Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Haupt die erwähnten Möglichkeiten ins Auge gefaßt hat. seinen Gegnern eine
persönliche Bemerkung für einen immerhin denkbaren Fall gestatten.

Wie man auch sonst von seinem politischen Charakter denken möge, zwei
Tugenden eines preußischen Politikers wird ihm die Mehrzahl seiner Gegner
zugestehn: den Muth etwas zu wagen und Haß. -- Und diese Mannes-
eigenschaften vermögen ihm allerdings auch bei der nationalen Partei in
Preußen einige Sympathien zu vermitteln. Man traut ihm jetzt die Keckheit zu.
das Aeußerste zu wagen, man hält nicht für ganz unmöglich, daß er festen
Entschluß in der Durchführung bewähren könne. Aber er hat diese Entscheidung
nicht allein zu treffen, er ist abhängig von Allem, was neben und über ihm
in Preußen regiert. Zunächst von seinen eigenen politischen Freunden und
Gönnern. Möge er richtig den Stoff taxiren. mit welchem er zu
arbeiten hat. Wenn Preußen den Entschluß fassen wollte, sich von dem
Bunde zu lösen und mit den Waffen in der Hand, einem unerträglichen Zu¬
stand ein Ende zu machen, so wäre doch die nächste Voraussetzung einmüthiger
Entschluß das Aeußerste zu wagen, junge Kraft, ein Dictatorwille und eine
rücksichtslose Kühnheit in der obersten Staatsleitung, welche die ganze Um¬
gebung der Krone fortreißt. Ist so etwas in dem gegenwärtigen Preußen mög¬
lich? Der König, ein maßvoller Herr in höherem Alter, dessen ganze Natur
einem äußersten Entschluß widerstrebt, der durchaus nicht geneigt ist, sich aus die
Länge einer fremden 'Ansicht unterzuordnen; in den höhern militärischen Kreisen
viele alte Herrn mit hohen Ansprüchen und starkem Eigensinn, keine einzige
Autorität, welcher in Wahrheit große kriegerische Erfolge ein Ansehn geben, dazu
militärische Höflinge und, was das Schlimmste ist, Parteigenossen, deren ganzem
Wesen ein ruhiges Verfolgen egoistischer Interessen viel näher liegt als ein hoher,
leidenschaftlicher Aufschwung. Seit langer Zeit ist die Berliner Politik dadurch
schwach geworden, daß zu viele und verschiedenartige Einflüsse von der geraden
Linie eines Entschlusses abgeführt haben. Noch ein Mal sei an die hessische
Expedition erinnert. Es war ein verhältnismäßig kleines Manöver, ohne
großes Risico, der Weg war vorgezeichnet, die Gegner am Bunde hatten durch
ihre falschen Schritte die Sache für Preußen sehr leicht gemacht. Und doch
konnte man nicht auf geradem Wege bleiben, man mußte mitten im Fortschritt
sich selbst die Spitze abbrechen, dem Feinde wieder die Brücke bauen, auf wel¬
cher er mühelos einen politischen Sieg erreichte. Es fehlt in Preußen nicht an
Muth, aber an Entschluß, und im letzten Grund an Selbstvertrauen, und das
vermag Herr von Bismark nicht zu geben. Und es ist deutlich voraus zu sagen,
was er kann und was er nicht kann. Er mag im Stande sein, einige herausfordernde
Schritte durchzusetzen, drohende Worte, verletzende Maßregeln, aber gerade in
den Momenten, wo consequentes, rücksichtsloses Vorgehn die einzige Rettung
werden kann, wird seinem Entschluß durch irgend eine Gegenströmung, ein


Haupt die erwähnten Möglichkeiten ins Auge gefaßt hat. seinen Gegnern eine
persönliche Bemerkung für einen immerhin denkbaren Fall gestatten.

Wie man auch sonst von seinem politischen Charakter denken möge, zwei
Tugenden eines preußischen Politikers wird ihm die Mehrzahl seiner Gegner
zugestehn: den Muth etwas zu wagen und Haß. — Und diese Mannes-
eigenschaften vermögen ihm allerdings auch bei der nationalen Partei in
Preußen einige Sympathien zu vermitteln. Man traut ihm jetzt die Keckheit zu.
