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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Schuldigen als Aufruhr kriegsgerichtlich bestraft werden soll." Die rechtliche Un¬
wirksamkeit der von den Bundescommissaren Uhden. Leiningen und Rechberg
ausgeübten gesetzgeberischen Gewalt wurde schon in der badischen Denkschrift
aus der Überschreitung ihrer Vollmacht nachgewiesen und zugleich der dabei
entwickelte doctnnäre Eifer scharf gezüchtigt. Diese "provisorischen Gesetze",
welche bis auf den heutigen Tag nicht zurückgezogen find, müssen jetzt feier¬
lich zu Grabe getragen werden.

In Uebereinstimmung mit den nach der sogenannten Verfassung von 1852
gewählten Ständen sind dann weiter verschiedenerlei Gesetze, insbesondere über
Besteuerung, Gemeindeverhältnisse ze. erlassen worden. Diese Gesetze müssen
einer Revision durch die verfassungsmäßigen Stände unterworfen werden, eines-
theils weil sie nicht von der zuständigen Landesvertretung ausgegangen sind,
und anderntheils. weil sie von der Grundlage der rechtmäßigen Verfassung
abweichen. Letzteres galt insbesondere von demjenigen Gesetz, welches du
Gemeindeordnung, im Widerspruch mit der Verfassung von 1831, abgeän
dert hat.

Endlich ist noch von Hassenpflug eine ganze Reihe verfassungsmäßig erlas¬
sener Gesetze ohne Weiteres mittelst "Verordnungen" aus dem Wege geschafft
worden: das Bürgergardegesetz vom 23. Juni 1832, das Gesetz vom i. Juli
1848 . die Aufhebung der Jagdgercchtsame und die Verhütung des Wildschadens
betreffend; das Gesetz vom 29. October 1848, die Religionsfreiheit betreffend
u. s. w.

Neben den durch das Gesetzblatt veröffentlichten Erlassen der Staatsgewalt
kommen hier noch weiter die zahlreichen Vvllzugsverordnungen in Betracht, welche
lediglich den Behörden mitgetheilt worden sind, aber nicht weniger die Zerstörung
der Verfassung gefördert haben.

Man hätte erwarten sollen, daß das erste und nächste Geschäft der Mini-
ster, nach Wiederherstellung der Verfassung, darin bestehen würde, überall einen
mit der Verfassung übereinstimmenden Zustand herbeizuführen, so weit dieses
ohne Zuziehung der erst noch zu wählenden Stände geschehen konnte. Man hätte
erwarten müssen, das Ministerium werde den Zusammentritt der Stände
möglichst beschleunigen und denselben alsbald alle dieMgen Vorlagen
machen, welche zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes erforderlich
waren.

Aber nichts von alle dem geschah. Die Stände wurden nicht zusammen¬
gerufen, obschon die Wahlen längst beendigt waren. Nachdem endlich ihre Ein¬
berufung stattgefunden hatte, wurde denselben auch nicht eine einzige Vorlage
gemacht, welche darauf abzielte, den aufgehäuften Berg verfassungswidriger An¬
ordnungen abzutragen. Und doch war dieses nicht allein durch die Verhältnisse
selbst dringend geboten, sondern sogar eine durch die landesherrliche Verkün-


Schuldigen als Aufruhr kriegsgerichtlich bestraft werden soll." Die rechtliche Un¬
wirksamkeit der von den Bundescommissaren Uhden. Leiningen und Rechberg
ausgeübten gesetzgeberischen Gewalt wurde schon in der badischen Denkschrift
aus der Überschreitung ihrer Vollmacht nachgewiesen und zugleich der dabei
entwickelte doctnnäre Eifer scharf gezüchtigt. Diese „provisorischen Gesetze",
welche bis auf den heutigen Tag nicht zurückgezogen find, müssen jetzt feier¬
lich zu Grabe getragen werden.

In Uebereinstimmung mit den nach der sogenannten Verfassung von 1852
gewählten Ständen sind dann weiter verschiedenerlei Gesetze, insbesondere über
Besteuerung, Gemeindeverhältnisse ze. erlassen worden. Diese Gesetze müssen
einer Revision durch die verfassungsmäßigen Stände unterworfen werden, eines-
theils weil sie nicht von der zuständigen Landesvertretung ausgegangen sind,
und anderntheils. weil sie von der Grundlage der rechtmäßigen Verfassung
abweichen. Letzteres galt insbesondere von demjenigen Gesetz, welches du
Gemeindeordnung, im Widerspruch mit der Verfassung von 1831, abgeän
dert hat.

Endlich ist noch von Hassenpflug eine ganze Reihe verfassungsmäßig erlas¬
sener Gesetze ohne Weiteres mittelst „Verordnungen" aus dem Wege geschafft
worden: das Bürgergardegesetz vom 23. Juni 1832, das Gesetz vom i. Juli
1848 . die Aufhebung der Jagdgercchtsame und die Verhütung des Wildschadens
betreffend; das Gesetz vom 29. October 1848, die Religionsfreiheit betreffend
u. s. w.

