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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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tratischen Organen blos ein frankfurter Blatt öffentlichen Ausdruck verlieh; so
muß doch gesagt werden, daß die große Mehrzahl keinen Augenblick im Zweifel
war, und daß insbesondere diejenigen beiden Demokraten, auf welche wegen
ihres ausgesprochenen Großdcutschthums die Nosenheimer ganz besondere Hoff¬
nung gesetzt hatten, nämlich Probst und Schott, durch ihre entschlossene Haltung
gegenüber den verlockenden Einladungen von großdcutscher Seite die Situation
wesentlich klärten und vereinfachten.

Damit, daß Probst und Schott die Einladung nach Rosenheim ablehnten,
sagte sich das schwäbische Großdcutschthum von dem bayrisch-östreichischen Groß-
deutschthum los. Dies war der entscheidende Augenblick. Denn nach der
Versammlung in Rosenheim war vollends jeder noch bestehende Zweifel für
Schwaben gelöst. Formelle wie materielle Gründe wirkten hierzu gleichmäßig mit.

Mit Erstaunen erfuhr man, daß bei einer Versammlung "liberal-großdeut¬
scher" Notabilitäten, wie es ausdrücklich hieß, Württemberg durch den Frhn.
v. Värnbühler vertreten war, einen Mann, der das eine Erfordernis) zwar unbe-
zweifelt im hohen Maße besaß, nämlich die großdeutsche Gesinnung, dessen
Liberalismus dagegen bisher vollständig im Verborgenen blühte. Mit Hrn.
v. Värnbühler, den man, sofern es in Württemberg überhaupt eine Junker-
Partei gibt, allerdings das Haupt derselben nennen kann, konnte die schwäbische
Fortschrittspartei nicht zusammengehen. War Frhr. v. Värnbühler, wie ver¬
lautet, sogar der Vorsitzende der rosenheimer Adelsversammlung, so beging
man damit eine Taktlosigkeit, die nur daraus zu erklären ist, daß man sich über
die Stimmung des schwäbischen Volkes gründlich täuschte.

Aber auch in materieller Beziehung waren die Beschlüsse der rosenheimer
Versammlung, so viel davon in die Oeffentlichkeit drang, entscheidend. Man
hatte sich dort im Wesentlichen für die Delegirtenversammlung und Mr das
Bundesgericht ausgesprochen. Nun ist aber kein Gedanke bei der schwäbischen
Fortschrittspartei, und vielleicht beim schwäbischen Volke tiefer gewurzelt, als
der eines vollen, unverkürzten Parlaments, selbst als Abschlagszahlung konnte
die Delegirtenversammlung keine Gnade finden. Bezüglich des Bundesgerichts
kam noch >ein besonderer Umstand hinzu. Man erinnerte sich nämlich, daß
unter die Competenz eines solchen Bundesgerichts auch die in Württemberg
seit Jahren schwebende Frage wegen den Nachtragsentschädigungen für die durch
die Ablösungsgesetzgebung von 1843 und 49 beschädigten Privilegium fiele.
Die Angelegenheit ist zwar insofern bereinigt, als nach den entschiedenen
Meinungsäußerungen der II. Kammer vorläufig nicht weiter davon die
Rede ist. Für die Zukunft ist man dagegen noch immer nicht beruhigt, so
lange Herr v. Linden am Ruder bleibt; und was nun ein merkwürdiger Zufall ist,
gerade Herr v. Värnbühler war seiner Zeit der Hauptvertreter der Adels¬
interessen, der eifrigste Vertheidiger der unconstitutionellen sogenannten Nach-


tratischen Organen blos ein frankfurter Blatt öffentlichen Ausdruck verlieh; so
muß doch gesagt werden, daß die große Mehrzahl keinen Augenblick im Zweifel
war, und daß insbesondere diejenigen beiden Demokraten, auf welche wegen
ihres ausgesprochenen Großdcutschthums die Nosenheimer ganz besondere Hoff¬
nung gesetzt hatten, nämlich Probst und Schott, durch ihre entschlossene Haltung
gegenüber den verlockenden Einladungen von großdcutscher Seite die Situation
wesentlich klärten und vereinfachten.

Damit, daß Probst und Schott die Einladung nach Rosenheim ablehnten,
sagte sich das schwäbische Großdcutschthum von dem bayrisch-östreichischen Groß-
deutschthum los. Dies war der entscheidende Augenblick. Denn nach der
Versammlung in Rosenheim war vollends jeder noch bestehende Zweifel für
Schwaben gelöst. Formelle wie materielle Gründe wirkten hierzu gleichmäßig mit.

Mit Erstaunen erfuhr man, daß bei einer Versammlung „liberal-großdeut¬
scher" Notabilitäten, wie es ausdrücklich hieß, Württemberg durch den Frhn.
v. Värnbühler vertreten war, einen Mann, der das eine Erfordernis) zwar unbe-
zweifelt im hohen Maße besaß, nämlich die großdeutsche Gesinnung, dessen
Liberalismus dagegen bisher vollständig im Verborgenen blühte. Mit Hrn.
v. Värnbühler, den man, sofern es in Württemberg überhaupt eine Junker-
Partei gibt, allerdings das Haupt derselben nennen kann, konnte die schwäbische
Fortschrittspartei nicht zusammengehen. War Frhr. v. Värnbühler, wie ver¬
lautet, sogar der Vorsitzende der rosenheimer Adelsversammlung, so beging
man damit eine Taktlosigkeit, die nur daraus zu erklären ist, daß man sich über
die Stimmung des schwäbischen Volkes gründlich täuschte.

Aber auch in materieller Beziehung waren die Beschlüsse der rosenheimer
Versammlung, so viel davon in die Oeffentlichkeit drang, entscheidend. Man
hatte sich dort im Wesentlichen für die Delegirtenversammlung und Mr das
Bundesgericht ausgesprochen. Nun ist aber kein Gedanke bei der schwäbischen
Fortschrittspartei, und vielleicht beim schwäbischen Volke tiefer gewurzelt, als
der eines vollen, unverkürzten Parlaments, selbst als Abschlagszahlung konnte
die Delegirtenversammlung keine Gnade finden. Bezüglich des Bundesgerichts
kam noch >ein besonderer Umstand hinzu. Man erinnerte sich nämlich, daß
unter die Competenz eines solchen Bundesgerichts auch die in Württemberg
seit Jahren schwebende Frage wegen den Nachtragsentschädigungen für die durch
die Ablösungsgesetzgebung von 1843 und 49 beschädigten Privilegium fiele.
Die Angelegenheit ist zwar insofern bereinigt, als nach den entschiedenen
Meinungsäußerungen der II. Kammer vorläufig nicht weiter davon die
Rede ist. Für die Zukunft ist man dagegen noch immer nicht beruhigt, so
lange Herr v. Linden am Ruder bleibt; und was nun ein merkwürdiger Zufall ist,
gerade Herr v. Värnbühler war seiner Zeit der Hauptvertreter der Adels¬
interessen, der eifrigste Vertheidiger der unconstitutionellen sogenannten Nach-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/82>, abgerufen am 27.09.2024.