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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Ernst von Schwaben zum ersten Mal über die Bühne des Stuttgarter Hof¬
theaters ging, mit jenem Prolog, in welchem mit scharfen Worten der-Fluch
des Landes gezeichnet ist. wo Freiheit und Gesetz darniederliegt, und in glän¬
zender Weise dann die Schilderung des Bildes folgt --


wenn aus sturmbewegter Zeit
Gesetz und Ordnung, Freiheit sich und Recht
Empor gerungen und sich festgepflanzt.

Es folgten ruhige Jahre. Die Verfassung machte der Aufregung des lan¬
gen Kampfes ein Ende, die Parteien näherten sich auf dem gemeinsamen recht¬
lichen Boden. Der Ausbau der Verfassung, die Anwendung ihrer Principien
auf die verschiedenen Zweige der Gesetzgebung, dies war nun die Aufgabe für
die Jahre 1819 --1830, eine Ausgabe, die der Natur der Sache nach wenige
Glanzpunkte bieten konnte, die aber in ihrer mühevollen Vielseitigkeit darum
nicht weniger verdienstlich war. Uhland, der schon in die verfassunggebende
Versammlung von 1819 gewählt war und seitdem erst seine Vaterstadt Tübin¬
gen, dann die Hauptstadt des Landes in der Volkskammer vertrat, betheiligte
sich an ihr mit der ganzen ihm eigenen Gewissenhaftigkeit.

Im Allgemeinen war die Haltung der Negierung eine entgegenkommende,
wohlwollende. Sie hatte noch oft genug Gelegenheit, gegen die Ansprüche des
Adels (die gleichwohl jetzt ganz anders berücksichtigt wurden, als es im Sinne
Königs Friedrich gewesen wäre), mit den Vertretern des Volks gemeinsame
Sache zu machen. Aus politischen Gründen nahm sie auch den Großstaaten
Oestreich und Preußen gegenüber ihr junges Verfassungsleben in Schutz. In
manchen Fragen, wie z. B. bezüglich der Judenemancipation und in Handels¬
und Gewerbefragen bekundete sie sogar unverkennbar einen liberaleren Geist als
die Abgeordnetenkammer. Allein die Bundcsbeschlüsse ließen sich nicht um¬
gehen und drückten immer schwerer auf das aufstrebende Verfassungsleben.
Die Karlsbader Conferenzbeschlüsse von 1819 und die Bundesbeschlüsse von 1824
waren auch hier verkündigt worden. Die Burschenschaft wurde verfolgt, die
Universität gemaßregelt, die Censur gehandhabt, das Versammlungsrecht be¬
schränkt, selbst in die Gesetzgebung wurde von Bundcswegen eingegriffen.
Vielleicht noch mehr jedoch wirkte -- bei sonst gutem Willen -- der büreau¬
kratische Geist, der in Würtemberg durch ein altherkömmliches Schreiberregiment
längst einheimisch war und nun in der Stagnation der Reactionsjahre neue
Nahrung erhielt, dazu mit. daß in die Gesetzgebung der folgenden Jahre, welche
die verschiedensten Zweige der Verwaltung, der Rechtspflege, des Pfandwesens,
des Steuerwesens u. s. w. betraf, ein Charakter ängstlicher Bevormundung
kam. Und hier war es nun, wo die Opposition, in erster Reihe Uhland. der
in den wichtigsten Commissionen saß. ein reiches Feld ihrer wenn auch meist
vergeblichen Thätigkeit fand.


Grenzboten IV. 1862. 52

Ernst von Schwaben zum ersten Mal über die Bühne des Stuttgarter Hof¬
theaters ging, mit jenem Prolog, in welchem mit scharfen Worten der-Fluch
des Landes gezeichnet ist. wo Freiheit und Gesetz darniederliegt, und in glän¬
zender Weise dann die Schilderung des Bildes folgt —


wenn aus sturmbewegter Zeit
Gesetz und Ordnung, Freiheit sich und Recht
Empor gerungen und sich festgepflanzt.

Es folgten ruhige Jahre. Die Verfassung machte der Aufregung des lan¬
gen Kampfes ein Ende, die Parteien näherten sich auf dem gemeinsamen recht¬
lichen Boden. Der Ausbau der Verfassung, die Anwendung ihrer Principien
auf die verschiedenen Zweige der Gesetzgebung, dies war nun die Aufgabe für
die Jahre 1819 —1830, eine Ausgabe, die der Natur der Sache nach wenige
Glanzpunkte bieten konnte, die aber in ihrer mühevollen Vielseitigkeit darum
nicht weniger verdienstlich war. Uhland, der schon in die verfassunggebende
Versammlung von 1819 gewählt war und seitdem erst seine Vaterstadt Tübin¬
gen, dann die Hauptstadt des Landes in der Volkskammer vertrat, betheiligte
sich an ihr mit der ganzen ihm eigenen Gewissenhaftigkeit.