das Aeußerste zu wagen, man hält nicht für ganz unmöglich, daß er festen
Entschluß in der Durchführung bewähren könne. Aber er hat diese Entscheidung
nicht allein zu treffen, er ist abhängig von Allem, was neben und über ihm
in Preußen regiert. Zunächst von seinen eigenen politischen Freunden und
Gönnern. Möge er richtig den Stoff taxiren. mit welchem er zu
arbeiten hat. Wenn Preußen den Entschluß fassen wollte, sich von dem
Bunde zu lösen und mit den Waffen in der Hand, einem unerträglichen Zu¬
stand ein Ende zu machen, so wäre doch die nächste Voraussetzung einmüthiger
Entschluß das Aeußerste zu wagen, junge Kraft, ein Dictatorwille und eine
rücksichtslose Kühnheit in der obersten Staatsleitung, welche die ganze Um¬
gebung der Krone fortreißt. Ist so etwas in dem gegenwärtigen Preußen mög¬
lich? Der König, ein maßvoller Herr in höherem Alter, dessen ganze Natur
einem äußersten Entschluß widerstrebt, der durchaus nicht geneigt ist, sich aus die
Länge einer fremden 'Ansicht unterzuordnen; in den höhern militärischen Kreisen
viele alte Herrn mit hohen Ansprüchen und starkem Eigensinn, keine einzige
Autorität, welcher in Wahrheit große kriegerische Erfolge ein Ansehn geben, dazu
militärische Höflinge und, was das Schlimmste ist, Parteigenossen, deren ganzem
Wesen ein ruhiges Verfolgen egoistischer Interessen viel näher liegt als ein hoher,
leidenschaftlicher Aufschwung. Seit langer Zeit ist die Berliner Politik dadurch
schwach geworden, daß zu viele und verschiedenartige Einflüsse von der geraden
Linie eines Entschlusses abgeführt haben. Noch ein Mal sei an die hessische
Expedition erinnert. Es war ein verhältnismäßig kleines Manöver, ohne
großes Risico, der Weg war vorgezeichnet, die Gegner am Bunde hatten durch
ihre falschen Schritte die Sache für Preußen sehr leicht gemacht. Und doch
konnte man nicht auf geradem Wege bleiben, man mußte mitten im Fortschritt
sich selbst die Spitze abbrechen, dem Feinde wieder die Brücke bauen, auf wel¬
cher er mühelos einen politischen Sieg erreichte. Es fehlt in Preußen nicht an
Muth, aber an Entschluß, und im letzten Grund an Selbstvertrauen, und das
vermag Herr von Bismark nicht zu geben. Und es ist deutlich voraus zu sagen,
was er kann und was er nicht kann. Er mag im Stande sein, einige herausfordernde
Schritte durchzusetzen, drohende Worte, verletzende Maßregeln, aber gerade in
den Momenten, wo consequentes, rücksichtsloses Vorgehn die einzige Rettung
werden kann, wird seinem Entschluß durch irgend eine Gegenströmung, ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115350"/>
          <p xml:id="ID_1615" prev="#ID_1614"> Haupt die erwähnten Möglichkeiten ins Auge gefaßt hat. seinen Gegnern eine<lb/>
persönliche Bemerkung für einen immerhin denkbaren Fall gestatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1616" next="#ID_1617"> Wie man auch sonst von seinem politischen Charakter denken möge, zwei<lb/>
Tugenden eines preußischen Politikers wird ihm die Mehrzahl seiner Gegner<lb/>
zugestehn: den Muth etwas zu wagen und Haß. &#x2014; Und diese Mannes-<lb/>
eigenschaften vermögen ihm allerdings auch bei der nationalen Partei in<lb/>
Preußen einige Sympathien zu vermitteln. Man traut ihm jetzt die Keckheit zu.<lb/>
das Aeußerste zu wagen, man hält nicht für ganz unmöglich, daß er festen<lb/>
Entschluß in der Durchführung bewähren könne. Aber er hat diese Entscheidung<lb/>
nicht allein zu treffen, er ist abhängig von Allem, was neben und über ihm<lb/>
in Preußen regiert. Zunächst von seinen eigenen politischen Freunden und<lb/>
Gönnern.  Möge er richtig den Stoff taxiren. mit welchem er zu<lb/>
arbeiten hat.  Wenn Preußen den Entschluß fassen wollte, sich von dem<lb/>
Bunde zu lösen und mit den Waffen in der Hand, einem unerträglichen Zu¬<lb/>
stand ein Ende zu machen, so wäre doch die nächste Voraussetzung einmüthiger<lb/>
Entschluß das Aeußerste zu wagen, junge Kraft, ein Dictatorwille und eine<lb/>
rücksichtslose Kühnheit in der obersten Staatsleitung, welche die ganze Um¬<lb/>
gebung der Krone fortreißt. Ist so etwas in dem gegenwärtigen Preußen mög¬<lb/>
lich? Der König, ein maßvoller Herr in höherem Alter, dessen ganze Natur<lb/>
einem äußersten Entschluß widerstrebt, der durchaus nicht geneigt ist, sich aus die<lb/>
Länge einer fremden 'Ansicht unterzuordnen; in den höhern militärischen Kreisen<lb/>
viele alte Herrn mit hohen Ansprüchen und starkem Eigensinn, keine einzige<lb/>
Autorität, welcher in Wahrheit große kriegerische Erfolge ein Ansehn geben, dazu<lb/>
