Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

See gewechselt. In frühester Zeit scheint dort allerdings ein Krieg Aller gegen
Alle geherrscht zu haben, wobei der Tauschhandel blos der Seeräuberei Ver¬
wand verschaffte und Vorschub leistete. Die Karer, Phönicier und Jnselbewoh¬
ner beunruhigten die Küstenländer am meisten und raubten besonders gern
Mädchen und Knaben, um damit die asiatischen Sklaveninärkte zu versorgen.
So wurde nach Herodot von den persischen Historikern angenommen, daß die
argivische Königstochter Jo von kühnen phönicischen Piraten entführt worden
sei, wadend die hellenische Sage den Raub der Phönicierin Europa hellenischen
Räubern zuschrieb. Auf kurze Zeit vielleicht wurde dann dieser Unordnung
durch die Herrschaft des Kreterkönigs Minos gesteuert, der die Seeräuber von
den Inseln verjagte und den beutelustigen Sinn seiner eigenen Unterthanen zu
bändigen verstand. Diodor hebt besonders die große Zahl seiner Kriegsschiffe
hervor, die er, wie Herodot bemerkt, mit Karern zu bemannen Pflegte, und
Plinius der Aeltere schreibt ihm den Ruhm zu, das erste Seetreffen geliefert
zu haben. Ueber die Zahl und Bauart seiner Schiffe aber sind wir im Dunkel";
doch möchte man mit Recht die Angabe des Plinius bezweifeln, der die
Argo, das Fahrzeug der gleichzeitigen Argonauten als das erste "Langschiff"
bezeichnet, wie man die alten Kriegsschiffe im Verhältniß zu den rundere"
Kauffahrern zu nennen Pflegt. Denn da auch Herodot den Jason auf eine"'
langen Schiffe nach Kolchis fahren läßt, so wäre es wunderbar, wenn die Kre¬
ter nicht schon längst solche Kriegssahrzeuge gehabt hätten. Während übrigens,
die Argo (von der man noch zu Martials Zeit im reiiquicnsüchtigen Rom el"
Brettchen besitzen wollte!) mit fünfzig Rudern versehen gewesen sein soll, hatte
das Schiff, auf dem Theseus nach Kreta fuhr und glücklich zurückkam, deren
nur dreißig. Diese alte Galeere wurde in Athen bis zu den Zeiten des Deme-
trios Phalereus aufbewahrt und immer wieder reparirt, da man sie dazu benutzte,
die heilige Festgesandtschast nach Delos zu führen. Nach Plutarch stritten spä¬
ter die Sophisten darüber, ob es nun noch dasselbe Schiff wäre oder ein anderes!

Die kretische Seemacht ging mit Minos selbst zu Ende. Das aben¬
teuernde Piratenlebcn begann mehr als je zu blühen, und besonders die Phöni¬
cier scheinen darin mit den Kretern gewetteifert zu haben. Und diese unsicheren
Verhältnisse dauerten bis in die Zeiten, welche wir in den homerischen Ge-
dichten geschildert finden, ja es erregte auch damals keinen Anstoß, unbcfrcn"-
bete Fremde zu fragen, ob sie nicht vielleicht Seeräuber wäre", "die da umher¬
schweifen, das Leben aufs Spiel setzend, den Fremden Unheil bringend". Die
Schicksale, welche Odysseus dem Eumäos gegenüber sich andichtet, mochten aus
manchen Freibeuter jener Zeit passen. Nachdem er sich für einen Kretcnser
ausgegeben und seinen kriegerischen Muth und seine Tapferkeit geschildert, fährt
er fort: "So war ich im Kriege; Arbeit aber stand mir nicht an, noch Häus-
lichkcitssinn, welcher herrliche Kinder heranzieht, sondern immer waren mir be-


See gewechselt. In frühester Zeit scheint dort allerdings ein Krieg Aller gegen
Alle geherrscht zu haben, wobei der Tauschhandel blos der Seeräuberei Ver¬
wand verschaffte und Vorschub leistete. Die Karer, Phönicier und Jnselbewoh¬
ner beunruhigten die Küstenländer am meisten und raubten besonders gern
Mädchen und Knaben, um damit die asiatischen Sklaveninärkte zu versorgen.
