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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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die doch sonst das strengste Geheimniß bewahrt wurde, in ein Nebenzimmer zu
treten, sondern sie mitten unter der Ballgesellschaft verhandelte. Das reizte
natürlich die Neugier der Damen. Die Prinzeß Katharina, für welche dieser
Tag ebenfalls die Einleitung zu dem hohen Glück wurde, mit dem späteren König
Hieronymus von Westphalen den Thron zu theilen, die heute aber noch mit ihrem
Vetter, dem Prinzen Eugen, einen Walzer tanzte, zog ihren Tänzer in die Nähe
des Kreises, der sich um ihren Vater gebildet hatte, und lieh etwas unbescheiden
der Verhandlung ihr Ohr, worauf der Kurfürst sie mit einer Verbeugung und der
Bemerkung fortwies: "0n est apxelS pour clauso et xsrs ^ mola conseil"
Der Tanz wurde nun fortgesetzt; bald jedoch trat eine neue Störung ein;
denn plötzlich stürzte der Chevauxlegerslieutenant von Landsberg fast athemlos
herein und rief dem Kurfürsten zu: "Um Gottes Willen, gnädigster Herr, hören
Sie mich an! die Franzosen sind keine Viertelstunde mehr von hier entfernt!"
Die Franzosen waren nämlich bei Strasburg über den Rhein gegangen, hatten
bei Vaihingen die würtenbergische Grenze überschritten und waren mit einer
Colonne bereits bis Ludwigsburg unterwegs. Wie eine von einem unerwar¬
teten Schuß aufgescheuchte Schaar Vögel stob die Gesellschaft auseinander,
und der Kurfürst war nicht der gefaßteste. Alles stürzte nach den Wagen und
es dauerte lange, ehe sich diese aus der grenzenlosen Verwirrung, die noch
durch die falsche Kunde vermehrt wurde, daß französische Vortruppen bereits zu
den Fenstern hereinsähen, hcrauswickcltc, um eiligst nach Ludwigsburg abzu¬
fahren, welches die ganze Gesellschaft ohne weitere Gefährde erreichte.

Als am andern Morgen Prinz Eugen im Schlosse von Ludwigsburg ans
Fenster trat, traf seine Augen ein überraschendes Schauspiel. Den Ameisen
gleich bedeckten zahlreiche Gruppen Franzosen Wege und Felder, soweit der
Blick reichte. Alle Straßen waren mit Fuhrwerk und Reiterei bedeckt. Das
Fußvolk schien in lauter einzelnen Haufen, kaum geordnet, querfeldein dazwi¬
schen zu schreiten. Es war das ganze Corps des Marschall Ney, der die vom
Kurfürsten für seine Residenz verlangte Neutralität achtend an Ludwigsburg
vorbeimarschiren, ohne es zu berühren. Weniger rücksichtsvoll zeigte sich der
ihm folgende Marschall Lannes. In rother Husarenuniform, an der Spitze
seines Stabes, verlangte er ungestüm Einlaß durch die Barriere, welche ihm
eine würtnnbergische Wache sperrte. Den groben Mann zu beschwichtigen,
fuhr der Kurfürst selbst hinaus, und es gelang seinem beredten Munde, bei dem
laut scheltenden der Vorstellung Eingang zu verschaffen, daß der Besitz von
Ludwigsburg keine militärischen Vortheile bringe, wohl aber das gewaltsame
Eindringen (im Widerspruch mit den diplomatischen Formen) zu Streitigkeiten
führen könne, die der Kaiser Napoleon, der nur nach großen Zwecken strebe,
wohl selbst gern Vermieter sehen möchte. Es glückte dem Franzosenkaiser für
diesmal die Zornesblitze des Würtembergers von seinem Haupte abzulenken;


die doch sonst das strengste Geheimniß bewahrt wurde, in ein Nebenzimmer zu
treten, sondern sie mitten unter der Ballgesellschaft verhandelte. Das reizte
natürlich die Neugier der Damen. Die Prinzeß Katharina, für welche dieser
Tag ebenfalls die Einleitung zu dem hohen Glück wurde, mit dem späteren König
Hieronymus von Westphalen den Thron zu theilen, die heute aber noch mit ihrem
Vetter, dem Prinzen Eugen, einen Walzer tanzte, zog ihren Tänzer in die Nähe
des Kreises, der sich um ihren Vater gebildet hatte, und lieh etwas unbescheiden
der Verhandlung ihr Ohr, worauf der Kurfürst sie mit einer Verbeugung und der
Bemerkung fortwies: „0n est apxelS pour clauso et xsrs ^ mola conseil"
Der Tanz wurde nun fortgesetzt; bald jedoch trat eine neue Störung ein;
denn plötzlich stürzte der Chevauxlegerslieutenant von Landsberg fast athemlos
herein und rief dem Kurfürsten zu: „Um Gottes Willen, gnädigster Herr, hören
Sie mich an! die Franzosen sind keine Viertelstunde mehr von hier entfernt!"
Die Franzosen waren nämlich bei Strasburg über den Rhein gegangen, hatten
bei Vaihingen die würtenbergische Grenze überschritten und waren mit einer
Colonne bereits bis Ludwigsburg unterwegs. Wie eine von einem unerwar¬
teten Schuß aufgescheuchte Schaar Vögel stob die Gesellschaft auseinander,
und der Kurfürst war nicht der gefaßteste. Alles stürzte nach den Wagen und
es dauerte lange, ehe sich diese aus der grenzenlosen Verwirrung, die noch
durch die falsche Kunde vermehrt wurde, daß französische Vortruppen bereits zu
den Fenstern hereinsähen, hcrauswickcltc, um eiligst nach Ludwigsburg abzu¬
fahren, welches die ganze Gesellschaft ohne weitere Gefährde erreichte.

Als am andern Morgen Prinz Eugen im Schlosse von Ludwigsburg ans
Fenster trat, traf seine Augen ein überraschendes Schauspiel. Den Ameisen
gleich bedeckten zahlreiche Gruppen Franzosen Wege und Felder, soweit der
Blick reichte. Alle Straßen waren mit Fuhrwerk und Reiterei bedeckt. Das
Fußvolk schien in lauter einzelnen Haufen, kaum geordnet, querfeldein dazwi¬
schen zu schreiten. Es war das ganze Corps des Marschall Ney, der die vom
Kurfürsten für seine Residenz verlangte Neutralität achtend an Ludwigsburg
vorbeimarschiren, ohne es zu berühren. Weniger rücksichtsvoll zeigte sich der
ihm folgende Marschall Lannes. In rother Husarenuniform, an der Spitze
seines Stabes, verlangte er ungestüm Einlaß durch die Barriere, welche ihm
eine würtnnbergische Wache sperrte. Den groben Mann zu beschwichtigen,
fuhr der Kurfürst selbst hinaus, und es gelang seinem beredten Munde, bei dem
laut scheltenden der Vorstellung Eingang zu verschaffen, daß der Besitz von
Ludwigsburg keine militärischen Vortheile bringe, wohl aber das gewaltsame
Eindringen (im Widerspruch mit den diplomatischen Formen) zu Streitigkeiten
führen könne, die der Kaiser Napoleon, der nur nach großen Zwecken strebe,
wohl selbst gern Vermieter sehen möchte. Es glückte dem Franzosenkaiser für
diesmal die Zornesblitze des Würtembergers von seinem Haupte abzulenken;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/128>, abgerufen am 27.09.2024.