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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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digung vom 21. Juni 1862 ausdrücklich übernommene Pflicht der Staats
regierung*).

Ueber diese Verpflichtungen sollte, wie es scheint, die inzwischen erfundene
Theorie von einer Ständeversammlung a<1 Iroo, also lediglich für das Wahlgesetz'
mit Ausschluß, aller anderen Gegenstände, hinaushelfen. Auch zur Beseitigung
der verfassungswidrigen Zustände, zu deren Remedur die Mitwirkung der Stände
nicht erforderlich war, hat das Ministerium fast gar nichts gethan. Wie groß
die bornirte Indolenz oder der üble Wille gegenüber der wiederhergestellten Ver¬
fassung gewesen ist, davon nur ein Beispiel. Bei einer Behörde ist es zu einer
Zeit, als die Verfassung von 1831 bereits wieder hergestellt war, vorgekommen,
daß Unterthanen mittelst Strafen angehalten werden sollten, die Beobachtung
der sogenannten Verfassung von 1860 eidlich anzugeloben!

Ein von Friedrich Oetker bei den Ständen schon vor der Vertagung ein¬
gebrachter Antrag will in diesen faulen Geschichten ausräumen. Wir werden
von diesem Oetkerschen Antrag wohl noch hören.

Ein Ereigniß der jüngsten Tage lenkt die Aufmerksamkeit auf die kurhes¬
sische Armee. Bekanntlich hat Hassenpflug im Jahre 1850 versucht, die Ver¬
fassung zunächst mit Hülfe der inländischen bewaffneten Macht zu stürzen. Der
Versuch scheiterte an dem Pflichtgefühl der kurhessischen Offiziere. Angesichts
des Conflicts "von Pflichten, welcher ihnen einerseits durch die Pflicht des Ge¬
horsams, anderntheils durch die eidlich übernommene Verpflichtung auf die Ver¬
fassung bevorstand," reichten im October 1850 zweihundertundcinundvierzig
Offiziere, jeder für sich, den Abschied ein. Darunter befanden sich 4 Generale,
7 Obersten, 20 Oberstlieutenants, 12 Majore, 59 Hauptleute und Rittmeister,
5" Premicrlieutenants und 89 Secondclieutenanrs. Etwa ein Dutzend Offiziere
hatte sich diesem Schritt nicht angeschlossen. Im November erhielten 47 Ossi-



Die betreffenden Paragraphen lauten wörtlich also:
''"' ") §-4.
j!^.) -/^^
,
Die seit dein 4. September 1850 bis zum Eintritt- der Verfassungsurkunde vom
13. April 1852 crgnngencn provisorischen Gesetze, deren Beseitigung den gleichzeitigen Erlaß ander-
weiter Vorschriften im verfassungsmäßigen Wege erfordert, sollen mit den von Uns für erfor>
tertias zu erachtenden Aenderungen demnächst Unseren getreuen Ständen zur verfassungsmäßigen
Zustimmung vorgelegt werden, und bleiben einstweilen in unveränderter Wirksamkeit. §. 5.
Wir werden die unter der Herrschaft der Verfassungsgcsetze vom 13. April 1852 und
30. Mai 1860 ergnngenen gesetzlichen Erlasse einer Revision unterwerfen und für diejenigen, deren
Beseitigung erforderlich erscheint, Gesctzcscntwürfe zu deren Abänderung Unseren getreuen Stän¬
den vorlegen lassen. §- 6.
Zugleich ist es Unser Wille, daß diejenigen landesherrlichen Verordnungen, welche gesetz¬
liche mit landständischer Zustimmung ergangene Anordnungen und Bestimmungen beseitigt
linde", der Ständeversammlung demnächst zur verfassungsmäßigen Zustimmung über deren
Fortbestehen oder Abänderung vorgelegt werden sollen.

digung vom 21. Juni 1862 ausdrücklich übernommene Pflicht der Staats
regierung*).

Ueber diese Verpflichtungen sollte, wie es scheint, die inzwischen erfundene
Theorie von einer Ständeversammlung a<1 Iroo, also lediglich für das Wahlgesetz'
mit Ausschluß, aller anderen Gegenstände, hinaushelfen. Auch zur Beseitigung
der verfassungswidrigen Zustände, zu deren Remedur die Mitwirkung der Stände
nicht erforderlich war, hat das Ministerium fast gar nichts gethan. Wie groß
die bornirte Indolenz oder der üble Wille gegenüber der wiederhergestellten Ver¬
fassung gewesen ist, davon nur ein Beispiel. Bei einer Behörde ist es zu einer
Zeit, als die Verfassung von 1831 bereits wieder hergestellt war, vorgekommen,
daß Unterthanen mittelst Strafen angehalten werden sollten, die Beobachtung
der sogenannten Verfassung von 1860 eidlich anzugeloben!

Ein von Friedrich Oetker bei den Ständen schon vor der Vertagung ein¬
gebrachter Antrag will in diesen faulen Geschichten ausräumen. Wir werden
von diesem Oetkerschen Antrag wohl noch hören.

Ein Ereigniß der jüngsten Tage lenkt die Aufmerksamkeit auf die kurhes¬
sische Armee. Bekanntlich hat Hassenpflug im Jahre 1850 versucht, die Ver¬
fassung zunächst mit Hülfe der inländischen bewaffneten Macht zu stürzen. Der
Versuch scheiterte an dem Pflichtgefühl der kurhessischen Offiziere. Angesichts
des Conflicts „von Pflichten, welcher ihnen einerseits durch die Pflicht des Ge¬
horsams, anderntheils durch die eidlich übernommene Verpflichtung auf die Ver¬
fassung bevorstand," reichten im October 1850 zweihundertundcinundvierzig
Offiziere, jeder für sich, den Abschied ein. Darunter befanden sich 4 Generale,
7 Obersten, 20 Oberstlieutenants, 12 Majore, 59 Hauptleute und Rittmeister,
5» Premicrlieutenants und 89 Secondclieutenanrs. Etwa ein Dutzend Offiziere
hatte sich diesem Schritt nicht angeschlossen. Im November erhielten 47 Ossi-



Die betreffenden Paragraphen lauten wörtlich also:
''"' ") §-4.
j!^.) -/^^
,
Die seit dein 4. September 1850 bis zum Eintritt- der Verfassungsurkunde vom
13. April 1852 crgnngencn provisorischen Gesetze, deren Beseitigung den gleichzeitigen Erlaß ander-
weiter Vorschriften im verfassungsmäßigen Wege erfordert, sollen mit den von Uns für erfor>
tertias zu erachtenden Aenderungen demnächst Unseren getreuen Ständen zur verfassungsmäßigen
Zustimmung vorgelegt werden, und bleiben einstweilen in unveränderter Wirksamkeit. §. 5.
Wir werden die unter der Herrschaft der Verfassungsgcsetze vom 13. April 1852 und
30. Mai 1860 ergnngenen gesetzlichen Erlasse einer Revision unterwerfen und für diejenigen, deren
Beseitigung erforderlich erscheint, Gesctzcscntwürfe zu deren Abänderung Unseren getreuen Stän¬
den vorlegen lassen. §- 6.
Zugleich ist es Unser Wille, daß diejenigen landesherrlichen Verordnungen, welche gesetz¬
liche mit landständischer Zustimmung ergangene Anordnungen und Bestimmungen beseitigt
linde», der Ständeversammlung demnächst zur verfassungsmäßigen Zustimmung über deren
Fortbestehen oder Abänderung vorgelegt werden sollen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/456>, abgerufen am 27.09.2024.