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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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sehen Division in Schlachtordnung stand, während sich ihre Vortruppen bei
Czarnowo bereits mit dem Feinde schlugen. Die große Zahl der aus dem
Gefecht zurückkehrenden Verwundeten legte Zeugniß ab für die Heftigkeit des
Kampfes, und die Meldungen besagten, daß der viel stärkere Feind bald die
Vorhut zurückdrängen würde. Obgleich insofern der Tag eine nachtheilige
Wendung zu nehmen schien. waren doch die bei Nasiclsk versammelten Truppen
guten Muthes und brannten vor Begier, sich mit dem Feinde zu messen.

Graf Kamensky aber, der unterdessen ein Pferd bestiegen hatte, ritt an
das pawlvwsche Grenadicrregimcnt heran und rief den Soldaten zu. sie wären
Vervathen und verkauft; Alles sei verloren und sie mochten nach Hause laufen.
Er selbst ginge voraus!

Es war natürlich, daß ein derartiges Auftreten die äußerste Entrüstung
erregte. Graf Ostcrmann kam an den Prinzen Eugen herangeritten und fragte,
was das zu bedcuicn habe. Der Prinz antwortete mit einer Bewegung des
Zeigefingers nach der Stirn. Gleich darauf rief Graf Liewen. der Chef des
Petersburger Grenadicrregimcnts: "Und dieser Besessene soll gegen Napoleon
commandiren?" Fast gleichzeitig sielen dann mehre ein "sagen Sie dem Gene¬
ral (Bcnningsen), hier würde Keiner dem Wahnsinniggcwordenen gehorchen!"

Das ließ sich der Prinz nicht zweimal sagen, sondern sprengte eiligst
von dannen, sah sich aber bald von dem Flügeladjutantcn Benkendvrs, der
ein frisches Pferd hatte, überholt. "II est, ton, g-rdrikou!" rief ihm dieser
im Vorbeijagen zu. So kam denn Prinz Eugen erst als der Zweite mit der
Nachricht von Kcunenskys Verrücktwerden bei Bcnningsen an und bald folgten
alle anderen Adjutanten des Feldmarschalls mit der gleichen Kunde, und mel¬
deten sich bei Bcnningsen. Von Nafielsk war mittlerweile Kamensky fast
schonungslos weggewiesen worden und war darauf zu dem Grafen Sacken nach
Lvpaczin gefahren, wo es zu ähnlichen ärgerlichen Auftritten kam, wo man
sich aber des Verrückten ebenfalls bald zu entledigen wußte. Die Verwirrung,
welche seine widersprechenden Befehle unterdessen angerichtet hatten, war grenzen¬
los. Bcnningsen wußte gar nicht mehr, wo er seine einzelnen TrupPcntheile
suchen sollte. Schwere Batterien kamen auf den Vorposten an. konnten im
Schlamm nicht auf der Stelle umdrehen und versanken in den Gräben. Ehe
man sie herausbringen konnte, war der Feind da, und man ließ sie im Stich.
Auf diese Weise gingen 42 Geschütze verloren. Bagagewagen versperrten alle
Wege und hielten zum Glück selbst die vordringenden Franzosen auf. Jnfanterie-
und Reiterregimenter zogen der Kreuz und der Quer und gelangten bis in die
Marschlinie des Feindes, der von ihrem unerwarteten Erscheinen stutzig wurde
und schon das Opfer eines wohldurchdachten Planes zu sein glaubte.

Bcnningsen that was er konnte, um der Unordnung zu steuern, und schickte
nach allen Richtungen Adjutanten aus, um alle Truppen bei Puitusk zu sam-


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sehen Division in Schlachtordnung stand, während sich ihre Vortruppen bei
Czarnowo bereits mit dem Feinde schlugen. Die große Zahl der aus dem
Gefecht zurückkehrenden Verwundeten legte Zeugniß ab für die Heftigkeit des
Kampfes, und die Meldungen besagten, daß der viel stärkere Feind bald die
Vorhut zurückdrängen würde. Obgleich insofern der Tag eine nachtheilige
Wendung zu nehmen schien. waren doch die bei Nasiclsk versammelten Truppen
guten Muthes und brannten vor Begier, sich mit dem Feinde zu messen.

Graf Kamensky aber, der unterdessen ein Pferd bestiegen hatte, ritt an
das pawlvwsche Grenadicrregimcnt heran und rief den Soldaten zu. sie wären
Vervathen und verkauft; Alles sei verloren und sie mochten nach Hause laufen.
Er selbst ginge voraus!

Es war natürlich, daß ein derartiges Auftreten die äußerste Entrüstung
erregte. Graf Ostcrmann kam an den Prinzen Eugen herangeritten und fragte,
was das zu bedcuicn habe. Der Prinz antwortete mit einer Bewegung des
Zeigefingers nach der Stirn. Gleich darauf rief Graf Liewen. der Chef des
Petersburger Grenadicrregimcnts: „Und dieser Besessene soll gegen Napoleon
commandiren?" Fast gleichzeitig sielen dann mehre ein „sagen Sie dem Gene¬
ral (Bcnningsen), hier würde Keiner dem Wahnsinniggcwordenen gehorchen!"

