Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

eine Regierung sich damit täuscht, so thut sie es zu ihrem eigenen Verderben
und zum Nachtheil ihres Staates. Aber diese Volksvertreter wollen den Staat
wehrlos machen! Nun, die neue Organisation besteht ja factisch, und was die
Volksvertretung gefordert hat. ist gar nicht Vernichtung, sondern gesetzliche
Regelung derselben.

Preußen ist unzweifelhaft sehr wehrhaft und waffentüchtig. Außer den alten
Regimentern exercirt eine beträchtliche Zahl neuorganisirter, das stehende Heer
ist ja beinahe verdoppelt, man weiß im Ausland recht gut, daß alle diese Re¬
gimenter im Fall.eines Krieges marschiren werden, wenn auch die Volksvertreter
bei Bewilligung des Friedensetats Schwierigkeiten machen. Und diese Ver-
mehrung des Heeres hat auf die Ansicht, welche die Regierungen von der Kraft
Preußens haben, ersichtlich keinen Einfluß ausgeübt. Es ist also doch gar
nicht eine militärische Schwäche des preußischen Staates, welche die gegen¬
wärtige Nichtachtung veranlaßt. Und militärische Schwäche wäre auch nicht
der Grund solcher Nichtachtung, wenn kein einziges neues Bataillon seine
Montirungskammer eingerichtet hätte. Denn die alte Landwehr, wie un¬
vollkommen ihre Organisation sein mochte, galt in ganz Europa für ein volks¬
tümliches Institut, für welches die Preußen große Opfer zu bringen gewöhnt
waren. Jetzt hat das Austand vor den neuen Regimentern auch nicht um
einen Gran in ehr Respect, als früher vor der LandwehrverfassunW!'

Ja gerade die neue Einrichtung, welcher der König sein herzliches EinVer¬
ständniß mit dem Volke, den besten Theil seiner Popularität geopfert hat, mußte
leider dazu beitragen, das Ansehn des Staates zu verringern. Und der Grund
der Verringerung des Ansehens ist, daß bei dieser Organisationsfrage ein großes
Ungeschick der Regierung in Behandlung des eigenen Volkes, Nichtachtung seiner
Wünsche und Bedürfnisse, veraltete und gefährliche Sympathien für die pri-
vilegirten Classen, zu Tage gekommen sind. Gairz Europa weiß nach Be¬
handlung dieser Frage, daß es von der gegenwärtigen Regierung wenig zu
fürchten und wenig zu hoffen hat. Eine Regierung, welche in Unfrieden
mit ihrem Wolke bebt, die Krone, welch" gegen die Majorität der Volks¬
vertreter ein unpopuläres Ministerium aufrecht erhält!, find schwach und hülf-
los, und wenn eine Million Soldaten für sie exerciren und in hundert
Cadcttenhäusern armer Adel in Bescheidenheit, Loyalität und Christenthum unter¬
richtet wird.

Die Deutschen sind ein gutes Volk, leicht zu regieren, leicht für die Idee
ihres Staates zu begeistern, und in solcher Begeisterung der größten Opfec
fähig, aber wer mit ihnen auskommen will, muß verstehn, sie zu erwärmen.
Er muß die neuen Wünsche und Forderungen, welche jede Zeit heraustreibt, zu
seinen eigenen machen, und was darin für das Gemeinwohl nachtheilig werden
könnte, dadurch abschneiden, daß er sich selbst an die Spitze solcher Bewegung stellt,


eine Regierung sich damit täuscht, so thut sie es zu ihrem eigenen Verderben
und zum Nachtheil ihres Staates. Aber diese Volksvertreter wollen den Staat
wehrlos machen! Nun, die neue Organisation besteht ja factisch, und was die
Volksvertretung gefordert hat. ist gar nicht Vernichtung, sondern gesetzliche
Regelung derselben.

Preußen ist unzweifelhaft sehr wehrhaft und waffentüchtig. Außer den alten
Regimentern exercirt eine beträchtliche Zahl neuorganisirter, das stehende Heer
ist ja beinahe verdoppelt, man weiß im Ausland recht gut, daß alle diese Re¬
gimenter im Fall.eines Krieges marschiren werden, wenn auch die Volksvertreter
bei Bewilligung des Friedensetats Schwierigkeiten machen. Und diese Ver-
mehrung des Heeres hat auf die Ansicht, welche die Regierungen von der Kraft
Preußens haben, ersichtlich keinen Einfluß ausgeübt. Es ist also doch gar
nicht eine militärische Schwäche des preußischen Staates, welche die gegen¬
wärtige Nichtachtung veranlaßt. Und militärische Schwäche wäre auch nicht
der Grund solcher Nichtachtung, wenn kein einziges neues Bataillon seine
Montirungskammer eingerichtet hätte. Denn die alte Landwehr, wie un¬
vollkommen ihre Organisation sein mochte, galt in ganz Europa für ein volks¬
tümliches Institut, für welches die Preußen große Opfer zu bringen gewöhnt
waren. Jetzt hat das Austand vor den neuen Regimentern auch nicht um
einen Gran in ehr Respect, als früher vor der LandwehrverfassunW!'