So wurde nach Herodot von den persischen Historikern angenommen, daß die
argivische Königstochter Jo von kühnen phönicischen Piraten entführt worden
sei, wadend die hellenische Sage den Raub der Phönicierin Europa hellenischen
Räubern zuschrieb. Auf kurze Zeit vielleicht wurde dann dieser Unordnung
durch die Herrschaft des Kreterkönigs Minos gesteuert, der die Seeräuber von
den Inseln verjagte und den beutelustigen Sinn seiner eigenen Unterthanen zu
bändigen verstand. Diodor hebt besonders die große Zahl seiner Kriegsschiffe
hervor, die er, wie Herodot bemerkt, mit Karern zu bemannen Pflegte, und
Plinius der Aeltere schreibt ihm den Ruhm zu, das erste Seetreffen geliefert
zu haben. Ueber die Zahl und Bauart seiner Schiffe aber sind wir im Dunkel»;
doch möchte man mit Recht die Angabe des Plinius bezweifeln, der die
Argo, das Fahrzeug der gleichzeitigen Argonauten als das erste „Langschiff"
bezeichnet, wie man die alten Kriegsschiffe im Verhältniß zu den rundere»
Kauffahrern zu nennen Pflegt. Denn da auch Herodot den Jason auf eine»'
langen Schiffe nach Kolchis fahren läßt, so wäre es wunderbar, wenn die Kre¬
ter nicht schon längst solche Kriegssahrzeuge gehabt hätten. Während übrigens,
die Argo (von der man noch zu Martials Zeit im reiiquicnsüchtigen Rom el»
Brettchen besitzen wollte!) mit fünfzig Rudern versehen gewesen sein soll, hatte
das Schiff, auf dem Theseus nach Kreta fuhr und glücklich zurückkam, deren
nur dreißig. Diese alte Galeere wurde in Athen bis zu den Zeiten des Deme-
trios Phalereus aufbewahrt und immer wieder reparirt, da man sie dazu benutzte,
die heilige Festgesandtschast nach Delos zu führen. Nach Plutarch stritten spä¬
ter die Sophisten darüber, ob es nun noch dasselbe Schiff wäre oder ein anderes!

Die kretische Seemacht ging mit Minos selbst zu Ende. Das aben¬
teuernde Piratenlebcn begann mehr als je zu blühen, und besonders die Phöni¬
cier scheinen darin mit den Kretern gewetteifert zu haben. Und diese unsicheren
Verhältnisse dauerten bis in die Zeiten, welche wir in den homerischen Ge-
dichten geschildert finden, ja es erregte auch damals keinen Anstoß, unbcfrcn»-
bete Fremde zu fragen, ob sie nicht vielleicht Seeräuber wäre», „die da umher¬
schweifen, das Leben aufs Spiel setzend, den Fremden Unheil bringend". Die
Schicksale, welche Odysseus dem Eumäos gegenüber sich andichtet, mochten aus
manchen Freibeuter jener Zeit passen. Nachdem er sich für einen Kretcnser
ausgegeben und seinen kriegerischen Muth und seine Tapferkeit geschildert, fährt
er fort: „So war ich im Kriege; Arbeit aber stand mir nicht an, noch Häus-
lichkcitssinn, welcher herrliche Kinder heranzieht, sondern immer waren mir be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/188045"/>
          <p xml:id="ID_44" prev="#ID_43"> See gewechselt. In frühester Zeit scheint dort allerdings ein Krieg Aller gegen<lb/>
Alle geherrscht zu haben, wobei der Tauschhandel blos der Seeräuberei Ver¬<lb/>
wand verschaffte und Vorschub leistete. Die Karer, Phönicier und Jnselbewoh¬<lb/>
ner beunruhigten die Küstenländer am meisten und raubten besonders gern<lb/>
