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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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el", der den Prinzen in die größte Verlegenheit feste, der böhmischen Armee
in seinen Folgen sehr gefährlich werden konnte, und der lebhaft an das Er¬
scheinen des verrückten Feldmarschalls Kamensky vor der Schlacht bei Pultusk
erinnert. Noch war der Prinz im Dorfe Kritschwitz mit den letzten Disposi¬
tionen gegen den schon mit den Bortruppcn im Tirailliren begriffenen Feind
beschäftigt, als sich der Generaladjutant Gras Ostermann bei ihm einfand.
Er überbrachte ein kleines Billet des Grafen Wittgenstein, welches besagte:
Angesichts dieses wollen Sie nicht mehr an mich referiren, sondern an de"
Gencraladjutanten Grafen Ostermann. der auf dem rechten Flügel commandirt.
Eine so unbestimmte Anordnung, durch die nicht etwa der Prinz seines Kom¬
mandos enthoben wurde, die aber den Grafen Ostermann ermächtigte, nach Be¬
lieben einzugreifen, war nicht blos bedenklich wegen der kritischen Lage des
kleinen russischen Corps dem übermächtigen Feinde gegenüber, sondern noch
mehr durch die Gemütsverfassung, in der sich der Ueberbringer befand. Ueber
den Grafen gingen seltsame Gerüchte in der Armee um. Eine schwere Krank¬
heit, die ihn im Jahre 1812 befallen hatte, war mit geistigen Störungen
verbunden gewesen, die auch später mehrmals wiedergekehrt waren. Ganz
demgemäß war auch sein jetziges Auftreten. Er sing mit dem Prinzen einen
Wortwechsel an, behauptete den Königssteiu auf Leben und Tod vertheidigen
zu müssen, verstieg sich darauf bis zu einer Herausforderung und überfloß dann
wieder von den ehrerbietigsten Aeußerungen gegen den Better des Kaisers. Als
er darauf mit dem Prinzen bis in die Schützenkette vorritt, traf er mehre
Anordnungen, die ganz verkehrt waren, und ohne die Festigkeit des Punze"
wäre hier alles in die äußerste Verwirrung gerathen. Es gereicht ihm zur
höchsten Ehre, daß er in dieser vcrlcgenheitsvollen Lage das Gefecht bis zum
Abend hinhielt und erst in der Nacht seine Stellung räumte.

Während dieser Nacht machte der Gras dem Prinzen noch große Beschwer-
Bon ihm über den Grund und Zweck seiner Sendung das Mindeste zu erfahre"
war rein unmöglich. Bei der vorsichtigsten -Frage in dieser Richtung gerieth
er sofort in die heftigste Wuth und ließ sich nur mit Mühe wieder beschwich¬
tigen. Diese ruhigen Momente verbrachte er mit dem Entwerfen von ganz
verkehrten Dispositionen, sprang dann aber wieder plötzlich auf und eilte in
die Nacht hinaus, wo er sich bei jeder einzelnen Schildwache nach dem Feinde
erkundigte und selbst den Haushofmeister des Prinzen mit solchen Fragen bis
auf den Heuboden verfolgte. Zuletzt trieb er es so arg, daß die Schildwachen
einander zuriefen: "was für ein Verrückter geht denn da um?" Der Prinz
hätte den offenbar Halbvenücktcn gern fortgeschickt, dem aber stand der kaiser¬
liche Befehl entgegen, der dem Grafen Ostermann das Kommando über den
rechten Flügel übertrug. So kam es denn, daß ein geistig unzurechnungs¬
fähiger General wenigstens nominell die Führung des Heeres zum Theil führte,


el», der den Prinzen in die größte Verlegenheit feste, der böhmischen Armee
in seinen Folgen sehr gefährlich werden konnte, und der lebhaft an das Er¬
scheinen des verrückten Feldmarschalls Kamensky vor der Schlacht bei Pultusk
erinnert. Noch war der Prinz im Dorfe Kritschwitz mit den letzten Disposi¬
tionen gegen den schon mit den Bortruppcn im Tirailliren begriffenen Feind
beschäftigt, als sich der Generaladjutant Gras Ostermann bei ihm einfand.
Er überbrachte ein kleines Billet des Grafen Wittgenstein, welches besagte:
Angesichts dieses wollen Sie nicht mehr an mich referiren, sondern an de»
Gencraladjutanten Grafen Ostermann. der auf dem rechten Flügel commandirt.
Eine so unbestimmte Anordnung, durch die nicht etwa der Prinz seines Kom¬
mandos enthoben wurde, die aber den Grafen Ostermann ermächtigte, nach Be¬
lieben einzugreifen, war nicht blos bedenklich wegen der kritischen Lage des
kleinen russischen Corps dem übermächtigen Feinde gegenüber, sondern noch
mehr durch die Gemütsverfassung, in der sich der Ueberbringer befand. Ueber
den Grafen gingen seltsame Gerüchte in der Armee um. Eine schwere Krank¬
heit, die ihn im Jahre 1812 befallen hatte, war mit geistigen Störungen
verbunden gewesen, die auch später mehrmals wiedergekehrt waren. Ganz
demgemäß war auch sein jetziges Auftreten. Er sing mit dem Prinzen einen
Wortwechsel an, behauptete den Königssteiu auf Leben und Tod vertheidigen
zu müssen, verstieg sich darauf bis zu einer Herausforderung und überfloß dann
wieder von den ehrerbietigsten Aeußerungen gegen den Better des Kaisers. Als
er darauf mit dem Prinzen bis in die Schützenkette vorritt, traf er mehre
Anordnungen, die ganz verkehrt waren, und ohne die Festigkeit des Punze»
wäre hier alles in die äußerste Verwirrung gerathen. Es gereicht ihm zur
höchsten Ehre, daß er in dieser vcrlcgenheitsvollen Lage das Gefecht bis zum
Abend hinhielt und erst in der Nacht seine Stellung räumte.

