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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band.

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fessoren und Zehntausenden von Studenten. Philosophie und Mathematik,
Chemie und Medicin, Grammatik, Gcsetzkunde und Geographie wurden leb¬
haft betrieben. Die vornehme Welt setzte einen Stolz darein, durch Stiftungen
die Wissenschaft zu fördern. Fürsten und Fürstinnen, Emire, reiche Handels¬
herren überboten sich im Eifer, Gelehrtenschulen und Akademien zu errichten
und auszusteuern, und der Erfolg ihres ruhmwürdigen Strebens war, daß die
Sarazenen sich eine geraume Zeit für das gebildetste Volk der Erde halten
konnten.

Diese Zeit ist längst vorüber. Mit dem mohammedanischen Staatsleben
verfielen auch diese Unterrichtsanstalten, nur wenige fristen jetzt noch das Dasein,
und auch diese erfüllen nur noch kümmerlich den Zweck ihrer Gründung. In
Aleppo gab es im elften Jahrhundert 44, in Damascus 126, in Kairo 76
Medresscn oder Akademien und überdies noch eine große Anzahl von Kvranschulen,
Derwischherbergen und andere der Wissenschaft dienende Anstalten. Jetzt be¬
stehen von den Medressen nur in Konstantinopel einige in tyrem alten Glänze
fort. Aleppo und Damascus besitzen jede nicht mehr als eine derselben. Aegyp-
ten hat gar keine mehr, da Mohammed Ali die Einkünfte aller frommen Stif¬
tungen confiscirte, um damit seine Eroberungszwecke zu verfolgen, und sein
soeben verstorbener Nachfolger Said zwar Millionen von Thalern für allerlei
Thorheiten, aber keinen Para für die Wissenschaft hatte. Schulen erschienen
ihm als unnützer Luxus, nothwendigstes und unumgänglichstes Erforderniß da¬
gegen war, daß der Vicekönig dreihundert Paar bunte Hosen und daß jeder
Offizier seines Heeres eine goldene, jeder Corporal eine silberne Uhr hatte.
Möglich, daß der neue Vicekönig Ismael Pascha bessere Begriffe von dem hat,
was seinem Volke frommt. Nach dem, was er den Consuln bei seinem Regie¬
rungsantritt sagte, darf man von ihm für die Hebung des Unterrichts Gutes
hoffen. Jetzt aber ist es mit dem Schulwesen Aegvptcns durchweg übel
bestellt.

Der einzige Rest, die letzte Zufluchtsstätte altmohammedanischcr Cultur im
Nillande ist die Universität, welche mit der Azherm osch ce in Kairo ver¬
bunden ist. Dieselbe hat indeß mit unsern Hochschulen nur geringe Ähnlichkeit,
wohl aber gleicht sie fast bis in die kleinsten Einzelnheiten den europäischen
Universitäten des Mittelalters, welches im Orient überhaupt in Staat. Kirche,
Sitte und Gesellschaft, Handel und Handwerk beinahe unverändert fortlebt.
in vielen Beziehungen hat man in dieser großen Universität der Araber
sogar ein Bild der alten Tempelschule zu Jerusalem vor sich, in welcher Hillcl
und Schamai lehrten und Saulus zu den Füßen Gamaliels saß. Während
w Europa sich Alles änderte, fortstrebte und sich weiter entwickelte, blieb hier
Jahrhunderte hindurch Alles beim Alten. Das Mittelalter ist hier wie eine
Mumie erhalten, die über kurz oder lang, von der neuen Zeit berührt, plötz-


fessoren und Zehntausenden von Studenten. Philosophie und Mathematik,
Chemie und Medicin, Grammatik, Gcsetzkunde und Geographie wurden leb¬
haft betrieben. Die vornehme Welt setzte einen Stolz darein, durch Stiftungen
die Wissenschaft zu fördern. Fürsten und Fürstinnen, Emire, reiche Handels¬
herren überboten sich im Eifer, Gelehrtenschulen und Akademien zu errichten
und auszusteuern, und der Erfolg ihres ruhmwürdigen Strebens war, daß die
Sarazenen sich eine geraume Zeit für das gebildetste Volk der Erde halten
konnten.

Diese Zeit ist längst vorüber. Mit dem mohammedanischen Staatsleben
verfielen auch diese Unterrichtsanstalten, nur wenige fristen jetzt noch das Dasein,
und auch diese erfüllen nur noch kümmerlich den Zweck ihrer Gründung. In
Aleppo gab es im elften Jahrhundert 44, in Damascus 126, in Kairo 76
Medresscn oder Akademien und überdies noch eine große Anzahl von Kvranschulen,
Derwischherbergen und andere der Wissenschaft dienende Anstalten. Jetzt be¬
stehen von den Medressen nur in Konstantinopel einige in tyrem alten Glänze
fort. Aleppo und Damascus besitzen jede nicht mehr als eine derselben. Aegyp-
ten hat gar keine mehr, da Mohammed Ali die Einkünfte aller frommen Stif¬
tungen confiscirte, um damit seine Eroberungszwecke zu verfolgen, und sein
soeben verstorbener Nachfolger Said zwar Millionen von Thalern für allerlei
Thorheiten, aber keinen Para für die Wissenschaft hatte. Schulen erschienen
ihm als unnützer Luxus, nothwendigstes und unumgänglichstes Erforderniß da¬
gegen war, daß der Vicekönig dreihundert Paar bunte Hosen und daß jeder
Offizier seines Heeres eine goldene, jeder Corporal eine silberne Uhr hatte.
Möglich, daß der neue Vicekönig Ismael Pascha bessere Begriffe von dem hat,
was seinem Volke frommt. Nach dem, was er den Consuln bei seinem Regie¬
rungsantritt sagte, darf man von ihm für die Hebung des Unterrichts Gutes
hoffen. Jetzt aber ist es mit dem Schulwesen Aegvptcns durchweg übel
bestellt.

Der einzige Rest, die letzte Zufluchtsstätte altmohammedanischcr Cultur im
Nillande ist die Universität, welche mit der Azherm osch ce in Kairo ver¬
bunden ist. Dieselbe hat indeß mit unsern Hochschulen nur geringe Ähnlichkeit,
wohl aber gleicht sie fast bis in die kleinsten Einzelnheiten den europäischen
Universitäten des Mittelalters, welches im Orient überhaupt in Staat. Kirche,
Sitte und Gesellschaft, Handel und Handwerk beinahe unverändert fortlebt.
in vielen Beziehungen hat man in dieser großen Universität der Araber
sogar ein Bild der alten Tempelschule zu Jerusalem vor sich, in welcher Hillcl
und Schamai lehrten und Saulus zu den Füßen Gamaliels saß. Während
w Europa sich Alles änderte, fortstrebte und sich weiter entwickelte, blieb hier
Jahrhunderte hindurch Alles beim Alten. Das Mittelalter ist hier wie eine
Mumie erhalten, die über kurz oder lang, von der neuen Zeit berührt, plötz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_360476/115>, abgerufen am 27.09.2024.