Mädchen und Knaben, um damit die asiatischen Sklaveninärkte zu versorgen.<lb/>
So wurde nach Herodot von den persischen Historikern angenommen, daß die<lb/>
argivische Königstochter Jo von kühnen phönicischen Piraten entführt worden<lb/>
sei, wadend die hellenische Sage den Raub der Phönicierin Europa hellenischen<lb/>
Räubern zuschrieb. Auf kurze Zeit vielleicht wurde dann dieser Unordnung<lb/>
durch die Herrschaft des Kreterkönigs Minos gesteuert, der die Seeräuber von<lb/>
den Inseln verjagte und den beutelustigen Sinn seiner eigenen Unterthanen zu<lb/>
bändigen verstand. Diodor hebt besonders die große Zahl seiner Kriegsschiffe<lb/>
hervor, die er, wie Herodot bemerkt, mit Karern zu bemannen Pflegte, und<lb/>
Plinius der Aeltere schreibt ihm den Ruhm zu, das erste Seetreffen geliefert<lb/>
zu haben. Ueber die Zahl und Bauart seiner Schiffe aber sind wir im Dunkel»;<lb/>
doch möchte man mit Recht die Angabe des Plinius bezweifeln, der die<lb/>
Argo, das Fahrzeug der gleichzeitigen Argonauten als das erste &#x201E;Langschiff"<lb/>
bezeichnet, wie man die alten Kriegsschiffe im Verhältniß zu den rundere»<lb/>
Kauffahrern zu nennen Pflegt. Denn da auch Herodot den Jason auf eine»'<lb/>
langen Schiffe nach Kolchis fahren läßt, so wäre es wunderbar, wenn die Kre¬<lb/>
ter nicht schon längst solche Kriegssahrzeuge gehabt hätten. Während übrigens,<lb/>
die Argo (von der man noch zu Martials Zeit im reiiquicnsüchtigen Rom el»<lb/>
Brettchen besitzen wollte!) mit fünfzig Rudern versehen gewesen sein soll, hatte<lb/>
das Schiff, auf dem Theseus nach Kreta fuhr und glücklich zurückkam, deren<lb/>
nur dreißig. Diese alte Galeere wurde in Athen bis zu den Zeiten des Deme-<lb/>
trios Phalereus aufbewahrt und immer wieder reparirt, da man sie dazu benutzte,<lb/>
die heilige Festgesandtschast nach Delos zu führen. Nach Plutarch stritten spä¬<lb/>
ter die Sophisten darüber, ob es nun noch dasselbe Schiff wäre oder ein anderes!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_45" next="#ID_46"> Die kretische Seemacht ging mit Minos selbst zu Ende. Das aben¬<lb/>
teuernde Piratenlebcn begann mehr als je zu blühen, und besonders die Phöni¬<lb/>
cier scheinen darin mit den Kretern gewetteifert zu haben. Und diese unsicheren<lb/>
Verhältnisse dauerten bis in die Zeiten, welche wir in den homerischen Ge-<lb/>
dichten geschildert finden, ja es erregte auch damals keinen Anstoß, unbcfrcn»-<lb/>
bete Fremde zu fragen, ob sie nicht vielleicht Seeräuber wäre», &#x201E;die da umher¬<lb/>
schweifen, das Leben aufs Spiel setzend, den Fremden Unheil bringend". Die<lb/>
Schicksale, welche Odysseus dem Eumäos gegenüber sich andichtet, mochten aus<lb/>
manchen Freibeuter jener Zeit passen. Nachdem er sich für einen Kretcnser<lb/>
ausgegeben und seinen kriegerischen Muth und seine Tapferkeit geschildert, fährt<lb/>
er fort: &#x201E;So war ich im Kriege; Arbeit aber stand mir nicht an, noch Häus-<lb/>