Während dieser Nacht machte der Gras dem Prinzen noch große Beschwer-
Bon ihm über den Grund und Zweck seiner Sendung das Mindeste zu erfahre»
war rein unmöglich. Bei der vorsichtigsten -Frage in dieser Richtung gerieth
er sofort in die heftigste Wuth und ließ sich nur mit Mühe wieder beschwich¬
tigen. Diese ruhigen Momente verbrachte er mit dem Entwerfen von ganz
verkehrten Dispositionen, sprang dann aber wieder plötzlich auf und eilte in
die Nacht hinaus, wo er sich bei jeder einzelnen Schildwache nach dem Feinde
erkundigte und selbst den Haushofmeister des Prinzen mit solchen Fragen bis
auf den Heuboden verfolgte. Zuletzt trieb er es so arg, daß die Schildwachen
einander zuriefen: „was für ein Verrückter geht denn da um?" Der Prinz
hätte den offenbar Halbvenücktcn gern fortgeschickt, dem aber stand der kaiser¬
liche Befehl entgegen, der dem Grafen Ostermann das Kommando über den
rechten Flügel übertrug. So kam es denn, daß ein geistig unzurechnungs¬
fähiger General wenigstens nominell die Führung des Heeres zum Theil führte,


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[0176] el», der den Prinzen in die größte Verlegenheit feste, der böhmischen Armee in seinen Folgen sehr gefährlich werden konnte, und der lebhaft an das Er¬ scheinen des verrückten Feldmarschalls Kamensky vor der Schlacht bei Pultusk erinnert. Noch war der Prinz im Dorfe Kritschwitz mit den letzten Disposi¬ tionen gegen den schon mit den Bortruppcn im Tirailliren begriffenen Feind beschäftigt, als sich der Generaladjutant Gras Ostermann bei ihm einfand. Er überbrachte ein kleines Billet des Grafen Wittgenstein, welches besagte: Angesichts dieses wollen Sie nicht mehr an mich referiren, sondern an de» Gencraladjutanten Grafen Ostermann. der auf dem rechten Flügel commandirt. Eine so unbestimmte Anordnung, durch die nicht etwa der Prinz seines Kom¬ mandos enthoben wurde, die aber den Grafen Ostermann ermächtigte, nach Be¬ lieben einzugreifen, war nicht blos bedenklich wegen der kritischen Lage des kleinen russischen Corps dem übermächtigen Feinde gegenüber, sondern noch mehr durch die Gemütsverfassung, in der sich der Ueberbringer befand. Ueber den Grafen gingen seltsame Gerüchte in der Armee um. Eine schwere Krank¬ heit, die ihn im Jahre 1812 befallen hatte, war mit geistigen Störungen verbunden gewesen, die auch später mehrmals wiedergekehrt waren. Ganz demgemäß war auch sein jetziges Auftreten. Er sing mit dem Prinzen einen Wortwechsel an, behauptete den Königssteiu auf Leben und Tod vertheidigen zu müssen, verstieg sich darauf bis zu einer Herausforderung und überfloß dann wieder von den ehrerbietigsten Aeußerungen gegen den Better des Kaisers. Als er darauf mit dem Prinzen bis in die Schützenkette vorritt, traf er mehre Anordnungen, die ganz verkehrt waren, und ohne die Festigkeit des Punze» wäre hier alles in die äußerste Verwirrung gerathen. Es gereicht ihm zur höchsten Ehre, daß er in dieser vcrlcgenheitsvollen Lage das Gefecht bis zum Abend hinhielt und erst in der Nacht seine Stellung räumte. Während dieser Nacht machte der Gras dem Prinzen noch große Beschwer- Bon ihm über den Grund und Zweck seiner Sendung das Mindeste zu erfahre» war rein unmöglich. Bei der vorsichtigsten -Frage in dieser Richtung gerieth er sofort in die heftigste Wuth und ließ sich nur mit Mühe wieder beschwich¬ tigen. Diese ruhigen Momente verbrachte er mit dem Entwerfen von ganz verkehrten Dispositionen, sprang dann aber wieder plötzlich auf und eilte in die Nacht hinaus, wo er sich bei jeder einzelnen Schildwache nach dem Feinde erkundigte und selbst den Haushofmeister des Prinzen mit solchen Fragen bis auf den Heuboden verfolgte. Zuletzt trieb er es so arg, daß die Schildwachen einander zuriefen: „was für ein Verrückter geht denn da um?" Der Prinz hätte den offenbar Halbvenücktcn gern fortgeschickt, dem aber stand der kaiser¬ liche Befehl entgegen, der dem Grafen Ostermann das Kommando über den rechten Flügel übertrug. So kam es denn, daß ein geistig unzurechnungs¬ fähiger General wenigstens nominell die Führung des Heeres zum Theil führte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/176>, abgerufen am 27.09.2024.