Ja gerade die neue Einrichtung, welcher der König sein herzliches EinVer¬
ständniß mit dem Volke, den besten Theil seiner Popularität geopfert hat, mußte
leider dazu beitragen, das Ansehn des Staates zu verringern. Und der Grund
der Verringerung des Ansehens ist, daß bei dieser Organisationsfrage ein großes
Ungeschick der Regierung in Behandlung des eigenen Volkes, Nichtachtung seiner
Wünsche und Bedürfnisse, veraltete und gefährliche Sympathien für die pri-
vilegirten Classen, zu Tage gekommen sind. Gairz Europa weiß nach Be¬
handlung dieser Frage, daß es von der gegenwärtigen Regierung wenig zu
fürchten und wenig zu hoffen hat. Eine Regierung, welche in Unfrieden
mit ihrem Wolke bebt, die Krone, welch« gegen die Majorität der Volks¬
vertreter ein unpopuläres Ministerium aufrecht erhält!, find schwach und hülf-
los, und wenn eine Million Soldaten für sie exerciren und in hundert
Cadcttenhäusern armer Adel in Bescheidenheit, Loyalität und Christenthum unter¬
richtet wird.

Die Deutschen sind ein gutes Volk, leicht zu regieren, leicht für die Idee
ihres Staates zu begeistern, und in solcher Begeisterung der größten Opfec
fähig, aber wer mit ihnen auskommen will, muß verstehn, sie zu erwärmen.
Er muß die neuen Wünsche und Forderungen, welche jede Zeit heraustreibt, zu
seinen eigenen machen, und was darin für das Gemeinwohl nachtheilig werden
könnte, dadurch abschneiden, daß er sich selbst an die Spitze solcher Bewegung stellt,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0484" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115336"/>
          <p xml:id="ID_1572" prev="#ID_1571"> eine Regierung sich damit täuscht, so thut sie es zu ihrem eigenen Verderben<lb/>
und zum Nachtheil ihres Staates. Aber diese Volksvertreter wollen den Staat<lb/>
wehrlos machen! Nun, die neue Organisation besteht ja factisch, und was die<lb/>
Volksvertretung gefordert hat. ist gar nicht Vernichtung, sondern gesetzliche<lb/>
Regelung derselben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1573"> Preußen ist unzweifelhaft sehr wehrhaft und waffentüchtig. Außer den alten<lb/>
Regimentern exercirt eine beträchtliche Zahl neuorganisirter, das stehende Heer<lb/>
ist ja beinahe verdoppelt, man weiß im Ausland recht gut, daß alle diese Re¬<lb/>
gimenter im Fall.eines Krieges marschiren werden, wenn auch die Volksvertreter<lb/>
bei Bewilligung des Friedensetats Schwierigkeiten machen. Und diese Ver-<lb/>
mehrung des Heeres hat auf die Ansicht, welche die Regierungen von der Kraft<lb/>
Preußens haben, ersichtlich keinen Einfluß ausgeübt. Es ist also doch gar<lb/>
nicht eine militärische Schwäche des preußischen Staates, welche die gegen¬<lb/>
wärtige Nichtachtung veranlaßt. Und militärische Schwäche wäre auch nicht<lb/>
der Grund solcher Nichtachtung, wenn kein einziges neues Bataillon seine<lb/>
Montirungskammer eingerichtet hätte. Denn die alte Landwehr, wie un¬<lb/>
vollkommen ihre Organisation sein mochte, galt in ganz Europa für ein volks¬<lb/>
tümliches Institut, für welches die Preußen große Opfer zu bringen gewöhnt<lb/>
waren. Jetzt hat das Austand vor den neuen Regimentern auch nicht um<lb/>
einen Gran in ehr Respect, als früher vor der LandwehrverfassunW!'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1574"> Ja gerade die neue Einrichtung, welcher der König sein herzliches EinVer¬<lb/>
ständniß mit dem Volke, den besten Theil seiner Popularität geopfert hat, mußte<lb/>
leider dazu beitragen, das Ansehn des Staates zu verringern. Und der Grund<lb/>
der Verringerung des Ansehens ist, daß bei dieser Organisationsfrage ein großes<lb/>
Ungeschick der Regierung in Behandlung des eigenen Volkes, Nichtachtung seiner<lb/>
Wünsche und Bedürfnisse, veraltete und gefährliche Sympathien für die pri-<lb/>
vilegirten Classen, zu Tage gekommen sind. Gairz Europa weiß nach Be¬<lb/>
handlung dieser Frage, daß es von der gegenwärtigen Regierung wenig zu<lb/>
fürchten und wenig zu hoffen hat. Eine Regierung, welche in Unfrieden<lb/>