Neben den durch das Gesetzblatt veröffentlichten Erlassen der Staatsgewalt
kommen hier noch weiter die zahlreichen Vvllzugsverordnungen in Betracht, welche
lediglich den Behörden mitgetheilt worden sind, aber nicht weniger die Zerstörung
der Verfassung gefördert haben.

Man hätte erwarten sollen, daß das erste und nächste Geschäft der Mini-
ster, nach Wiederherstellung der Verfassung, darin bestehen würde, überall einen
mit der Verfassung übereinstimmenden Zustand herbeizuführen, so weit dieses
ohne Zuziehung der erst noch zu wählenden Stände geschehen konnte. Man hätte
erwarten müssen, das Ministerium werde den Zusammentritt der Stände
möglichst beschleunigen und denselben alsbald alle dieMgen Vorlagen
machen, welche zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes erforderlich
waren.

Aber nichts von alle dem geschah. Die Stände wurden nicht zusammen¬
gerufen, obschon die Wahlen längst beendigt waren. Nachdem endlich ihre Ein¬
berufung stattgefunden hatte, wurde denselben auch nicht eine einzige Vorlage
gemacht, welche darauf abzielte, den aufgehäuften Berg verfassungswidriger An¬
ordnungen abzutragen. Und doch war dieses nicht allein durch die Verhältnisse
selbst dringend geboten, sondern sogar eine durch die landesherrliche Verkün-


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[0455] Schuldigen als Aufruhr kriegsgerichtlich bestraft werden soll." Die rechtliche Un¬ wirksamkeit der von den Bundescommissaren Uhden. Leiningen und Rechberg ausgeübten gesetzgeberischen Gewalt wurde schon in der badischen Denkschrift aus der Überschreitung ihrer Vollmacht nachgewiesen und zugleich der dabei entwickelte doctnnäre Eifer scharf gezüchtigt. Diese „provisorischen Gesetze", welche bis auf den heutigen Tag nicht zurückgezogen find, müssen jetzt feier¬ lich zu Grabe getragen werden. In Uebereinstimmung mit den nach der sogenannten Verfassung von 1852 gewählten Ständen sind dann weiter verschiedenerlei Gesetze, insbesondere über Besteuerung, Gemeindeverhältnisse ze. erlassen worden. Diese Gesetze müssen einer Revision durch die verfassungsmäßigen Stände unterworfen werden, eines- theils weil sie nicht von der zuständigen Landesvertretung ausgegangen sind, und anderntheils. weil sie von der Grundlage der rechtmäßigen Verfassung abweichen. Letzteres galt insbesondere von demjenigen Gesetz, welches du Gemeindeordnung, im Widerspruch mit der Verfassung von 1831, abgeän dert hat. Endlich ist noch von Hassenpflug eine ganze Reihe verfassungsmäßig erlas¬ sener Gesetze ohne Weiteres mittelst „Verordnungen" aus dem Wege geschafft worden: das Bürgergardegesetz vom 23. Juni 1832, das Gesetz vom i. Juli 1848 . die Aufhebung der Jagdgercchtsame und die Verhütung des Wildschadens betreffend; das Gesetz vom 29. October 1848, die Religionsfreiheit betreffend u. s. w. Neben den durch das Gesetzblatt veröffentlichten Erlassen der Staatsgewalt kommen hier noch weiter die zahlreichen Vvllzugsverordnungen in Betracht, welche lediglich den Behörden mitgetheilt worden sind, aber nicht weniger die Zerstörung der Verfassung gefördert haben. Man hätte erwarten sollen, daß das erste und nächste Geschäft der Mini- ster, nach Wiederherstellung der Verfassung, darin bestehen würde, überall einen mit der Verfassung übereinstimmenden Zustand herbeizuführen, so weit dieses ohne Zuziehung der erst noch zu wählenden Stände geschehen konnte. Man hätte erwarten müssen, das Ministerium werde den Zusammentritt der Stände möglichst beschleunigen und denselben alsbald alle dieMgen Vorlagen machen, welche zur Herstellung eines verfassungsmäßigen Zustandes erforderlich waren. Aber nichts von alle dem geschah. Die Stände wurden nicht zusammen¬ gerufen, obschon die Wahlen längst beendigt waren. Nachdem endlich ihre Ein¬ berufung stattgefunden hatte, wurde denselben auch nicht eine einzige Vorlage gemacht, welche darauf abzielte, den aufgehäuften Berg verfassungswidriger An¬ ordnungen abzutragen. Und doch war dieses nicht allein durch die Verhältnisse selbst dringend geboten, sondern sogar eine durch die landesherrliche Verkün-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/455>, abgerufen am 27.09.2024.