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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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auf den zur Räumung eingegangenen ausdrücklichen Befehl berief. -- Von
wem er herrührte, ist nicht eingestanden worden; ich glaube aber von Benningsen
selbst, der den Feind absichtlich auf unsere großen Batterien hinter der Stadt
anlocken und die Truppen in derselben nicht ebenso blosstellen wollte, als es
an diesem Abende die französischen Eindringlinge gewesen waren. In der Nacht
ritt Benningsen viel umher und traf Aenderungen in der Aufstellung der Truppen.
Der rechte Flügel wurde verkürzt und die Reiterei auf beiden Flügeln auf¬
gestellt. Beim sevskischen Regimente der fünften Division (Tutschkoff) erwar¬
tete nun Benningsen den Anbruch des Tages, und man kann ihm für seine
Rührigkeit und Thätigkeit bei dieser Gelegenheit nicht genug Beifall schenken."

Der zweite Schlachttag begann ebenfalls günstig für die Russen. Der
erste Versuch der Franzosen, aus Eilau vorzubuchen mißlang bekanntlich voll¬
ständig, und Augereau und Soult kamen dabei sehr ins Gedränge. Glücklicher
war dafür der französische Angriff auf den russischen linken Flügel, wo Davoust
die Russen zwang, bis Auklappen zurückzugehen und mit einer Batterie von
vierzig Geschützen, die er auf den unbesetzt gebliebenen Krecgebcrgen auffahren
ließ, die zurückweichenden Massen mit vernichtender Wirkung beschoß. Gegen
Mittag gestalteten sich die Sachen so bedenklich, daß Benningsen selbst hineilte,
und Prinz Eugen, der entsendet worden war, hatte ihn dort aufzusuchen. Er
fand ihn in der Nähe des Vorwerks Auklappen unter einem Haufen von Flücht¬
lingen und im heftigsten Kanoncnfcuer. "Wer noch nie einer Deroute bei¬
gewohnt hatte, mußte Alles verloren wähnen. Zwar goß der Feind gleichsam
nur wie mit Lavaströmen-von der besetzten Höhe auf uns herab, ohne übrigens
einen Tirailleur zu zeigen; aber der Eindruck war nichts desto weniger erschüt¬
ternd und wurde durch die Verwirrung unserer Reiterei vermehrt. In deren ge¬
schlossenen Colonnen wirkte das feindliche Eisen schrcckencrrcgcnd. Es sprang
namentlich ein Pulverlastcn im vlviopvlschen Husarenregimente, der dessen
ganze dicke Masse gleich einem Mückenschwärme auf dem Felde zerstreute. Mit¬
ten unter diesen Wirren stand der alte Benningsen eisenfest. Ein kühner, treff¬
licher Reiter, trotz seiner zweiundsechzig Jahre, gewährte er auf seinem Schim
mel einen wahrhaft imponirenden Anblick.

Ein noch älterer Begleiter, der General der Kavallerie v. Knorring, der
dem Feldzuge nur als Beobachter beiwohnte, und den Benningsen oft scherzend
seinen Hofmeister nannte, benahm sich hier dem Anschein nach etwas auffallend.
Er ließ es an Vorstellungen über den mißlichen Standpunkt für einen Com-
mandirenden nicht fehlen und wiederholte ohne Unterlaß: "Mein lieber Leonen
-- Leontiwitsch, -- Sie werden hier todt geschossen werden, wie 'ein fauler
Hund, und dadurch Niemand zu etwas dienen; machen Sie, daß Sie aus
diesem Satanspfuhl entkommen, ehe es zu spät ist!" Während ähnlicher Auf¬
forderungen, zu denen Benningsen lächelnd schwieg, schlug eine Granate dicht


auf den zur Räumung eingegangenen ausdrücklichen Befehl berief. — Von
wem er herrührte, ist nicht eingestanden worden; ich glaube aber von Benningsen
selbst, der den Feind absichtlich auf unsere großen Batterien hinter der Stadt
anlocken und die Truppen in derselben nicht ebenso blosstellen wollte, als es
an diesem Abende die französischen Eindringlinge gewesen waren. In der Nacht
ritt Benningsen viel umher und traf Aenderungen in der Aufstellung der Truppen.
Der rechte Flügel wurde verkürzt und die Reiterei auf beiden Flügeln auf¬
gestellt. Beim sevskischen Regimente der fünften Division (Tutschkoff) erwar¬
tete nun Benningsen den Anbruch des Tages, und man kann ihm für seine
Rührigkeit und Thätigkeit bei dieser Gelegenheit nicht genug Beifall schenken."

Der zweite Schlachttag begann ebenfalls günstig für die Russen. Der
erste Versuch der Franzosen, aus Eilau vorzubuchen mißlang bekanntlich voll¬
ständig, und Augereau und Soult kamen dabei sehr ins Gedränge. Glücklicher
war dafür der französische Angriff auf den russischen linken Flügel, wo Davoust
die Russen zwang, bis Auklappen zurückzugehen und mit einer Batterie von
vierzig Geschützen, die er auf den unbesetzt gebliebenen Krecgebcrgen auffahren
ließ, die zurückweichenden Massen mit vernichtender Wirkung beschoß. Gegen
Mittag gestalteten sich die Sachen so bedenklich, daß Benningsen selbst hineilte,
und Prinz Eugen, der entsendet worden war, hatte ihn dort aufzusuchen. Er
fand ihn in der Nähe des Vorwerks Auklappen unter einem Haufen von Flücht¬
lingen und im heftigsten Kanoncnfcuer. „Wer noch nie einer Deroute bei¬
gewohnt hatte, mußte Alles verloren wähnen. Zwar goß der Feind gleichsam
nur wie mit Lavaströmen-von der besetzten Höhe auf uns herab, ohne übrigens
einen Tirailleur zu zeigen; aber der Eindruck war nichts desto weniger erschüt¬
ternd und wurde durch die Verwirrung unserer Reiterei vermehrt. In deren ge¬
schlossenen Colonnen wirkte das feindliche Eisen schrcckencrrcgcnd. Es sprang
namentlich ein Pulverlastcn im vlviopvlschen Husarenregimente, der dessen
ganze dicke Masse gleich einem Mückenschwärme auf dem Felde zerstreute. Mit¬
ten unter diesen Wirren stand der alte Benningsen eisenfest. Ein kühner, treff¬
licher Reiter, trotz seiner zweiundsechzig Jahre, gewährte er auf seinem Schim
mel einen wahrhaft imponirenden Anblick.

Ein noch älterer Begleiter, der General der Kavallerie v. Knorring, der
dem Feldzuge nur als Beobachter beiwohnte, und den Benningsen oft scherzend
seinen Hofmeister nannte, benahm sich hier dem Anschein nach etwas auffallend.
Er ließ es an Vorstellungen über den mißlichen Standpunkt für einen Com-
mandirenden nicht fehlen und wiederholte ohne Unterlaß: „Mein lieber Leonen
— Leontiwitsch, — Sie werden hier todt geschossen werden, wie 'ein fauler
Hund, und dadurch Niemand zu etwas dienen; machen Sie, daß Sie aus
diesem Satanspfuhl entkommen, ehe es zu spät ist!" Während ähnlicher Auf¬
forderungen, zu denen Benningsen lächelnd schwieg, schlug eine Granate dicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/138>, abgerufen am 27.09.2024.