militärische Höflinge und, was das Schlimmste ist, Parteigenossen, deren ganzem<lb/>
Wesen ein ruhiges Verfolgen egoistischer Interessen viel näher liegt als ein hoher,<lb/>
leidenschaftlicher Aufschwung. Seit langer Zeit ist die Berliner Politik dadurch<lb/>
schwach geworden, daß zu viele und verschiedenartige Einflüsse von der geraden<lb/>
Linie eines Entschlusses abgeführt haben.  Noch ein Mal sei an die hessische<lb/>
Expedition erinnert.  Es war ein verhältnismäßig kleines Manöver, ohne<lb/>
großes Risico, der Weg war vorgezeichnet, die Gegner am Bunde hatten durch<lb/>
ihre falschen Schritte die Sache für Preußen sehr leicht gemacht.  Und doch<lb/>
konnte man nicht auf geradem Wege bleiben, man mußte mitten im Fortschritt<lb/>
sich selbst die Spitze abbrechen, dem Feinde wieder die Brücke bauen, auf wel¬<lb/>
cher er mühelos einen politischen Sieg erreichte. Es fehlt in Preußen nicht an<lb/>
Muth, aber an Entschluß, und im letzten Grund an Selbstvertrauen, und das<lb/>
vermag Herr von Bismark nicht zu geben. Und es ist deutlich voraus zu sagen,<lb/>
was er kann und was er nicht kann. Er mag im Stande sein, einige herausfordernde<lb/>
Schritte durchzusetzen, drohende Worte, verletzende Maßregeln, aber gerade in<lb/>
den Momenten, wo consequentes, rücksichtsloses Vorgehn die einzige Rettung<lb/>
werden kann, wird seinem Entschluß durch irgend eine Gegenströmung, ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] Haupt die erwähnten Möglichkeiten ins Auge gefaßt hat. seinen Gegnern eine persönliche Bemerkung für einen immerhin denkbaren Fall gestatten. Wie man auch sonst von seinem politischen Charakter denken möge, zwei Tugenden eines preußischen Politikers wird ihm die Mehrzahl seiner Gegner zugestehn: den Muth etwas zu wagen und Haß. — Und diese Mannes- eigenschaften vermögen ihm allerdings auch bei der nationalen Partei in Preußen einige Sympathien zu vermitteln. Man traut ihm jetzt die Keckheit zu. das Aeußerste zu wagen, man hält nicht für ganz unmöglich, daß er festen Entschluß in der Durchführung bewähren könne. Aber er hat diese Entscheidung nicht allein zu treffen, er ist abhängig von Allem, was neben und über ihm in Preußen regiert. Zunächst von seinen eigenen politischen Freunden und Gönnern. Möge er richtig den Stoff taxiren. mit welchem er zu arbeiten hat. Wenn Preußen den Entschluß fassen wollte, sich von dem Bunde zu lösen und mit den Waffen in der Hand, einem unerträglichen Zu¬ stand ein Ende zu machen, so wäre doch die nächste Voraussetzung einmüthiger Entschluß das Aeußerste zu wagen, junge Kraft, ein Dictatorwille und eine rücksichtslose Kühnheit in der obersten Staatsleitung, welche die ganze Um¬ gebung der Krone fortreißt. Ist so etwas in dem gegenwärtigen Preußen mög¬ lich? Der König, ein maßvoller Herr in höherem Alter, dessen ganze Natur einem äußersten Entschluß widerstrebt, der durchaus nicht geneigt ist, sich aus die Länge einer fremden 'Ansicht unterzuordnen; in den höhern militärischen Kreisen viele alte Herrn mit hohen Ansprüchen und starkem Eigensinn, keine einzige Autorität, welcher in Wahrheit große kriegerische Erfolge ein Ansehn geben, dazu militärische Höflinge und, was das Schlimmste ist, Parteigenossen, deren ganzem Wesen ein ruhiges Verfolgen egoistischer Interessen viel näher liegt als ein hoher, leidenschaftlicher Aufschwung. Seit langer Zeit ist die Berliner Politik dadurch schwach geworden, daß zu viele und verschiedenartige Einflüsse von der geraden Linie eines Entschlusses abgeführt haben. Noch ein Mal sei an die hessische Expedition erinnert. Es war ein verhältnismäßig kleines Manöver, ohne großes Risico, der Weg war vorgezeichnet, die Gegner am Bunde hatten durch ihre falschen Schritte die Sache für Preußen sehr leicht gemacht. Und doch konnte man nicht auf geradem Wege bleiben, man mußte mitten im Fortschritt sich selbst die Spitze abbrechen, dem Feinde wieder die Brücke bauen, auf wel¬ cher er mühelos einen politischen Sieg erreichte. Es fehlt in Preußen nicht an Muth, aber an Entschluß, und im letzten Grund an Selbstvertrauen, und das vermag Herr von Bismark nicht zu geben. Und es ist deutlich voraus zu sagen, was er kann und was er nicht kann. Er mag im Stande sein, einige herausfordernde Schritte durchzusetzen, drohende Worte, verletzende Maßregeln, aber gerade in den Momenten, wo consequentes, rücksichtsloses Vorgehn die einzige Rettung werden kann, wird seinem Entschluß durch irgend eine Gegenströmung, ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/498>, abgerufen am 27.09.2024.