lichkcitssinn, welcher herrliche Kinder heranzieht, sondern immer waren mir be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0018] See gewechselt. In frühester Zeit scheint dort allerdings ein Krieg Aller gegen Alle geherrscht zu haben, wobei der Tauschhandel blos der Seeräuberei Ver¬ wand verschaffte und Vorschub leistete. Die Karer, Phönicier und Jnselbewoh¬ ner beunruhigten die Küstenländer am meisten und raubten besonders gern Mädchen und Knaben, um damit die asiatischen Sklaveninärkte zu versorgen. So wurde nach Herodot von den persischen Historikern angenommen, daß die argivische Königstochter Jo von kühnen phönicischen Piraten entführt worden sei, wadend die hellenische Sage den Raub der Phönicierin Europa hellenischen Räubern zuschrieb. Auf kurze Zeit vielleicht wurde dann dieser Unordnung durch die Herrschaft des Kreterkönigs Minos gesteuert, der die Seeräuber von den Inseln verjagte und den beutelustigen Sinn seiner eigenen Unterthanen zu bändigen verstand. Diodor hebt besonders die große Zahl seiner Kriegsschiffe hervor, die er, wie Herodot bemerkt, mit Karern zu bemannen Pflegte, und Plinius der Aeltere schreibt ihm den Ruhm zu, das erste Seetreffen geliefert zu haben. Ueber die Zahl und Bauart seiner Schiffe aber sind wir im Dunkel»; doch möchte man mit Recht die Angabe des Plinius bezweifeln, der die Argo, das Fahrzeug der gleichzeitigen Argonauten als das erste „Langschiff" bezeichnet, wie man die alten Kriegsschiffe im Verhältniß zu den rundere» Kauffahrern zu nennen Pflegt. Denn da auch Herodot den Jason auf eine»' langen Schiffe nach Kolchis fahren läßt, so wäre es wunderbar, wenn die Kre¬ ter nicht schon längst solche Kriegssahrzeuge gehabt hätten. Während übrigens, die Argo (von der man noch zu Martials Zeit im reiiquicnsüchtigen Rom el» Brettchen besitzen wollte!) mit fünfzig Rudern versehen gewesen sein soll, hatte das Schiff, auf dem Theseus nach Kreta fuhr und glücklich zurückkam, deren nur dreißig. Diese alte Galeere wurde in Athen bis zu den Zeiten des Deme- trios Phalereus aufbewahrt und immer wieder reparirt, da man sie dazu benutzte, die heilige Festgesandtschast nach Delos zu führen. Nach Plutarch stritten spä¬ ter die Sophisten darüber, ob es nun noch dasselbe Schiff wäre oder ein anderes! Die kretische Seemacht ging mit Minos selbst zu Ende. Das aben¬ teuernde Piratenlebcn begann mehr als je zu blühen, und besonders die Phöni¬ cier scheinen darin mit den Kretern gewetteifert zu haben. Und diese unsicheren Verhältnisse dauerten bis in die Zeiten, welche wir in den homerischen Ge- dichten geschildert finden, ja es erregte auch damals keinen Anstoß, unbcfrcn»- bete Fremde zu fragen, ob sie nicht vielleicht Seeräuber wäre», „die da umher¬ schweifen, das Leben aufs Spiel setzend, den Fremden Unheil bringend". Die Schicksale, welche Odysseus dem Eumäos gegenüber sich andichtet, mochten aus manchen Freibeuter jener Zeit passen. Nachdem er sich für einen Kretcnser ausgegeben und seinen kriegerischen Muth und seine Tapferkeit geschildert, fährt er fort: „So war ich im Kriege; Arbeit aber stand mir nicht an, noch Häus- lichkcitssinn, welcher herrliche Kinder heranzieht, sondern immer waren mir be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/18
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/18>, abgerufen am 27.09.2024.