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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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War wieder Licht gekommen,
Der Morgen zu den Menschen;
Den mächtigen Christ
Grüßten seine Jünger.

Wie voll und mächtig erklingen diese Laute gegenüber unserm abgeschwächten
Hochdeutschen! Wir erkennen in diesen markigen Tönen das lebendig empfin¬
dende Jünglingsalter unseres Volkes, während die Tonlosigkeit, zumal der
Endungen, in unserer heutigen Sprache auf das reflectirende Mannesalter
hinweist.

Wie es mit der deutschen Sprache hinsichtlich ihrer vocalischen Entwicke¬
lung gegangen ist, so ähnlich mit den übrigen Stammsprachen. So klingt be¬
kanntlich das Griechische in den homerischen Versen weit volltönender, reicher,
zum Theil auch weicher als in der spätern attischen Sprache.

Interessant ist es, einen Blick auf das Verhältniß der Konsonanten zu
den Vocalen in den einzelnen Sprachen zu werfen; eine in dieser Beziehung
angestellte Begleichung führt zu charakteristischen Resultaten. Da die Vocale
der Empfindung, die Konsonanten dem Verstände angehören, so läßt sich
der Schluß ziehen, daß der größere Reichthum in der einen oder andern Be¬
ziehung auf das Vorwiegen entweder des Gefühles oder des Verstandes in
einem Volke hindeutet. Hier legt nun die deutsche Sprache ein eigenthüm¬
liches Zeugniß für die Deutschen ab. Im Deutschen verhalten sich die Vocale
zu den Konsonanten wie ö zu 9. so daß also fast doppelt so viele Konsonanten
als Vocale verwandt werden. Unter den Konsonanten hat das dumpfe n ein
entschiedenes Uebergewicht und unter den Vocalen das tonlose e; dieses kommt
ungefähr ebenso oft vor, als alle übrigen Vocale zusammen: unter hundert
vocalischen Lauten befinden sich nämlich 43 e, 23 Diphthonge, 10 i, lo u, 9 a
und 5 o. Auch die Hauchlaute h und es finden sich verhältnißmäßig häufig
und deuten darauf hin, daß der deutsche Charakter tiefinnerlich^ und leidenschaft¬
licher ist, als z. B. der italienische, da das Italienische dieselben fast entbehrt.
(Daß der Hauch eine lebendigere Empfindung, lebhaftere Aufregung ausdrückt,
ergibt sich leicht, wenn wir die Empfindungslaute ah mit ha und us mit hu!
vergleichen.) Die deutsche Sprache ist durchaus nicht bestrebt, Härten und Mi߬
klänge zu vermeiden; ein Modificiren und Assimiliren der Laute kennt sie fast
nicht; sie nimmt sie, wie sie sie vorfindet und läßt sich so zu sagen Alles von
ihnen gefallen. Daher kommen denn auch Bildungen vor, die in andern
Sprachen unerträglich hart und steif klingen würden, wie Pfropfreis, Rechts¬
pflege, Spreizsprung, Volkskraft. Die Sprache ergibt sich in solche Mißklänge,
wie das Volk sich bisher schließlich in so Vieles ergab, getreu dem sehr be¬
zeichnenden Sprichwort: Was man nicht kann ändern, muß man lassen
schlendern.


Grenzboten IV. 1862. 8
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Zruottun is ^uvKrov.

War wieder Licht gekommen,
Der Morgen zu den Menschen;
Den mächtigen Christ
Grüßten seine Jünger.

Wie voll und mächtig erklingen diese Laute gegenüber unserm abgeschwächten
Hochdeutschen! Wir erkennen in diesen markigen Tönen das lebendig empfin¬
dende Jünglingsalter unseres Volkes, während die Tonlosigkeit, zumal der
Endungen, in unserer heutigen Sprache auf das reflectirende Mannesalter
hinweist.

Wie es mit der deutschen Sprache hinsichtlich ihrer vocalischen Entwicke¬
lung gegangen ist, so ähnlich mit den übrigen Stammsprachen. So klingt be¬
kanntlich das Griechische in den homerischen Versen weit volltönender, reicher,
zum Theil auch weicher als in der spätern attischen Sprache.

Interessant ist es, einen Blick auf das Verhältniß der Konsonanten zu
den Vocalen in den einzelnen Sprachen zu werfen; eine in dieser Beziehung
angestellte Begleichung führt zu charakteristischen Resultaten. Da die Vocale
der Empfindung, die Konsonanten dem Verstände angehören, so läßt sich
der Schluß ziehen, daß der größere Reichthum in der einen oder andern Be¬
ziehung auf das Vorwiegen entweder des Gefühles oder des Verstandes in
einem Volke hindeutet. Hier legt nun die deutsche Sprache ein eigenthüm¬
liches Zeugniß für die Deutschen ab. Im Deutschen verhalten sich die Vocale
zu den Konsonanten wie ö zu 9. so daß also fast doppelt so viele Konsonanten
als Vocale verwandt werden. Unter den Konsonanten hat das dumpfe n ein
entschiedenes Uebergewicht und unter den Vocalen das tonlose e; dieses kommt
ungefähr ebenso oft vor, als alle übrigen Vocale zusammen: unter hundert
vocalischen Lauten befinden sich nämlich 43 e, 23 Diphthonge, 10 i, lo u, 9 a
und 5 o. Auch die Hauchlaute h und es finden sich verhältnißmäßig häufig
und deuten darauf hin, daß der deutsche Charakter tiefinnerlich^ und leidenschaft¬
licher ist, als z. B. der italienische, da das Italienische dieselben fast entbehrt.
(Daß der Hauch eine lebendigere Empfindung, lebhaftere Aufregung ausdrückt,
ergibt sich leicht, wenn wir die Empfindungslaute ah mit ha und us mit hu!
vergleichen.) Die deutsche Sprache ist durchaus nicht bestrebt, Härten und Mi߬
klänge zu vermeiden; ein Modificiren und Assimiliren der Laute kennt sie fast
nicht; sie nimmt sie, wie sie sie vorfindet und läßt sich so zu sagen Alles von
ihnen gefallen. Daher kommen denn auch Bildungen vor, die in andern
Sprachen unerträglich hart und steif klingen würden, wie Pfropfreis, Rechts¬
pflege, Spreizsprung, Volkskraft. Die Sprache ergibt sich in solche Mißklänge,
wie das Volk sich bisher schließlich in so Vieles ergab, getreu dem sehr be¬
zeichnenden Sprichwort: Was man nicht kann ändern, muß man lassen
schlendern.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/65>, abgerufen am 27.09.2024.