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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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unter denjenigen Orten, weichender Sägerand das Heil widerfahren ist, groß-
deutsche Vereine in ihrer Mitte entstehen zu sehen, wird eine kritische Geschicht¬
forschung, wenn sie sich überhaupt einst mit diesen Dingen besassen sollte, ver¬
schiedene Städte finden, in welchen aus dem kreisenden Berg gar sonderbare
Geburten zu Tage gekommen sind, die nicht ohne Grund seit jenem Moment kein
Lebenszeichen mehr von sich gegeben haben, so z. B. in Augsburg, in Regensburg.
Vielleicht war es an anderen Orten nicht besser, wenigstens ist ein auffallender
Zug bemerklich, die großdeutsche Agitation in der Landeshauptstadt München
zu concentriren, und die erkleckliche Anzahl eingeborner und seßhafter Residenz-
bewohner hat sich noch durch ein ansehnliches Contingent auswärtiger Mit¬
glieder verstärkt. Der Münchner Verein hat eine gewisse bevorzugte Stellung
unter seinen College" eingenommen und droht, wenn wir nicht irren, dem Central-
verein, der noch immer heimathlos an den Gestaden des Main herumirrt, ge¬
wissermaßen Concurrenz zu machen, zumal er sich gleich bei seiner Gründung
erlaubt hat, eine gewisse Controle über den Centralverein zu beanspruchen,
falls dieser etwa gar zu stürmisch voranzugehen und nicht schonend genug mit
den Svnderstaatcn zu Verfahren sich vermäße. Ohne Zweifel hat dieser höchst
orthodoxe Standpunkt nicht wenig zu der Popularität des Münchner Vereins
beigetragen, noch mehr vielleicht die eigenthümliche Anpassung der politischen
Agitation an die harmlosen einheimischen Sitten und Gewohnheiten. Der
Bayer liebt es nicht über trockene Gegenstände, wie das Delegirtenproject ist,
im Trockenen zu debattircn. Cs war deshalb ein höchst glücklicher Gedanke,
die Versammlungen des großdeutschen Vereins in "gesellige Abende" zu ver¬
wandeln, wo außer den politischen Debatten auch Raum für anderweitige Ge¬
nüsse war und die Politik selbst neben ernsterer Debatte durch die Kapuzinaden
des Redacteurs des ultramontanen "Volksboden" und die Späße des witzigen
Herausgebers des "Punch" mcinniglich mundgerecht gemacht wurde.

Kein Wunder, daß der großdeutsche Verein in Jsar-Athen wirklich popu¬
lär wurde und seine Mitglieder bald nach Tausenden zu zählen waren.

Die Fiction einer groß deutschen Partei, welche -- nur auf einer andern
Basis -- gleichfalls eine ernstliche Bundesreform anstrebte, war von kurzer
Dauer. Gleich nach dem frankfurter Tag sielen die künstlich zusammengebrachten
Elemente wieder auseinander. Dort an zerstreuten Orten die Reactionäre und
Hofdiener, hier einige Doctrinäre, die keinen volksthümlichen Boden haben;
eine compacte Partei nur in Bayern, die aber eben deshalb nur einen pro-
Vinciellen Charakter hat. Für eine wirkliche Reform ist von dieser Seite nichts
zu hoffen. Selbst die liberalen Wortführer haben erklärt, daß von einem Aus¬
geben der Souveränetätsrechte in Bezug auf Heer und diplomatische Vertretung
nicht die Rede sein könne. Der Particularismus eines einzelnen Volksstcunrns
ist ihr einziger populärer Halt -- ein Beweis, wie weit die Gegner der Ne-


unter denjenigen Orten, weichender Sägerand das Heil widerfahren ist, groß-
deutsche Vereine in ihrer Mitte entstehen zu sehen, wird eine kritische Geschicht¬
forschung, wenn sie sich überhaupt einst mit diesen Dingen besassen sollte, ver¬
schiedene Städte finden, in welchen aus dem kreisenden Berg gar sonderbare
Geburten zu Tage gekommen sind, die nicht ohne Grund seit jenem Moment kein
Lebenszeichen mehr von sich gegeben haben, so z. B. in Augsburg, in Regensburg.
Vielleicht war es an anderen Orten nicht besser, wenigstens ist ein auffallender
Zug bemerklich, die großdeutsche Agitation in der Landeshauptstadt München
zu concentriren, und die erkleckliche Anzahl eingeborner und seßhafter Residenz-
bewohner hat sich noch durch ein ansehnliches Contingent auswärtiger Mit¬
glieder verstärkt. Der Münchner Verein hat eine gewisse bevorzugte Stellung
unter seinen College« eingenommen und droht, wenn wir nicht irren, dem Central-
verein, der noch immer heimathlos an den Gestaden des Main herumirrt, ge¬
wissermaßen Concurrenz zu machen, zumal er sich gleich bei seiner Gründung
erlaubt hat, eine gewisse Controle über den Centralverein zu beanspruchen,
falls dieser etwa gar zu stürmisch voranzugehen und nicht schonend genug mit
den Svnderstaatcn zu Verfahren sich vermäße. Ohne Zweifel hat dieser höchst
orthodoxe Standpunkt nicht wenig zu der Popularität des Münchner Vereins
beigetragen, noch mehr vielleicht die eigenthümliche Anpassung der politischen
Agitation an die harmlosen einheimischen Sitten und Gewohnheiten. Der
Bayer liebt es nicht über trockene Gegenstände, wie das Delegirtenproject ist,
im Trockenen zu debattircn. Cs war deshalb ein höchst glücklicher Gedanke,
die Versammlungen des großdeutschen Vereins in „gesellige Abende" zu ver¬
wandeln, wo außer den politischen Debatten auch Raum für anderweitige Ge¬
nüsse war und die Politik selbst neben ernsterer Debatte durch die Kapuzinaden
des Redacteurs des ultramontanen „Volksboden" und die Späße des witzigen
Herausgebers des „Punch" mcinniglich mundgerecht gemacht wurde.

Kein Wunder, daß der großdeutsche Verein in Jsar-Athen wirklich popu¬
lär wurde und seine Mitglieder bald nach Tausenden zu zählen waren.

Die Fiction einer groß deutschen Partei, welche — nur auf einer andern
Basis — gleichfalls eine ernstliche Bundesreform anstrebte, war von kurzer
Dauer. Gleich nach dem frankfurter Tag sielen die künstlich zusammengebrachten
Elemente wieder auseinander. Dort an zerstreuten Orten die Reactionäre und
Hofdiener, hier einige Doctrinäre, die keinen volksthümlichen Boden haben;
eine compacte Partei nur in Bayern, die aber eben deshalb nur einen pro-
Vinciellen Charakter hat. Für eine wirkliche Reform ist von dieser Seite nichts
zu hoffen. Selbst die liberalen Wortführer haben erklärt, daß von einem Aus¬
geben der Souveränetätsrechte in Bezug auf Heer und diplomatische Vertretung
nicht die Rede sein könne. Der Particularismus eines einzelnen Volksstcunrns
ist ihr einziger populärer Halt — ein Beweis, wie weit die Gegner der Ne-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/12>, abgerufen am 27.09.2024.