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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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langt, die schlichte Farblosigkeit seiner Dramen, die doch wieder durch ihren
ethischen, echt deutschen Gehalt Edelsteine des deutschen Volkes bleiben.

Aber der unabsehbare Trauerzug, der sich an dem trüben Novembertage
von der Neckarbrücke aus in Bewegung setzte, und der ganz Schwaben um den
Sarg des geliebten Todten zu versammeln schien, galt nicht blos dem heimath¬
lichen Sänger, er galt in nicht minderem Grade dem Bürger, dem um sein
Vaterland verdienten politischen Charakter. Die Heimath reichte ihm mit Recht
die Bürgerkrone wie den Dichterlorbeer, denn sein Leben spiegelt nicht nur
ein großes Stück vaterländischer Geschichte wieder, sondern er war auch die
meiste Zeit seines Lebens berufen, eine thätige, zu Zeiten eine hervorragende
Rolle darin zu übernehmen. Wenn er auch in dieser Beziehung ein echter
Vertreter seines Stammes war, so lag hierin seine Stärke, wie seine Schranke.

In mehren Gedichten schildert Uhland selbst den Uebergang vom Dichter
der Liebe zum Sänger der vaterländischen Kämpfe, wie sein Lied das Feld
des heitern Schönen unbebaut läßt und nun mit dem ernsten scharfen Laute
tönt, wie Freiheit fortan seine Fee heißt und sein Ruder Recht, wie ihm nun
das, was er in vorigen Tagen von alten frommen Sagen, von Minne, Wein
und Mai gesungen, als Tand erscheint, denn der Heerschild ist erklungen, der
Ruf fürs Vaterland! Aber nachdem er mit wenigen ausgezeichneten Liedern --
er der einzige Süddeutsche -- in die Reihe der Sänger der Befreiungskriege
getreten, wendet er sick wieder zurück zur engeren Heimath und begleitet deren
innere Kämpfe mit seinen gewichtigen Liedern. Wäre die Geschichte der wür-
tembergischen Verfassungskämpfe in den Jahren 1815 ^- 1819 nicht an sich
selbst eine so denkwürdige und bezeichnende Episode im Kampfe der alten mit'
der neuen Zeit, so wäre sie durch Uhlands Lieder allein unsterblich geworden;
sie sind wohl auch meist die Ursache gewesen, daß man diesen Kampf längere
Zeit in einem allzu idealen und poetischen Lichte erblickt hat.

Heute ist keine Meinungsverschiedenheit mehr darüber, wie es sich mit
dem "guten alten Recht" verhielt, das Altwürtemberg damals von seinem
König zurückverlangte.

Während der Revolutionsjahre hatte das gesammte Staatswesen die durch-
greifendste Veränderung erfahren. Friedrich der Erste, der Anhänger und Freund
Napoleons, der revolutionäre Despot, hatte die Absicht, seinen zum größern
Theil neu erworbenen Länderbesitz in ein einheitliches modernes Staatsganzes
umzuwandeln, ein Werk, für welches das Niederreißen aller Particularrechte
und Privilegien den nothwendigen Ausgangspunkt bildete. Er hatte darum,
nachdem er sich schon bisher rücksichtslos über die ständischen Rechte hinweg-
gesetzt, im Jahre 180K die altwürtembergische Verfassung. eine Erbschaft,des
fünfzehnten Jahrhunderts, förmlich aufgehoben, zugleich aber alle Rechte der Reichs¬
städte, der Unterthanen der Klöster, der mediatisirten Fürsten und Ritter, mit


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langt, die schlichte Farblosigkeit seiner Dramen, die doch wieder durch ihren
ethischen, echt deutschen Gehalt Edelsteine des deutschen Volkes bleiben.

Aber der unabsehbare Trauerzug, der sich an dem trüben Novembertage
von der Neckarbrücke aus in Bewegung setzte, und der ganz Schwaben um den
Sarg des geliebten Todten zu versammeln schien, galt nicht blos dem heimath¬
lichen Sänger, er galt in nicht minderem Grade dem Bürger, dem um sein
Vaterland verdienten politischen Charakter. Die Heimath reichte ihm mit Recht
die Bürgerkrone wie den Dichterlorbeer, denn sein Leben spiegelt nicht nur
ein großes Stück vaterländischer Geschichte wieder, sondern er war auch die
meiste Zeit seines Lebens berufen, eine thätige, zu Zeiten eine hervorragende
Rolle darin zu übernehmen. Wenn er auch in dieser Beziehung ein echter
Vertreter seines Stammes war, so lag hierin seine Stärke, wie seine Schranke.

In mehren Gedichten schildert Uhland selbst den Uebergang vom Dichter
der Liebe zum Sänger der vaterländischen Kämpfe, wie sein Lied das Feld
des heitern Schönen unbebaut läßt und nun mit dem ernsten scharfen Laute
tönt, wie Freiheit fortan seine Fee heißt und sein Ruder Recht, wie ihm nun
das, was er in vorigen Tagen von alten frommen Sagen, von Minne, Wein
und Mai gesungen, als Tand erscheint, denn der Heerschild ist erklungen, der
Ruf fürs Vaterland! Aber nachdem er mit wenigen ausgezeichneten Liedern —
er der einzige Süddeutsche — in die Reihe der Sänger der Befreiungskriege
getreten, wendet er sick wieder zurück zur engeren Heimath und begleitet deren
innere Kämpfe mit seinen gewichtigen Liedern. Wäre die Geschichte der wür-
tembergischen Verfassungskämpfe in den Jahren 1815 ^- 1819 nicht an sich
selbst eine so denkwürdige und bezeichnende Episode im Kampfe der alten mit'
der neuen Zeit, so wäre sie durch Uhlands Lieder allein unsterblich geworden;
sie sind wohl auch meist die Ursache gewesen, daß man diesen Kampf längere
Zeit in einem allzu idealen und poetischen Lichte erblickt hat.

Heute ist keine Meinungsverschiedenheit mehr darüber, wie es sich mit
dem „guten alten Recht" verhielt, das Altwürtemberg damals von seinem
König zurückverlangte.

Während der Revolutionsjahre hatte das gesammte Staatswesen die durch-
greifendste Veränderung erfahren. Friedrich der Erste, der Anhänger und Freund
Napoleons, der revolutionäre Despot, hatte die Absicht, seinen zum größern
Theil neu erworbenen Länderbesitz in ein einheitliches modernes Staatsganzes
umzuwandeln, ein Werk, für welches das Niederreißen aller Particularrechte
und Privilegien den nothwendigen Ausgangspunkt bildete. Er hatte darum,
nachdem er sich schon bisher rücksichtslos über die ständischen Rechte hinweg-
gesetzt, im Jahre 180K die altwürtembergische Verfassung. eine Erbschaft,des
fünfzehnten Jahrhunderts, förmlich aufgehoben, zugleich aber alle Rechte der Reichs¬
städte, der Unterthanen der Klöster, der mediatisirten Fürsten und Ritter, mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/417>, abgerufen am 27.09.2024.