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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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nicht. Er schien, ohne gerade verlegen und unbeholfen zusein, doch von keiner
gewandten Tournüre, wie manche andere Weltmänner. Er besann sich eine
Weile, ehe er sprach, und bat die Kurfürstin um Verzeihung, daß er in Stie¬
feln zu erscheinen gezwungen sei. Dann fügte er hinzu, daß er unwillkürlich
den Wegen folge, die ihm sein Schicksal vorzeichne, und seine Kleidung nicht
immer für alle Fälle passend wählen könne; -- heute habe ihn sein glücklicher
Stern hierher geführt, und er sei davon sehr befriedigt. -- Die ganze Anrede,
die ich nachzuschreiben versuchte, möchte ich möglicher Irrthümer halber bier,
wo getreue Wahrheit im Vortrage mein Hauptbcstreben ist, durch kein falsches
Wort verletzen; daher beschränke ich mich auf die Angabe des Sinnes seiner
Rede. Soll ich aber, auf Gefahr der Täuschung, meine Meinung aussprechen,
so gestehe ich, daß ich seine Worte für einstudirt hielt, weil mir, als er dann
später seine Umgebungen präsentirte, und bei jeder Person eine Anspielung
auf ihr früheres Verdienst einschaltete, seine unverkennbaren Improvisationen
weit besser gefielen. Schon im Laufe dieses nur kurzen Abends hatte am
würtembergischen Hofe Napoleon den Ruf großer Liebenswürdigkeit erworben.
-- Er zog sich heute bald aus der Versammlung zurück, während die Mar-
schälle Berthier und Mortier, die Generale Clarke und Napp und viele andere
höhere Offiziere der Abendtafel noch beiwohnten. -- Der Aufenthalt Napoleons
verlängerte sich bis zum anderen Tage, wo er auch eine Unterredung mit dem
Vater des Prinzen Eugen hatte, dessen Stellung als preußischer General er
benutzte, um ein sehr verbindliches Schreiben nach Berlin gelangen zu lassen,
bestimmt die Sendung Durocs dorthin zu unterstützen. Bei dieser Gelegenheit
sprach er sich in sehr schmeichelhaften Ausdrücken über Preußen und dessen Be¬
herrscher aus, natürlich nur, um bei dem Vermittler einen für seine Absichten
günstigen Eindruck hervorzurufen. Ueber Oestreich und Nußland dagegen
äußerte er sich ziemlich gereizt und geringschätzig. Es war dies seine gewöhn¬
liche Weise, über die Gegner, mit denen er es unmittelbar zu thun hatte, zu
sprechen. Er schilderte dem Herzog fürs Erste die Absicht Oestreichs als auf
den Besitz von Bayern und Italien gerichtet, fügte dann aber rasch hinzu'-
"doch man irrt sich, wenn man glaubt, daß der Löwe schlafe. Ich werde gen
Wien marschiren, als wäre es auf Etappen. Schon ist der Gegner aufgerollt,
und seine Niederlage kann nicht fehlen. Die Hand voll Nüssen, die dahinter
folgt, wird mich nicht hindern. Es sind brave Truppen, aber noch zu schwer¬
fällig." Indem er dann eine Weile anhielt, fuhr er fort: "Ich begreife Ihren
Neffen, den Kaiser Alexander, nicht. -- Was will er denn eigentlich von mir?
-- Aber da ist freilich Ihre Frau Schwester, die mich nicht liebt, ob zwar
ich sie sehr hochachte. -- Der Kaiser Paul war mein Freund, wollte aber
auf meinen Nath nicht hören. Die Russen sind schwer zu regieren, -- jeden¬
falls gar pfiffig und verschmitzt, zugleich aber hartköpfig; sie gehen ihren Weg,


nicht. Er schien, ohne gerade verlegen und unbeholfen zusein, doch von keiner
gewandten Tournüre, wie manche andere Weltmänner. Er besann sich eine
Weile, ehe er sprach, und bat die Kurfürstin um Verzeihung, daß er in Stie¬
feln zu erscheinen gezwungen sei. Dann fügte er hinzu, daß er unwillkürlich
den Wegen folge, die ihm sein Schicksal vorzeichne, und seine Kleidung nicht
immer für alle Fälle passend wählen könne; — heute habe ihn sein glücklicher
Stern hierher geführt, und er sei davon sehr befriedigt. — Die ganze Anrede,
die ich nachzuschreiben versuchte, möchte ich möglicher Irrthümer halber bier,
wo getreue Wahrheit im Vortrage mein Hauptbcstreben ist, durch kein falsches
Wort verletzen; daher beschränke ich mich auf die Angabe des Sinnes seiner
Rede. Soll ich aber, auf Gefahr der Täuschung, meine Meinung aussprechen,
so gestehe ich, daß ich seine Worte für einstudirt hielt, weil mir, als er dann
später seine Umgebungen präsentirte, und bei jeder Person eine Anspielung
auf ihr früheres Verdienst einschaltete, seine unverkennbaren Improvisationen
weit besser gefielen. Schon im Laufe dieses nur kurzen Abends hatte am
würtembergischen Hofe Napoleon den Ruf großer Liebenswürdigkeit erworben.
— Er zog sich heute bald aus der Versammlung zurück, während die Mar-
schälle Berthier und Mortier, die Generale Clarke und Napp und viele andere
höhere Offiziere der Abendtafel noch beiwohnten. — Der Aufenthalt Napoleons
verlängerte sich bis zum anderen Tage, wo er auch eine Unterredung mit dem
Vater des Prinzen Eugen hatte, dessen Stellung als preußischer General er
benutzte, um ein sehr verbindliches Schreiben nach Berlin gelangen zu lassen,
bestimmt die Sendung Durocs dorthin zu unterstützen. Bei dieser Gelegenheit
sprach er sich in sehr schmeichelhaften Ausdrücken über Preußen und dessen Be¬
herrscher aus, natürlich nur, um bei dem Vermittler einen für seine Absichten
günstigen Eindruck hervorzurufen. Ueber Oestreich und Nußland dagegen
äußerte er sich ziemlich gereizt und geringschätzig. Es war dies seine gewöhn¬
liche Weise, über die Gegner, mit denen er es unmittelbar zu thun hatte, zu
sprechen. Er schilderte dem Herzog fürs Erste die Absicht Oestreichs als auf
den Besitz von Bayern und Italien gerichtet, fügte dann aber rasch hinzu'-
„doch man irrt sich, wenn man glaubt, daß der Löwe schlafe. Ich werde gen
Wien marschiren, als wäre es auf Etappen. Schon ist der Gegner aufgerollt,
und seine Niederlage kann nicht fehlen. Die Hand voll Nüssen, die dahinter
folgt, wird mich nicht hindern. Es sind brave Truppen, aber noch zu schwer¬
fällig." Indem er dann eine Weile anhielt, fuhr er fort: „Ich begreife Ihren
Neffen, den Kaiser Alexander, nicht. — Was will er denn eigentlich von mir?
— Aber da ist freilich Ihre Frau Schwester, die mich nicht liebt, ob zwar
ich sie sehr hochachte. — Der Kaiser Paul war mein Freund, wollte aber
auf meinen Nath nicht hören. Die Russen sind schwer zu regieren, — jeden¬
falls gar pfiffig und verschmitzt, zugleich aber hartköpfig; sie gehen ihren Weg,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/130>, abgerufen am 27.09.2024.