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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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erhielt deshalb von dem Prinzen den Befehl, schon um elf Uhr Nachts ab¬
zuziehen , während die hinter dem fast eine halbe Meile langen Dorfe rastenden
Garden erst um fünf Uhr nach Nollendorf aufbrechen sollten. General Helf-
reich aber war bestimmt, den Abzug beider zu decken. Um drei Uhr Morgens
war jedoch Fürst Schachoffstvi noch nicht an dem Prinzen vorbeigekommen. Er
konnte sich in der Dunkelheit verirrt haben, und es wurden Adjutanten aus¬
geschickt, um ihn aufzusuchen, während der Prinz sich zu dem General Helf-
reich begab und den Abmarsch der Garden beschleunigte. Bei Tagesanbruch
war dichter Nebel, der keine Umsicht gestattete. Fürst Schachoffskoi war nicht
zu finden, mußte seine Stellung aber schon verlassen haben; denn schon sielen
dicht vor den Truppen Helfrcichs Schüsse, und feindliche Kugeln schlugen in die
Reihen, französische Reiter sprengten bereits heran, als endlich Fürst Scha¬
choffskoi an der Spitze des muromschcn Regiments eintraf und berichtete, daß
ihm gestern ein Offizier des semenoffschcn Regiments im Namen des Grafen
Ostcrmann den Befehl überbracht habe, sich zu halten, es koste was es wolle
und große Feuer anzuzünden, um den Feind zu täuschen. Der Fürst hatte sich
daher erst in Marsch gesetzt, als ihn der von dem Prinzen abgeschickte Oberst
Waditen aufgefunden hatte. Jetzt folgte dem muromschen Regimente unmittel¬
bar ein Haufen Flüchtlinge von der Infanterie und eine Menge einzelner ver¬
sprengter tartarischer Ulanen. Das Ganze gewährte ein Bild der größten Ver¬
wirrung und Zerrüttung. Adjutanten mit Fahnen unter dem Arme. Stabs¬
offiziere, die nach ihren Bataillonen riefen, Lanzenreiter, die sich gewaltsam
Bahn brachen. Fußvolk, das nach allen Richtungen in die Luft feuerte, wim¬
melten durcheinander, und während der Nebel kaum zehn Schritt weit zu sehen
gestattete, umtvnte wildes Geschrei die Brigade Helfreich, deren Fassung durch
einen sie von allen Seiten treffenden Kugelregen auf eine harte Probe gestellt
wurde. Nur dem dichten Nebel und dem das Fußvolk gegen Reiterei begün¬
stigenden Terrain im Dorfe, verbunden mit der ausgezeichneten Haltung der
Russen, war es zu verdanken, daß die Nachhut, obgleich nicht ohne Verlust,
doch aber geschlossen und auf Umwegen Nollendorf erreichte. Damit war auch
diesem Tage der wichtige, über das Gebirge nach Culm führende Paß ge-
stchert und das Unheil, welches Graf Ostermanns eigenwillige Dispositionen
hätten anrichten können, abgewendet. Eine schwere Schuld trifft auch den Ge¬
neral Barklay, der eigenmächtig, anstatt dem Befehle des Obercommandos ge¬
mäß über Peterswalde zu marschiren, sich über Dippoldiswalde nach Graupen
gewendet und dadurch die linke Flanke der sich zurückziehenden Armee bloß ge¬
stellt hatte. Das große Verdienst des Prinzen Eugen, durch sein tapferes
Ausharren diesen Fehler wieder gut gemacht zu haben, ist nicht genug hervor¬
zuheben.

Dasselbe gilt auch für den 29. August, wo der Prinz Eugen mit nicht


erhielt deshalb von dem Prinzen den Befehl, schon um elf Uhr Nachts ab¬
zuziehen , während die hinter dem fast eine halbe Meile langen Dorfe rastenden
Garden erst um fünf Uhr nach Nollendorf aufbrechen sollten. General Helf-
reich aber war bestimmt, den Abzug beider zu decken. Um drei Uhr Morgens
war jedoch Fürst Schachoffstvi noch nicht an dem Prinzen vorbeigekommen. Er
konnte sich in der Dunkelheit verirrt haben, und es wurden Adjutanten aus¬
geschickt, um ihn aufzusuchen, während der Prinz sich zu dem General Helf-
reich begab und den Abmarsch der Garden beschleunigte. Bei Tagesanbruch
war dichter Nebel, der keine Umsicht gestattete. Fürst Schachoffskoi war nicht
zu finden, mußte seine Stellung aber schon verlassen haben; denn schon sielen
dicht vor den Truppen Helfrcichs Schüsse, und feindliche Kugeln schlugen in die
Reihen, französische Reiter sprengten bereits heran, als endlich Fürst Scha¬
choffskoi an der Spitze des muromschcn Regiments eintraf und berichtete, daß
ihm gestern ein Offizier des semenoffschcn Regiments im Namen des Grafen
Ostcrmann den Befehl überbracht habe, sich zu halten, es koste was es wolle
und große Feuer anzuzünden, um den Feind zu täuschen. Der Fürst hatte sich
daher erst in Marsch gesetzt, als ihn der von dem Prinzen abgeschickte Oberst
Waditen aufgefunden hatte. Jetzt folgte dem muromschen Regimente unmittel¬
bar ein Haufen Flüchtlinge von der Infanterie und eine Menge einzelner ver¬
sprengter tartarischer Ulanen. Das Ganze gewährte ein Bild der größten Ver¬
wirrung und Zerrüttung. Adjutanten mit Fahnen unter dem Arme. Stabs¬
offiziere, die nach ihren Bataillonen riefen, Lanzenreiter, die sich gewaltsam
Bahn brachen. Fußvolk, das nach allen Richtungen in die Luft feuerte, wim¬
melten durcheinander, und während der Nebel kaum zehn Schritt weit zu sehen
gestattete, umtvnte wildes Geschrei die Brigade Helfreich, deren Fassung durch
einen sie von allen Seiten treffenden Kugelregen auf eine harte Probe gestellt
wurde. Nur dem dichten Nebel und dem das Fußvolk gegen Reiterei begün¬
stigenden Terrain im Dorfe, verbunden mit der ausgezeichneten Haltung der
Russen, war es zu verdanken, daß die Nachhut, obgleich nicht ohne Verlust,
doch aber geschlossen und auf Umwegen Nollendorf erreichte. Damit war auch
diesem Tage der wichtige, über das Gebirge nach Culm führende Paß ge-
stchert und das Unheil, welches Graf Ostermanns eigenwillige Dispositionen
hätten anrichten können, abgewendet. Eine schwere Schuld trifft auch den Ge¬
neral Barklay, der eigenmächtig, anstatt dem Befehle des Obercommandos ge¬
mäß über Peterswalde zu marschiren, sich über Dippoldiswalde nach Graupen
gewendet und dadurch die linke Flanke der sich zurückziehenden Armee bloß ge¬
stellt hatte. Das große Verdienst des Prinzen Eugen, durch sein tapferes
Ausharren diesen Fehler wieder gut gemacht zu haben, ist nicht genug hervor¬
zuheben.