Das ließ sich der Prinz nicht zweimal sagen, sondern sprengte eiligst
von dannen, sah sich aber bald von dem Flügeladjutantcn Benkendvrs, der
ein frisches Pferd hatte, überholt. „II est, ton, g-rdrikou!" rief ihm dieser
im Vorbeijagen zu. So kam denn Prinz Eugen erst als der Zweite mit der
Nachricht von Kcunenskys Verrücktwerden bei Bcnningsen an und bald folgten
alle anderen Adjutanten des Feldmarschalls mit der gleichen Kunde, und mel¬
deten sich bei Bcnningsen. Von Nafielsk war mittlerweile Kamensky fast
schonungslos weggewiesen worden und war darauf zu dem Grafen Sacken nach
Lvpaczin gefahren, wo es zu ähnlichen ärgerlichen Auftritten kam, wo man
sich aber des Verrückten ebenfalls bald zu entledigen wußte. Die Verwirrung,
welche seine widersprechenden Befehle unterdessen angerichtet hatten, war grenzen¬
los. Bcnningsen wußte gar nicht mehr, wo er seine einzelnen TrupPcntheile
suchen sollte. Schwere Batterien kamen auf den Vorposten an. konnten im
Schlamm nicht auf der Stelle umdrehen und versanken in den Gräben. Ehe
man sie herausbringen konnte, war der Feind da, und man ließ sie im Stich.
Auf diese Weise gingen 42 Geschütze verloren. Bagagewagen versperrten alle
Wege und hielten zum Glück selbst die vordringenden Franzosen auf. Jnfanterie-
und Reiterregimenter zogen der Kreuz und der Quer und gelangten bis in die
Marschlinie des Feindes, der von ihrem unerwarteten Erscheinen stutzig wurde
und schon das Opfer eines wohldurchdachten Planes zu sein glaubte.

Bcnningsen that was er konnte, um der Unordnung zu steuern, und schickte
nach allen Richtungen Adjutanten aus, um alle Truppen bei Puitusk zu sam-


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[0135] sehen Division in Schlachtordnung stand, während sich ihre Vortruppen bei Czarnowo bereits mit dem Feinde schlugen. Die große Zahl der aus dem Gefecht zurückkehrenden Verwundeten legte Zeugniß ab für die Heftigkeit des Kampfes, und die Meldungen besagten, daß der viel stärkere Feind bald die Vorhut zurückdrängen würde. Obgleich insofern der Tag eine nachtheilige Wendung zu nehmen schien. waren doch die bei Nasiclsk versammelten Truppen guten Muthes und brannten vor Begier, sich mit dem Feinde zu messen. Graf Kamensky aber, der unterdessen ein Pferd bestiegen hatte, ritt an das pawlvwsche Grenadicrregimcnt heran und rief den Soldaten zu. sie wären Vervathen und verkauft; Alles sei verloren und sie mochten nach Hause laufen. Er selbst ginge voraus! Es war natürlich, daß ein derartiges Auftreten die äußerste Entrüstung erregte. Graf Ostcrmann kam an den Prinzen Eugen herangeritten und fragte, was das zu bedcuicn habe. Der Prinz antwortete mit einer Bewegung des Zeigefingers nach der Stirn. Gleich darauf rief Graf Liewen. der Chef des Petersburger Grenadicrregimcnts: „Und dieser Besessene soll gegen Napoleon commandiren?" Fast gleichzeitig sielen dann mehre ein „sagen Sie dem Gene¬ ral (Bcnningsen), hier würde Keiner dem Wahnsinniggcwordenen gehorchen!" Das ließ sich der Prinz nicht zweimal sagen, sondern sprengte eiligst von dannen, sah sich aber bald von dem Flügeladjutantcn Benkendvrs, der ein frisches Pferd hatte, überholt. „II est, ton, g-rdrikou!" rief ihm dieser im Vorbeijagen zu. So kam denn Prinz Eugen erst als der Zweite mit der Nachricht von Kcunenskys Verrücktwerden bei Bcnningsen an und bald folgten alle anderen Adjutanten des Feldmarschalls mit der gleichen Kunde, und mel¬ deten sich bei Bcnningsen. Von Nafielsk war mittlerweile Kamensky fast schonungslos weggewiesen worden und war darauf zu dem Grafen Sacken nach Lvpaczin gefahren, wo es zu ähnlichen ärgerlichen Auftritten kam, wo man sich aber des Verrückten ebenfalls bald zu entledigen wußte. Die Verwirrung, welche seine widersprechenden Befehle unterdessen angerichtet hatten, war grenzen¬ los. Bcnningsen wußte gar nicht mehr, wo er seine einzelnen TrupPcntheile suchen sollte. Schwere Batterien kamen auf den Vorposten an. konnten im Schlamm nicht auf der Stelle umdrehen und versanken in den Gräben. Ehe man sie herausbringen konnte, war der Feind da, und man ließ sie im Stich. Auf diese Weise gingen 42 Geschütze verloren. Bagagewagen versperrten alle Wege und hielten zum Glück selbst die vordringenden Franzosen auf. Jnfanterie- und Reiterregimenter zogen der Kreuz und der Quer und gelangten bis in die Marschlinie des Feindes, der von ihrem unerwarteten Erscheinen stutzig wurde und schon das Opfer eines wohldurchdachten Planes zu sein glaubte. Bcnningsen that was er konnte, um der Unordnung zu steuern, und schickte nach allen Richtungen Adjutanten aus, um alle Truppen bei Puitusk zu sam- t7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/135>, abgerufen am 27.09.2024.