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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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und käsige Gefühle. In diesem todten Zustande nehme ich dennoch viel Natur-
anschauungen in mich aufi, und verarbeitet die Phantasie manches begonnene
Gedicht. Secbilder und neue Scenen zu meinem Faust. -- Ich werde wohl
4 Wochen hier bleiben, und wenn ich meine Spielverlustc -- gestern hat
sich Fortuna wieder von mir gewendet -- wiedergewinne werde ich wohl nach
Holland gehen. Es liegt eine Süßigkeit eigener Art in dieser unbestimmten
Lebensart, wo alles von der Laune des äußeren Glückes abhängt. Erzähl
nur bei Leibe niemandem von dieser Thorheit. -- Es macht mir Vergnügen
mich Dir in all meinen Schwächen zu zeigen.

Wenn Du bald noch nicht abgeschreckt bist, werde ich Dich Wohl für dieses
ganze Leben, in Liebe und Freundschaft behalten. -- Gott! welche närrische
Unterscheidungen haben wir Deutsche eingeführt! "Liebe und Freundschaft"
"Speck und Schweinefleisch". --

In diesem Augenblick überfällt mich Sentimentalität -- "meine Seele ist
traurig!" -- ich schließe um so schneller.


H. Heine.

"Das Meer war so wild, daß ich oft zu versaufen glaubte. Aber dies
wahlverwandte Element thut mir nichts Schlimmes. Es weiß recht gut, daß
ich noch toller sein kann. Und dann, bin ich nicht der Hofdichter der Nordsee?
-- Sie weiß auch, daß ich noch eine zweite Abtheilung zu schreiben habe."


H- H-

Norderney, d. 4. August' 1826.


Lieber Freund!

Ich kann die Post nicht von hier abgehen lassen ohne einige liebe Grüße
an Dich anzuschicken. Das Bad bekömmt mir sehr gut, und das ist die
Hauptsache die ich Dir mitzutheilen habe. Ich lebe hier nicht so vergnügt wie
vorig Jahr und daran hat gewiß meine Stimmung mehr Schuld als die Men¬
schen hier. Ich hin gegen diese oft ungerecht. So will es mich bisweilen be-
dünken als sei die schöne Frau aus Celle nicht mehr so schön wie 1825. Auch
das Meer erscheint mir nicht mehr so romantisch wie sonst. Und dennoch habe
ich an seinem Strande das süßeste, mystisch lieblichste Ereigniß erlebt, das jemals
einen Poeten begeistern konnte. Der Mond schien mir zeigen zu wollen, daß
in dieser Welt noch Herrlichkeiten für mich vorhanden. -- Wir sprachen kein
Wort. -- Es war nur ein langer, tiefer Blick, der Mond machte die Musik
dazu. -- Im Vorbeigehen faßte ich ihre Hand, und ich fühlte den geheimen
Druck derselben -- meine Seele zitterte und glühte. -- Ich hab nachher
geweint.

Was hilfts! Wenn ich auch kühn genug bin das Glück rasch zu erfassen,
so kann es doch nicht lange festhalten. Ich fürchte es könnte Plötzlich Tag


und käsige Gefühle. In diesem todten Zustande nehme ich dennoch viel Natur-
anschauungen in mich aufi, und verarbeitet die Phantasie manches begonnene
Gedicht. Secbilder und neue Scenen zu meinem Faust. — Ich werde wohl
4 Wochen hier bleiben, und wenn ich meine Spielverlustc — gestern hat
sich Fortuna wieder von mir gewendet — wiedergewinne werde ich wohl nach
Holland gehen. Es liegt eine Süßigkeit eigener Art in dieser unbestimmten
Lebensart, wo alles von der Laune des äußeren Glückes abhängt. Erzähl
nur bei Leibe niemandem von dieser Thorheit. — Es macht mir Vergnügen
mich Dir in all meinen Schwächen zu zeigen.

Wenn Du bald noch nicht abgeschreckt bist, werde ich Dich Wohl für dieses
ganze Leben, in Liebe und Freundschaft behalten. — Gott! welche närrische
Unterscheidungen haben wir Deutsche eingeführt! „Liebe und Freundschaft"
„Speck und Schweinefleisch". —

In diesem Augenblick überfällt mich Sentimentalität — „meine Seele ist
traurig!" — ich schließe um so schneller.


H. Heine.

„Das Meer war so wild, daß ich oft zu versaufen glaubte. Aber dies
wahlverwandte Element thut mir nichts Schlimmes. Es weiß recht gut, daß
ich noch toller sein kann. Und dann, bin ich nicht der Hofdichter der Nordsee?
— Sie weiß auch, daß ich noch eine zweite Abtheilung zu schreiben habe."


