die letztere dieser beiden einflußreichen Persönlich¬
keiten hat bei der Wahl in München indessen eine Rolle gespielt, welche sie
vielleicht verführt, sich im Liberalismus keinen andern Großdeutschen von der
stritten Observanz zuvorkommen zu lassen. Als Präsident des Münchener Ne-
formvereins hatte Dr. Weis ein strenges und scharfes Regiment geführt, die
sanfte Opposition des Professor Pözsnicht aufkommen lassen, zu dem allgemei¬
nen deutschen Reformverein gewissermaßen die Stellung eines Vormundes ein¬
genommen. Dies verletzte und verwunderte um so mehr, als er bekanntlich vor
fünf bis sechs Jahren der der Negierung mißliebige Abgeordnete war, dessen
Wahl zum Vicepräsidenten die Auslösung des Hauses hcrbeifülnte. und dessen
Wahl zum Präsidenten nach den Neuwahlen dann den Sturz des Ministeriums
Pfordten-Reigersberg nach sich zog. Aber wenn Herr I)r. Weis jetzt wieder
nach kurzem liberalen Zwischenspiel reactionäre Saiten auszieht, so kehrt er nur
zu gewissen „bedenklichen Antecedentien" zurück, die ihm selbst der großdeutsche
Nürnberger Korrespondent zuerkennt. Es war daher gar nicht unglaublich.
Wenn das Gerücht ihm Absichten auf das Portefeuille der Justiz in einem
abermaligen Neactionsministerium beimaß. An diesem Gerücht soll nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/207>, abgerufen am 27.09.2024.