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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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die Untersuchung einzuleiten, selbst zu führen, und nach deren Beendigung in
voller Versammlung zu erkennen hat." Dem Obcrappcllationsgericht sind also
verfassungsmäßig die Functionen eines Staatsgcrichtshofes zugewiesen. Nun
hatte aber früher die Regierung allein das Erneuerungsrecht der Mitglieder des
Oberappellationsgerichts. Die Zusammensetzung desjenigen Gerichtshofes,
welcher über Verfassungsverletzungen der Minister erkennen sollte, war also
lediglich in die Hände dieser Minister gelegt. Die Uebelstände einer solchen
Einrichtung kamen bald zu Tage. Alle gegen Hassenpflug in seiner ersten Re¬
gierungsperiode erhobenen Anklagen wegen Verfassungsverletzungen wurden mit
Hülfe des Ernennungsrechtes glücklich parirt. Er entfernte die ihm bedenklichen
Richter und schob dafür gefügige Leute ein. Diese Praxis erhielt sich bis zum
Jahr 1843. Schon in den vorhergehenden Jahren waren Anklagen gegen
Minister nicht mehr erhoben worden; nicht etwa weil es an genügendem Stoff
gefehlt hätte, sondern weil solche Anklagen, bei der Zusammensetzung des Ge¬
richts, aussichtslos waren. Im Jahre 1848 kam dann dieser empfindliche Punkt
zur Sprache, und es wurde ein Gesetz vom 17. Juni 1848 erlassen, welches
den Ständen das Präsentationsrecht bei der Besetzung der erledigten Stellen
des obersten Gerichts einräumt. Dieses Gesetz hat in mehren Fällen An¬
wendung erhalten, und zwar mit sehr gutem Erfolg. Durch Präsentation tüch¬
tiger Räthe wurde das Ansehen des Gerichtshofes wieder gehoben. Da hat
nun Hassenpflug mit Hülfe der Bundescommissare und der von denselben an¬
gemaßten dictatorischen Gewalt das Präsentationsrecht der Stände durch ein
"proviforisches Gesetz" vom 29. Juni 1851 wiederum beseitigt, und dann den
Gerichtshof nach seinem Bedürfniß und nach seinem Geschmack gesäubert. Die
ihm bedenklichen Richter wurden entfernt und an deren Stelle Hassenpflugianer
vom reinsten Wasser gesetzt. Damit waren zwei Zwecke zugleich erreicht: die
Umgestaltung des höchsten Gerichtshofs zu einem dem Herrn und Meister ge¬
fügigen Werkzeug und die Belohnung der "Getreuen". -- Das gründlich zer¬
störte Vertrauen zu dem höchsten Gericht ist bis auf den heutigen Tag nicht
wieder hergestellt. In der Erwartung, daß der unterbrochene gesetzliche Zustand
nunmehr wieder hergestellt werden müsse, haben die Stände denjenigen Aus¬
schuß gewählt, welcher das Präsentationsrecht zu den erledigten Stellen des
Oberappellationsgerichts auszuüben hat. sobald die Ständeversammlung selbst
nicht thätig sein kann. Jenes Präsentationsrecht kann als eine bundeswidrige
Einrichtung nicht betrachtet werden. Dasselbe besteht in Hannover und Meck¬
lenburg schon seit langer Zeit ohne alle Anfechtung. In Sachsen und Würtem-
berg ist den Ständen sogar ein Erncnnungsrecht zum Staatsgerichtshof eingeräumt.
Ganz folgerichtig hat denn auch die landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni
§. 2. unter den "als bundeswidrig anzusehenden Bestimmungen" das Präsen¬
tationsrecht der Stände nicht erwähnt, damit also dieses Recht indirect an-


die Untersuchung einzuleiten, selbst zu führen, und nach deren Beendigung in
voller Versammlung zu erkennen hat." Dem Obcrappcllationsgericht sind also
verfassungsmäßig die Functionen eines Staatsgcrichtshofes zugewiesen. Nun
hatte aber früher die Regierung allein das Erneuerungsrecht der Mitglieder des
Oberappellationsgerichts. Die Zusammensetzung desjenigen Gerichtshofes,
welcher über Verfassungsverletzungen der Minister erkennen sollte, war also
lediglich in die Hände dieser Minister gelegt. Die Uebelstände einer solchen
Einrichtung kamen bald zu Tage. Alle gegen Hassenpflug in seiner ersten Re¬
gierungsperiode erhobenen Anklagen wegen Verfassungsverletzungen wurden mit
Hülfe des Ernennungsrechtes glücklich parirt. Er entfernte die ihm bedenklichen
Richter und schob dafür gefügige Leute ein. Diese Praxis erhielt sich bis zum
Jahr 1843. Schon in den vorhergehenden Jahren waren Anklagen gegen
Minister nicht mehr erhoben worden; nicht etwa weil es an genügendem Stoff
gefehlt hätte, sondern weil solche Anklagen, bei der Zusammensetzung des Ge¬
richts, aussichtslos waren. Im Jahre 1848 kam dann dieser empfindliche Punkt
zur Sprache, und es wurde ein Gesetz vom 17. Juni 1848 erlassen, welches
den Ständen das Präsentationsrecht bei der Besetzung der erledigten Stellen
des obersten Gerichts einräumt. Dieses Gesetz hat in mehren Fällen An¬
wendung erhalten, und zwar mit sehr gutem Erfolg. Durch Präsentation tüch¬
tiger Räthe wurde das Ansehen des Gerichtshofes wieder gehoben. Da hat
nun Hassenpflug mit Hülfe der Bundescommissare und der von denselben an¬
gemaßten dictatorischen Gewalt das Präsentationsrecht der Stände durch ein
„proviforisches Gesetz" vom 29. Juni 1851 wiederum beseitigt, und dann den
Gerichtshof nach seinem Bedürfniß und nach seinem Geschmack gesäubert. Die
ihm bedenklichen Richter wurden entfernt und an deren Stelle Hassenpflugianer
vom reinsten Wasser gesetzt. Damit waren zwei Zwecke zugleich erreicht: die
Umgestaltung des höchsten Gerichtshofs zu einem dem Herrn und Meister ge¬
fügigen Werkzeug und die Belohnung der „Getreuen". — Das gründlich zer¬
störte Vertrauen zu dem höchsten Gericht ist bis auf den heutigen Tag nicht
wieder hergestellt. In der Erwartung, daß der unterbrochene gesetzliche Zustand
nunmehr wieder hergestellt werden müsse, haben die Stände denjenigen Aus¬
schuß gewählt, welcher das Präsentationsrecht zu den erledigten Stellen des
Oberappellationsgerichts auszuüben hat. sobald die Ständeversammlung selbst
nicht thätig sein kann. Jenes Präsentationsrecht kann als eine bundeswidrige
Einrichtung nicht betrachtet werden. Dasselbe besteht in Hannover und Meck¬
lenburg schon seit langer Zeit ohne alle Anfechtung. In Sachsen und Würtem-
berg ist den Ständen sogar ein Erncnnungsrecht zum Staatsgerichtshof eingeräumt.
Ganz folgerichtig hat denn auch die landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni
§. 2. unter den „als bundeswidrig anzusehenden Bestimmungen" das Präsen¬
tationsrecht der Stände nicht erwähnt, damit also dieses Recht indirect an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/529>, abgerufen am 27.09.2024.