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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Weisen, so daß die eben gewiß sonst nicht sehr empfindsamen Krieger, die am
Königsmahle theilnahmen. in die heiterste Lust, in die ausgelassenste Fröhlich¬
keit versetzt wurden. Dann stimmte er einen ernsten, traurigen, klagenden Ton
an, und bald sah man die Helden in Thränen ausbrechen, schluchzen und
weinen. Und wiederum griff der Stätte in die Saiten und begann ein feu¬
riges, wildes Lied, und sofort faßte die Recken wilde Kampflust, sie griffen zu
den Waffen, und es hallte der Saal wieder 'von dem Geklirr der Schwerter
und den Schlägen der Streitäxte. Es war gewiß ebenso sehr der Klang der
Lieder als ihr Inhalt, der die wilden Krieger zu diesem bunten Wechsel der
Gefühle hinriß. Aehnliches wird von einem arabischen Sänger berichtet, der
am Kaliphenhose zu Bagdad erschien.

Es ist etwas Wunderbares um die menschliche Stimme. Sie ist in ihrem
Ursprünge eine Bewegung, insofern sie nämlich ausgeht von den in Bewegung
gesetzten Stimmbändern des Kehlkopfes. Aber während alle übrigen Körper¬
bewegungen unmittelbar an uns in den betreffenden Körpertheilen vor sich gehen
ohne fremde Permittelung, werden diese Schwingungen hervorgebracht durch ein uns
ursprünglich Fremdes, durch die eingeathmete Luft, die mit größerer oder geringerer
Kraft durch die Stimmritze getrieben wird. Durch eben diese Luft wird nun auch
diese Bewegung fortgepflanzt, also einem uns fremden Elemente übergeben und
somit außer unserer Gewalt gebracht. Ein uns entschlüpfter Laut, ein einmal
gesprochenes Wort steht nicht mehr in unserm Bereich, es ist unwiederbringlich.
Die Luft ist zum leiblichen Leben und seiner Entwicklung ebenso nothwendig,
als das Wort zum geistigen Leben; die Lust strömt ein und aus, wie die Worte
kommen und gehen. Alles was irdisch ist, kann in letzter Potenz in luftför-
migen Zustand versetzt werden, und in ähnlicher Weise wird Alles, was geistig
ist oder in dem Geist als Vorstellung oder Empfindung aufgenommen ist, wie¬
der zum Wort. Die Luft ist das mächtigste und verbreiterte Element, zugleich
das feinste und durchdringendste, und das Wort wiederum beherrscht die Welt;
es erregt die Stürme in der Menschenbrust und Menschenwelt und besänftigt
und stillt sie wieder.

Wir haben guten Grund anzunehmen, daß der im Munde des Men¬
schen zum Worte geformte Laut ursprünglich ein Symbol der Vorstellung ge¬
wesen ist.

Auch der Laut ist eine Bewegung, gleichsam eine Geberde. Er wird, wie
oben bemerkt wurde, im Kehlkopfe hervorgebracht. Am obern Ende desselben
befinden sich zwei elastische Bänder, die Stimmbänder, die durch eine Spalte,
die Stimmritze von einander getrennt find. Die Stimmbänder können ver¬
mittelst besonderer Muskeln mehr oder weniger angespannt, die Stimmritze kann
verengt und erweitert werden. Sind nun die Stimmbänder nicht gespannt,
so gleitet die Luft aus der Luströhre an ihnen vorbei, ohne sie in Schwingung
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Weisen, so daß die eben gewiß sonst nicht sehr empfindsamen Krieger, die am
Königsmahle theilnahmen. in die heiterste Lust, in die ausgelassenste Fröhlich¬
keit versetzt wurden. Dann stimmte er einen ernsten, traurigen, klagenden Ton
an, und bald sah man die Helden in Thränen ausbrechen, schluchzen und
weinen. Und wiederum griff der Stätte in die Saiten und begann ein feu¬
riges, wildes Lied, und sofort faßte die Recken wilde Kampflust, sie griffen zu
den Waffen, und es hallte der Saal wieder 'von dem Geklirr der Schwerter
und den Schlägen der Streitäxte. Es war gewiß ebenso sehr der Klang der
Lieder als ihr Inhalt, der die wilden Krieger zu diesem bunten Wechsel der
Gefühle hinriß. Aehnliches wird von einem arabischen Sänger berichtet, der
am Kaliphenhose zu Bagdad erschien.