mit ihrem Wolke bebt, die Krone, welch« gegen die Majorität der Volks¬<lb/>
vertreter ein unpopuläres Ministerium aufrecht erhält!, find schwach und hülf-<lb/>
los, und wenn eine Million Soldaten für sie exerciren und in hundert<lb/>
Cadcttenhäusern armer Adel in Bescheidenheit, Loyalität und Christenthum unter¬<lb/>
richtet wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1575" next="#ID_1576"> Die Deutschen sind ein gutes Volk, leicht zu regieren, leicht für die Idee<lb/>
ihres Staates zu begeistern, und in solcher Begeisterung der größten Opfec<lb/>
fähig, aber wer mit ihnen auskommen will, muß verstehn, sie zu erwärmen.<lb/>
Er muß die neuen Wünsche und Forderungen, welche jede Zeit heraustreibt, zu<lb/>
seinen eigenen machen, und was darin für das Gemeinwohl nachtheilig werden<lb/>
könnte, dadurch abschneiden, daß er sich selbst an die Spitze solcher Bewegung stellt,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0484] eine Regierung sich damit täuscht, so thut sie es zu ihrem eigenen Verderben und zum Nachtheil ihres Staates. Aber diese Volksvertreter wollen den Staat wehrlos machen! Nun, die neue Organisation besteht ja factisch, und was die Volksvertretung gefordert hat. ist gar nicht Vernichtung, sondern gesetzliche Regelung derselben. Preußen ist unzweifelhaft sehr wehrhaft und waffentüchtig. Außer den alten Regimentern exercirt eine beträchtliche Zahl neuorganisirter, das stehende Heer ist ja beinahe verdoppelt, man weiß im Ausland recht gut, daß alle diese Re¬ gimenter im Fall.eines Krieges marschiren werden, wenn auch die Volksvertreter bei Bewilligung des Friedensetats Schwierigkeiten machen. Und diese Ver- mehrung des Heeres hat auf die Ansicht, welche die Regierungen von der Kraft Preußens haben, ersichtlich keinen Einfluß ausgeübt. Es ist also doch gar nicht eine militärische Schwäche des preußischen Staates, welche die gegen¬ wärtige Nichtachtung veranlaßt. Und militärische Schwäche wäre auch nicht der Grund solcher Nichtachtung, wenn kein einziges neues Bataillon seine Montirungskammer eingerichtet hätte. Denn die alte Landwehr, wie un¬ vollkommen ihre Organisation sein mochte, galt in ganz Europa für ein volks¬ tümliches Institut, für welches die Preußen große Opfer zu bringen gewöhnt waren. Jetzt hat das Austand vor den neuen Regimentern auch nicht um einen Gran in ehr Respect, als früher vor der LandwehrverfassunW!' Ja gerade die neue Einrichtung, welcher der König sein herzliches EinVer¬ ständniß mit dem Volke, den besten Theil seiner Popularität geopfert hat, mußte leider dazu beitragen, das Ansehn des Staates zu verringern. Und der Grund der Verringerung des Ansehens ist, daß bei dieser Organisationsfrage ein großes Ungeschick der Regierung in Behandlung des eigenen Volkes, Nichtachtung seiner Wünsche und Bedürfnisse, veraltete und gefährliche Sympathien für die pri- vilegirten Classen, zu Tage gekommen sind. Gairz Europa weiß nach Be¬ handlung dieser Frage, daß es von der gegenwärtigen Regierung wenig zu fürchten und wenig zu hoffen hat. Eine Regierung, welche in Unfrieden mit ihrem Wolke bebt, die Krone, welch« gegen die Majorität der Volks¬ vertreter ein unpopuläres Ministerium aufrecht erhält!, find schwach und hülf- los, und wenn eine Million Soldaten für sie exerciren und in hundert Cadcttenhäusern armer Adel in Bescheidenheit, Loyalität und Christenthum unter¬ richtet wird. Die Deutschen sind ein gutes Volk, leicht zu regieren, leicht für die Idee ihres Staates zu begeistern, und in solcher Begeisterung der größten Opfec fähig, aber wer mit ihnen auskommen will, muß verstehn, sie zu erwärmen. Er muß die neuen Wünsche und Forderungen, welche jede Zeit heraustreibt, zu seinen eigenen machen, und was darin für das Gemeinwohl nachtheilig werden könnte, dadurch abschneiden, daß er sich selbst an die Spitze solcher Bewegung stellt,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/484
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/484>, abgerufen am 27.09.2024.