Im Allgemeinen war die Haltung der Negierung eine entgegenkommende,
wohlwollende. Sie hatte noch oft genug Gelegenheit, gegen die Ansprüche des
Adels (die gleichwohl jetzt ganz anders berücksichtigt wurden, als es im Sinne
Königs Friedrich gewesen wäre), mit den Vertretern des Volks gemeinsame
Sache zu machen. Aus politischen Gründen nahm sie auch den Großstaaten
Oestreich und Preußen gegenüber ihr junges Verfassungsleben in Schutz. In
manchen Fragen, wie z. B. bezüglich der Judenemancipation und in Handels¬
und Gewerbefragen bekundete sie sogar unverkennbar einen liberaleren Geist als
die Abgeordnetenkammer. Allein die Bundcsbeschlüsse ließen sich nicht um¬
gehen und drückten immer schwerer auf das aufstrebende Verfassungsleben.
Die Karlsbader Conferenzbeschlüsse von 1819 und die Bundesbeschlüsse von 1824
waren auch hier verkündigt worden. Die Burschenschaft wurde verfolgt, die
Universität gemaßregelt, die Censur gehandhabt, das Versammlungsrecht be¬
schränkt, selbst in die Gesetzgebung wurde von Bundcswegen eingegriffen.
Vielleicht noch mehr jedoch wirkte — bei sonst gutem Willen — der büreau¬
kratische Geist, der in Würtemberg durch ein altherkömmliches Schreiberregiment
längst einheimisch war und nun in der Stagnation der Reactionsjahre neue
Nahrung erhielt, dazu mit. daß in die Gesetzgebung der folgenden Jahre, welche
die verschiedensten Zweige der Verwaltung, der Rechtspflege, des Pfandwesens,
des Steuerwesens u. s. w. betraf, ein Charakter ängstlicher Bevormundung
kam. Und hier war es nun, wo die Opposition, in erster Reihe Uhland. der
in den wichtigsten Commissionen saß. ein reiches Feld ihrer wenn auch meist
vergeblichen Thätigkeit fand.


Grenzboten IV. 1862. 52
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[0423] Ernst von Schwaben zum ersten Mal über die Bühne des Stuttgarter Hof¬ theaters ging, mit jenem Prolog, in welchem mit scharfen Worten der-Fluch des Landes gezeichnet ist. wo Freiheit und Gesetz darniederliegt, und in glän¬ zender Weise dann die Schilderung des Bildes folgt — wenn aus sturmbewegter Zeit Gesetz und Ordnung, Freiheit sich und Recht Empor gerungen und sich festgepflanzt. Es folgten ruhige Jahre. Die Verfassung machte der Aufregung des lan¬ gen Kampfes ein Ende, die Parteien näherten sich auf dem gemeinsamen recht¬ lichen Boden. Der Ausbau der Verfassung, die Anwendung ihrer Principien auf die verschiedenen Zweige der Gesetzgebung, dies war nun die Aufgabe für die Jahre 1819 —1830, eine Ausgabe, die der Natur der Sache nach wenige Glanzpunkte bieten konnte, die aber in ihrer mühevollen Vielseitigkeit darum nicht weniger verdienstlich war. Uhland, der schon in die verfassunggebende Versammlung von 1819 gewählt war und seitdem erst seine Vaterstadt Tübin¬ gen, dann die Hauptstadt des Landes in der Volkskammer vertrat, betheiligte sich an ihr mit der ganzen ihm eigenen Gewissenhaftigkeit. Im Allgemeinen war die Haltung der Negierung eine entgegenkommende, wohlwollende. Sie hatte noch oft genug Gelegenheit, gegen die Ansprüche des Adels (die gleichwohl jetzt ganz anders berücksichtigt wurden, als es im Sinne Königs Friedrich gewesen wäre), mit den Vertretern des Volks gemeinsame Sache zu machen. Aus politischen Gründen nahm sie auch den Großstaaten Oestreich und Preußen gegenüber ihr junges Verfassungsleben in Schutz. In manchen Fragen, wie z. B. bezüglich der Judenemancipation und in Handels¬ und Gewerbefragen bekundete sie sogar unverkennbar einen liberaleren Geist als die Abgeordnetenkammer. Allein die Bundcsbeschlüsse ließen sich nicht um¬ gehen und drückten immer schwerer auf das aufstrebende Verfassungsleben. Die Karlsbader Conferenzbeschlüsse von 1819 und die Bundesbeschlüsse von 1824 waren auch hier verkündigt worden. Die Burschenschaft wurde verfolgt, die Universität gemaßregelt, die Censur gehandhabt, das Versammlungsrecht be¬ schränkt, selbst in die Gesetzgebung wurde von Bundcswegen eingegriffen. Vielleicht noch mehr jedoch wirkte — bei sonst gutem Willen — der büreau¬ kratische Geist, der in Würtemberg durch ein altherkömmliches Schreiberregiment längst einheimisch war und nun in der Stagnation der Reactionsjahre neue Nahrung erhielt, dazu mit. daß in die Gesetzgebung der folgenden Jahre, welche die verschiedensten Zweige der Verwaltung, der Rechtspflege, des Pfandwesens, des Steuerwesens u. s. w. betraf, ein Charakter ängstlicher Bevormundung kam. Und hier war es nun, wo die Opposition, in erster Reihe Uhland. der in den wichtigsten Commissionen saß. ein reiches Feld ihrer wenn auch meist vergeblichen Thätigkeit fand. Grenzboten IV. 1862. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/423>, abgerufen am 27.09.2024.