Es ist etwas Wunderbares um die menschliche Stimme. Sie ist in ihrem
Ursprünge eine Bewegung, insofern sie nämlich ausgeht von den in Bewegung
gesetzten Stimmbändern des Kehlkopfes. Aber während alle übrigen Körper¬
bewegungen unmittelbar an uns in den betreffenden Körpertheilen vor sich gehen
ohne fremde Permittelung, werden diese Schwingungen hervorgebracht durch ein uns
ursprünglich Fremdes, durch die eingeathmete Luft, die mit größerer oder geringerer
Kraft durch die Stimmritze getrieben wird. Durch eben diese Luft wird nun auch
diese Bewegung fortgepflanzt, also einem uns fremden Elemente übergeben und
somit außer unserer Gewalt gebracht. Ein uns entschlüpfter Laut, ein einmal
gesprochenes Wort steht nicht mehr in unserm Bereich, es ist unwiederbringlich.
Die Luft ist zum leiblichen Leben und seiner Entwicklung ebenso nothwendig,
als das Wort zum geistigen Leben; die Lust strömt ein und aus, wie die Worte
kommen und gehen. Alles was irdisch ist, kann in letzter Potenz in luftför-
migen Zustand versetzt werden, und in ähnlicher Weise wird Alles, was geistig
ist oder in dem Geist als Vorstellung oder Empfindung aufgenommen ist, wie¬
der zum Wort. Die Luft ist das mächtigste und verbreiterte Element, zugleich
das feinste und durchdringendste, und das Wort wiederum beherrscht die Welt;
es erregt die Stürme in der Menschenbrust und Menschenwelt und besänftigt
und stillt sie wieder.

Wir haben guten Grund anzunehmen, daß der im Munde des Men¬
schen zum Worte geformte Laut ursprünglich ein Symbol der Vorstellung ge¬
wesen ist.

Auch der Laut ist eine Bewegung, gleichsam eine Geberde. Er wird, wie
oben bemerkt wurde, im Kehlkopfe hervorgebracht. Am obern Ende desselben
befinden sich zwei elastische Bänder, die Stimmbänder, die durch eine Spalte,
die Stimmritze von einander getrennt find. Die Stimmbänder können ver¬
mittelst besonderer Muskeln mehr oder weniger angespannt, die Stimmritze kann
verengt und erweitert werden. Sind nun die Stimmbänder nicht gespannt,
so gleitet die Luft aus der Luströhre an ihnen vorbei, ohne sie in Schwingung
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[0059] Weisen, so daß die eben gewiß sonst nicht sehr empfindsamen Krieger, die am Königsmahle theilnahmen. in die heiterste Lust, in die ausgelassenste Fröhlich¬ keit versetzt wurden. Dann stimmte er einen ernsten, traurigen, klagenden Ton an, und bald sah man die Helden in Thränen ausbrechen, schluchzen und weinen. Und wiederum griff der Stätte in die Saiten und begann ein feu¬ riges, wildes Lied, und sofort faßte die Recken wilde Kampflust, sie griffen zu den Waffen, und es hallte der Saal wieder 'von dem Geklirr der Schwerter und den Schlägen der Streitäxte. Es war gewiß ebenso sehr der Klang der Lieder als ihr Inhalt, der die wilden Krieger zu diesem bunten Wechsel der Gefühle hinriß. Aehnliches wird von einem arabischen Sänger berichtet, der am Kaliphenhose zu Bagdad erschien. Es ist etwas Wunderbares um die menschliche Stimme. Sie ist in ihrem Ursprünge eine Bewegung, insofern sie nämlich ausgeht von den in Bewegung gesetzten Stimmbändern des Kehlkopfes. Aber während alle übrigen Körper¬ bewegungen unmittelbar an uns in den betreffenden Körpertheilen vor sich gehen ohne fremde Permittelung, werden diese Schwingungen hervorgebracht durch ein uns ursprünglich Fremdes, durch die eingeathmete Luft, die mit größerer oder geringerer Kraft durch die Stimmritze getrieben wird. Durch eben diese Luft wird nun auch diese Bewegung fortgepflanzt, also einem uns fremden Elemente übergeben und somit außer unserer Gewalt gebracht. Ein uns entschlüpfter Laut, ein einmal gesprochenes Wort steht nicht mehr in unserm Bereich, es ist unwiederbringlich. Die Luft ist zum leiblichen Leben und seiner Entwicklung ebenso nothwendig, als das Wort zum geistigen Leben; die Lust strömt ein und aus, wie die Worte kommen und gehen. Alles was irdisch ist, kann in letzter Potenz in luftför- migen Zustand versetzt werden, und in ähnlicher Weise wird Alles, was geistig ist oder in dem Geist als Vorstellung oder Empfindung aufgenommen ist, wie¬ der zum Wort. Die Luft ist das mächtigste und verbreiterte Element, zugleich das feinste und durchdringendste, und das Wort wiederum beherrscht die Welt; es erregt die Stürme in der Menschenbrust und Menschenwelt und besänftigt und stillt sie wieder. Wir haben guten Grund anzunehmen, daß der im Munde des Men¬ schen zum Worte geformte Laut ursprünglich ein Symbol der Vorstellung ge¬ wesen ist. Auch der Laut ist eine Bewegung, gleichsam eine Geberde. Er wird, wie oben bemerkt wurde, im Kehlkopfe hervorgebracht. Am obern Ende desselben befinden sich zwei elastische Bänder, die Stimmbänder, die durch eine Spalte, die Stimmritze von einander getrennt find. Die Stimmbänder können ver¬ mittelst besonderer Muskeln mehr oder weniger angespannt, die Stimmritze kann verengt und erweitert werden. Sind nun die Stimmbänder nicht gespannt, so gleitet die Luft aus der Luströhre an ihnen vorbei, ohne sie in Schwingung ^ ^»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/59>, abgerufen am 27.09.2024.