H- H-

Norderney, d. 4. August' 1826.


Lieber Freund!

Ich kann die Post nicht von hier abgehen lassen ohne einige liebe Grüße
an Dich anzuschicken. Das Bad bekömmt mir sehr gut, und das ist die
Hauptsache die ich Dir mitzutheilen habe. Ich lebe hier nicht so vergnügt wie
vorig Jahr und daran hat gewiß meine Stimmung mehr Schuld als die Men¬
schen hier. Ich hin gegen diese oft ungerecht. So will es mich bisweilen be-
dünken als sei die schöne Frau aus Celle nicht mehr so schön wie 1825. Auch
das Meer erscheint mir nicht mehr so romantisch wie sonst. Und dennoch habe
ich an seinem Strande das süßeste, mystisch lieblichste Ereigniß erlebt, das jemals
einen Poeten begeistern konnte. Der Mond schien mir zeigen zu wollen, daß
in dieser Welt noch Herrlichkeiten für mich vorhanden. — Wir sprachen kein
Wort. — Es war nur ein langer, tiefer Blick, der Mond machte die Musik
dazu. — Im Vorbeigehen faßte ich ihre Hand, und ich fühlte den geheimen
Druck derselben — meine Seele zitterte und glühte. — Ich hab nachher
geweint.

Was hilfts! Wenn ich auch kühn genug bin das Glück rasch zu erfassen,
so kann es doch nicht lange festhalten. Ich fürchte es könnte Plötzlich Tag


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[0188] und käsige Gefühle. In diesem todten Zustande nehme ich dennoch viel Natur- anschauungen in mich aufi, und verarbeitet die Phantasie manches begonnene Gedicht. Secbilder und neue Scenen zu meinem Faust. — Ich werde wohl 4 Wochen hier bleiben, und wenn ich meine Spielverlustc — gestern hat sich Fortuna wieder von mir gewendet — wiedergewinne werde ich wohl nach Holland gehen. Es liegt eine Süßigkeit eigener Art in dieser unbestimmten Lebensart, wo alles von der Laune des äußeren Glückes abhängt. Erzähl nur bei Leibe niemandem von dieser Thorheit. — Es macht mir Vergnügen mich Dir in all meinen Schwächen zu zeigen. Wenn Du bald noch nicht abgeschreckt bist, werde ich Dich Wohl für dieses ganze Leben, in Liebe und Freundschaft behalten. — Gott! welche närrische Unterscheidungen haben wir Deutsche eingeführt! „Liebe und Freundschaft" „Speck und Schweinefleisch". — In diesem Augenblick überfällt mich Sentimentalität — „meine Seele ist traurig!" — ich schließe um so schneller. H. Heine. „Das Meer war so wild, daß ich oft zu versaufen glaubte. Aber dies wahlverwandte Element thut mir nichts Schlimmes. Es weiß recht gut, daß ich noch toller sein kann. Und dann, bin ich nicht der Hofdichter der Nordsee? — Sie weiß auch, daß ich noch eine zweite Abtheilung zu schreiben habe." H- H- Norderney, d. 4. August' 1826. Lieber Freund! Ich kann die Post nicht von hier abgehen lassen ohne einige liebe Grüße an Dich anzuschicken. Das Bad bekömmt mir sehr gut, und das ist die Hauptsache die ich Dir mitzutheilen habe. Ich lebe hier nicht so vergnügt wie vorig Jahr und daran hat gewiß meine Stimmung mehr Schuld als die Men¬ schen hier. Ich hin gegen diese oft ungerecht. So will es mich bisweilen be- dünken als sei die schöne Frau aus Celle nicht mehr so schön wie 1825. Auch das Meer erscheint mir nicht mehr so romantisch wie sonst. Und dennoch habe ich an seinem Strande das süßeste, mystisch lieblichste Ereigniß erlebt, das jemals einen Poeten begeistern konnte. Der Mond schien mir zeigen zu wollen, daß in dieser Welt noch Herrlichkeiten für mich vorhanden. — Wir sprachen kein Wort. — Es war nur ein langer, tiefer Blick, der Mond machte die Musik dazu. — Im Vorbeigehen faßte ich ihre Hand, und ich fühlte den geheimen Druck derselben — meine Seele zitterte und glühte. — Ich hab nachher geweint. Was hilfts! Wenn ich auch kühn genug bin das Glück rasch zu erfassen, so kann es doch nicht lange festhalten. Ich fürchte es könnte Plötzlich Tag

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/188>, abgerufen am 27.09.2024.