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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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form, so fern sie offen den Kampf aufgenommen und zu agitatorischen Mitteln
gegriffen haben, bereits zurückgetrieben sind, daß das Großdcutschthum als po¬
litisch thätige Propaganda so rasch auf den bayrischen Prvvincialparticularismus
reducirt worden ist, ist kein kleiner Erfolg der Nationalpartei,

Von den beiden großen Parteien. welche im frankfurter Parlament den Ge¬
danken der bundesstaatlichen Einheit bekämpften, ist es also die eine, welche
noch heute, wenn auch unter veränderten Verhältnissen, doch mit denselben Zie¬
len auf dem Kampfplätze steht -- anders ist es mit dem zweiten Gegner von
damals, mit der Demokratie,

Damals die bestvrganisirte, bestdisciplinirte Partei, ist die Demokratie in¬
zwischen einem völligen Auflösungsproceß erlegen. Während die demokratischen
Grundsätze im Allgemeinen an Verbreitung gewonnen habe", scheint die Partei-
bildende Kraft dieses Princips fast erloschen. Es gibt keine demokratische, wie
keine conservative Partei mehr. Gleichviel ob man in dieser Erscheinung die
Wirkung eines allgemeinen Gesetzes oder eine vorübergehende Phase erblicken
mag, Thatsache ist, das; während die Tendenzen des Fortschritts gegenwärtig
sich vorwiegend auf die Entwicklung der materiellen Interessen, auf das volks-
wirthschaftliche Gebiet geworfen haben, für das eigentlich politische Leben die
nationalen Fragen bestimmend in den Vordergrund getreten sind. Nicht die
Durchführung abstracter Freiheitsbegriffe, sondern die Befriedigung der nationalen
Ansprüche ist die Forderung der Gegenwart geworden. Keine Partei hat deshalb
größere Veränderungen erlitten als diejenige, die auf jenes abstracte Princip
gebaut war. Wie sie äußerlich am meisten durch die Ereignisse gelitten hat,
so hat sie auch in ihren Ideen die größte Umbildung erfahren. Keine hatte
mehr zu lernen, und keine hat mehr gelernt. Keiner kam es überdies mehr zu
statten, daß ihre damaligen Hauptführer größtentheils vom Schauplatz ver¬
schwunden, persönliche Erfahrungen und Verbissenheiten dadurch in den Hinter
grünt getreten sind.

Auch diejenigen, die in der Bitterkeit des Exils die Consequenz ihrer
Grundsätze festgehalten haben, kehrten -- von den meisten darf man sagen --
geläutert, mit greifbaren Anschauungen wieder. Die zurückgeblieben waren, lern¬
en in der Schule einer zwölfjährigen Reaction den Werth langsamer, mühvoll
erkämpfter Fortschritte, die Nothwendigkeit einer allmäligen Durchbildung der
nationalen Idee begreisen. Der jüngere Nachwuchs hatte es ohnedies leichter,
sich von einer doctrinärcn Auffassung freier zu halten; er machte seine Schule
einer Zeit, in welcher die Vergeblichkeit der Freihcitsforderungen, so lange
die Bundcswirthschast fortdauerte, in welcher auch die Vergeblichkeit der Einheits-
fvrderungcn, wenn nicht den thatsächlichen Machtverhältnissen Rechnung ge¬
tragen würde, sich bei jedem Schritt aufdrängen mußte. Theilweise Vollzog
sich dieser Umschwung in der Demokratie freilich nur mit allmäliger Ueber-


Grmzbotm II. ILVi!. 2

form, so fern sie offen den Kampf aufgenommen und zu agitatorischen Mitteln
gegriffen haben, bereits zurückgetrieben sind, daß das Großdcutschthum als po¬
litisch thätige Propaganda so rasch auf den bayrischen Prvvincialparticularismus
reducirt worden ist, ist kein kleiner Erfolg der Nationalpartei,

Von den beiden großen Parteien. welche im frankfurter Parlament den Ge¬
danken der bundesstaatlichen Einheit bekämpften, ist es also die eine, welche
noch heute, wenn auch unter veränderten Verhältnissen, doch mit denselben Zie¬
len auf dem Kampfplätze steht — anders ist es mit dem zweiten Gegner von
damals, mit der Demokratie,

Damals die bestvrganisirte, bestdisciplinirte Partei, ist die Demokratie in¬
zwischen einem völligen Auflösungsproceß erlegen. Während die demokratischen
Grundsätze im Allgemeinen an Verbreitung gewonnen habe», scheint die Partei-
bildende Kraft dieses Princips fast erloschen. Es gibt keine demokratische, wie
keine conservative Partei mehr. Gleichviel ob man in dieser Erscheinung die
Wirkung eines allgemeinen Gesetzes oder eine vorübergehende Phase erblicken
mag, Thatsache ist, das; während die Tendenzen des Fortschritts gegenwärtig
sich vorwiegend auf die Entwicklung der materiellen Interessen, auf das volks-
wirthschaftliche Gebiet geworfen haben, für das eigentlich politische Leben die
nationalen Fragen bestimmend in den Vordergrund getreten sind. Nicht die
Durchführung abstracter Freiheitsbegriffe, sondern die Befriedigung der nationalen
Ansprüche ist die Forderung der Gegenwart geworden. Keine Partei hat deshalb
größere Veränderungen erlitten als diejenige, die auf jenes abstracte Princip
gebaut war. Wie sie äußerlich am meisten durch die Ereignisse gelitten hat,
so hat sie auch in ihren Ideen die größte Umbildung erfahren. Keine hatte
mehr zu lernen, und keine hat mehr gelernt. Keiner kam es überdies mehr zu
statten, daß ihre damaligen Hauptführer größtentheils vom Schauplatz ver¬
schwunden, persönliche Erfahrungen und Verbissenheiten dadurch in den Hinter
grünt getreten sind.

Auch diejenigen, die in der Bitterkeit des Exils die Consequenz ihrer
Grundsätze festgehalten haben, kehrten — von den meisten darf man sagen —
geläutert, mit greifbaren Anschauungen wieder. Die zurückgeblieben waren, lern¬
en in der Schule einer zwölfjährigen Reaction den Werth langsamer, mühvoll
erkämpfter Fortschritte, die Nothwendigkeit einer allmäligen Durchbildung der
nationalen Idee begreisen. Der jüngere Nachwuchs hatte es ohnedies leichter,
sich von einer doctrinärcn Auffassung freier zu halten; er machte seine Schule
einer Zeit, in welcher die Vergeblichkeit der Freihcitsforderungen, so lange
die Bundcswirthschast fortdauerte, in welcher auch die Vergeblichkeit der Einheits-
fvrderungcn, wenn nicht den thatsächlichen Machtverhältnissen Rechnung ge¬
tragen würde, sich bei jedem Schritt aufdrängen mußte. Theilweise Vollzog
sich dieser Umschwung in der Demokratie freilich nur mit allmäliger Ueber-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/13>, abgerufen am 27.09.2024.