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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Den hatt' ich aber nicht zur Hand. Ich sann und sann und verfiel zuletzt- aus
Zucker. Das geht! Ich löste mir also ein paar Stücken Zucker in Wasser auf
und fing dann sauber an, die Sache erst an den Kanten mit einem Pinsel zu
Probiren. Wunderschön! Ich strich dreist weiter, und es dauerte nichr lange,
so war mein Kragen so, daß jeder Capitain d'Armes ihn für einen richtigen
preußischen Svldatenkragen angesehen hätte.

Gr. sagte freilich, der Kragen wäre zu blank gegen die andere Malerei,
aber was verstand Gr. von der Kunst. Ich stellte meinen Platzmajor auf den
Tisch, legte mich auf mein Bett und guckte ihn bis Abends Glock neune an,
bis die Schildwache "Licht aus!" rief; 's ist möglich, daß Rafael seine Madonna,
wie sie fertig war, auch lange angeguckt hat, aber so verliebt ist er, glaub' ich,
nicht in sie gewesen, wie ich in den Herrn Platzmajor. Ich lag noch lange
und konnte vor Freude nicht schlafen. Ein preußischer Offizier in voller Uni¬
form, das will was sagen, meine Herrn! Zuletzt schlief ich cur, schlief aber
auch bis in den hellen Tag hinein.

Und als ich aufwachte -- Gott im hohen Himmel! -- Gr. hatte diesmal
nicht als Freund gegen mich gehandelt, er hätte es hindern können -- da
waren tausend Fliegen dabei und verzehrten den Kragen des Herrn Platzmajors
und hatten auch mit dazwischen gemalt und lauter kleine schwarze Punkte in
meine schönsten Lichter gesetzt.

So was nenn' ick ein Malheur. -- Und was nun? -- das Einzige war, ich
mußte ihn von frischem wieder überlackiren und die Fliegen abwehren; bis er
aus meinen Händen war. Das geschah denn nun auch bald; ich war meine
Arbeit los. Was aber die Frau Platzmajvrin zu der Ähnlichkeit gesagt hat,
und ob der Herr Platzmajor sich mir zum Andenken in seiner Dienstwohnung
aufgehängt hat, hab' ich mein Lebtag nicht zu wissen gekriegt." --

Mit demselben behaglichen Eingehen auf das Detail sind die übrigen Erleb¬
nisse in M. ausgemalt, und in gleicher Weise schildert der Verfasser sein Leben auf
der Festung Gr (audenz). Zunächst die Reise von Berlin dahin und die Figuren
der beiden Gensdarmen, die ihn begleiteten, dann die Offiziere der Festung, mit
denen er in Berührung kam, besonders den alten braven Commandanten, endlich
die wunderliche Gesellschaft der Mitgcfangnen und deren Verhältniß zu andern
Bewohnern von Gr., namentlich zum schönen Geschlecht. Jenes Behagen am
Ausmalen des Kleinen und Einzelnen geht hier an einigen Stellen bis an die
Grenze des Erlaubten, vielleicht sogar darüber hinaus, und man möchte die
betreffende Geschichte sich etwas rascher entwickeln sehen. Im Uebrigen aber
ist gerade dieser Theil des Buchs am reichsten an komischen Charakteren und
Situationen. Wie lebendig sind die Aufseher geschildert: der Unteroffizier
Bartels mit seinem unaufhörlichen "das muß ich melken". und der gutherzige
unbehülfliche Lewandvwsty, wie erquicklich die Mischung von militärischer


Den hatt' ich aber nicht zur Hand. Ich sann und sann und verfiel zuletzt- aus
Zucker. Das geht! Ich löste mir also ein paar Stücken Zucker in Wasser auf
und fing dann sauber an, die Sache erst an den Kanten mit einem Pinsel zu
Probiren. Wunderschön! Ich strich dreist weiter, und es dauerte nichr lange,
so war mein Kragen so, daß jeder Capitain d'Armes ihn für einen richtigen
preußischen Svldatenkragen angesehen hätte.

Gr. sagte freilich, der Kragen wäre zu blank gegen die andere Malerei,
aber was verstand Gr. von der Kunst. Ich stellte meinen Platzmajor auf den
Tisch, legte mich auf mein Bett und guckte ihn bis Abends Glock neune an,
bis die Schildwache „Licht aus!" rief; 's ist möglich, daß Rafael seine Madonna,
wie sie fertig war, auch lange angeguckt hat, aber so verliebt ist er, glaub' ich,
nicht in sie gewesen, wie ich in den Herrn Platzmajor. Ich lag noch lange
und konnte vor Freude nicht schlafen. Ein preußischer Offizier in voller Uni¬
form, das will was sagen, meine Herrn! Zuletzt schlief ich cur, schlief aber
auch bis in den hellen Tag hinein.

Und als ich aufwachte — Gott im hohen Himmel! — Gr. hatte diesmal
nicht als Freund gegen mich gehandelt, er hätte es hindern können — da
waren tausend Fliegen dabei und verzehrten den Kragen des Herrn Platzmajors
und hatten auch mit dazwischen gemalt und lauter kleine schwarze Punkte in
meine schönsten Lichter gesetzt.

So was nenn' ick ein Malheur. — Und was nun? — das Einzige war, ich
mußte ihn von frischem wieder überlackiren und die Fliegen abwehren; bis er
aus meinen Händen war. Das geschah denn nun auch bald; ich war meine
Arbeit los. Was aber die Frau Platzmajvrin zu der Ähnlichkeit gesagt hat,
und ob der Herr Platzmajor sich mir zum Andenken in seiner Dienstwohnung
aufgehängt hat, hab' ich mein Lebtag nicht zu wissen gekriegt." —

Mit demselben behaglichen Eingehen auf das Detail sind die übrigen Erleb¬
nisse in M. ausgemalt, und in gleicher Weise schildert der Verfasser sein Leben auf
der Festung Gr (audenz). Zunächst die Reise von Berlin dahin und die Figuren
der beiden Gensdarmen, die ihn begleiteten, dann die Offiziere der Festung, mit
denen er in Berührung kam, besonders den alten braven Commandanten, endlich
die wunderliche Gesellschaft der Mitgcfangnen und deren Verhältniß zu andern
Bewohnern von Gr., namentlich zum schönen Geschlecht. Jenes Behagen am
Ausmalen des Kleinen und Einzelnen geht hier an einigen Stellen bis an die
Grenze des Erlaubten, vielleicht sogar darüber hinaus, und man möchte die
betreffende Geschichte sich etwas rascher entwickeln sehen. Im Uebrigen aber
ist gerade dieser Theil des Buchs am reichsten an komischen Charakteren und
Situationen. Wie lebendig sind die Aufseher geschildert: der Unteroffizier
Bartels mit seinem unaufhörlichen „das muß ich melken". und der gutherzige
unbehülfliche Lewandvwsty, wie erquicklich die Mischung von militärischer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/465>, abgerufen am 27.09.2024.