Dasselbe gilt auch für den 29. August, wo der Prinz Eugen mit nicht


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[0179] erhielt deshalb von dem Prinzen den Befehl, schon um elf Uhr Nachts ab¬ zuziehen , während die hinter dem fast eine halbe Meile langen Dorfe rastenden Garden erst um fünf Uhr nach Nollendorf aufbrechen sollten. General Helf- reich aber war bestimmt, den Abzug beider zu decken. Um drei Uhr Morgens war jedoch Fürst Schachoffstvi noch nicht an dem Prinzen vorbeigekommen. Er konnte sich in der Dunkelheit verirrt haben, und es wurden Adjutanten aus¬ geschickt, um ihn aufzusuchen, während der Prinz sich zu dem General Helf- reich begab und den Abmarsch der Garden beschleunigte. Bei Tagesanbruch war dichter Nebel, der keine Umsicht gestattete. Fürst Schachoffskoi war nicht zu finden, mußte seine Stellung aber schon verlassen haben; denn schon sielen dicht vor den Truppen Helfrcichs Schüsse, und feindliche Kugeln schlugen in die Reihen, französische Reiter sprengten bereits heran, als endlich Fürst Scha¬ choffskoi an der Spitze des muromschcn Regiments eintraf und berichtete, daß ihm gestern ein Offizier des semenoffschcn Regiments im Namen des Grafen Ostcrmann den Befehl überbracht habe, sich zu halten, es koste was es wolle und große Feuer anzuzünden, um den Feind zu täuschen. Der Fürst hatte sich daher erst in Marsch gesetzt, als ihn der von dem Prinzen abgeschickte Oberst Waditen aufgefunden hatte. Jetzt folgte dem muromschen Regimente unmittel¬ bar ein Haufen Flüchtlinge von der Infanterie und eine Menge einzelner ver¬ sprengter tartarischer Ulanen. Das Ganze gewährte ein Bild der größten Ver¬ wirrung und Zerrüttung. Adjutanten mit Fahnen unter dem Arme. Stabs¬ offiziere, die nach ihren Bataillonen riefen, Lanzenreiter, die sich gewaltsam Bahn brachen. Fußvolk, das nach allen Richtungen in die Luft feuerte, wim¬ melten durcheinander, und während der Nebel kaum zehn Schritt weit zu sehen gestattete, umtvnte wildes Geschrei die Brigade Helfreich, deren Fassung durch einen sie von allen Seiten treffenden Kugelregen auf eine harte Probe gestellt wurde. Nur dem dichten Nebel und dem das Fußvolk gegen Reiterei begün¬ stigenden Terrain im Dorfe, verbunden mit der ausgezeichneten Haltung der Russen, war es zu verdanken, daß die Nachhut, obgleich nicht ohne Verlust, doch aber geschlossen und auf Umwegen Nollendorf erreichte. Damit war auch diesem Tage der wichtige, über das Gebirge nach Culm führende Paß ge- stchert und das Unheil, welches Graf Ostermanns eigenwillige Dispositionen hätten anrichten können, abgewendet. Eine schwere Schuld trifft auch den Ge¬ neral Barklay, der eigenmächtig, anstatt dem Befehle des Obercommandos ge¬ mäß über Peterswalde zu marschiren, sich über Dippoldiswalde nach Graupen gewendet und dadurch die linke Flanke der sich zurückziehenden Armee bloß ge¬ stellt hatte. Das große Verdienst des Prinzen Eugen, durch sein tapferes Ausharren diesen Fehler wieder gut gemacht zu haben, ist nicht genug hervor¬ zuheben. Dasselbe gilt auch für den 29. August, wo der Prinz Eugen mit nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/179>, abgerufen am 27.09.2024.