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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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letzten Grundlagen der preußischen Heerverfassung sind. Die allgemeine Dienst-
Pflicht ohne Stellvertretung, die kurze Dienstzeit, mag diese nun IV- oder
2'/- Jahr dauern, und die tüchtige technische Bildung des Offiziercorps müssen
ihnen noch immer von jeder Nation Europa's beneidet werden, Frankreich nicht
ausgenommen. Es ist wahr, Vieles bleibt zu wünschen übrig, um das Heer
mit der fortgeschrittenen Entwickelung des Staatskörpers in Einklang zu brin¬
gen, aber ebenso deutlich ist, daß die Umänderungen zum Theil nur langsam
als nothwendige Consequenz nationaler Fortschritte sich entwickeln können, und
daß bei dem größten Theil derselben nicht der Landesvertretung, sondern einem
Ministerium, zu welchem die Kammer Vertrauen hat, die Initiative überlassen
werden muß.

Deshalb darf es auch ferner nicht die Höhe des Militäretats an sich
sein, wogegen die Opposition ankämpft. Wenn günstige Sterne früher oder >
später der gegenwärtigen Opposition die Leitung der Geschäfte in die Hand
geben, dann würde dieselbe weit mehr als 41 Millionen für das Hexr bean¬
spruchen müssen und mit gutem Grunde. Und das Volk wird die vergrößerte
Steuerlast sehr wohl tragen, ohne zu verarmen. Denn was an Steuern in
Preußen etwa jetzt drückt, ist doch nicht die Steuerlast überhaupt, sondern die
Verkeilung derselben, der verhältnißmäßig geringe Procentsatz, welchen die
Grundsteuer im Verhältniß zur Gewerb- und Einkommensteuer ausmacht, ferner
die verhältnißmäßige Langsamkeit des industriellen Fortschritts in den östlichen
Grenzprovinzen, welchen durch russische Zölle, östreichische Valuta und die
Vernachlässigung ihrer Flußwege die Kraft gelähmt ist, endlich die Hindernisse,
welche das Dahinsiechen des Zollvereins einer starken Zunahme der Finanz¬
zölle in den Weg legt. Daß aber Preußen einen höhern Etat für seine
Wehrbarkeit erhalten muß, wird aus den Forderungen deutlich, welche alle
liberalen Fractionen mit gutem Grunde erheben. Die Regierung gibt sich
jetzt Mühe, 63,000 Mann jährlich einzustellen, wir fordern militärische Ausbil¬
dung der gesammten waffenfähigen Jugend des Jahres/ Einstellung von etwa
80,000 Mann. Allerdings muß es möglich sein, dies in möglichst kurzer
Dienstzeit zu bewirken, und daß eine systematische. Vorbildung der Jugend
wesentliche Hülfe für Verkürzung der Dienstzeit werden könne, steht zu hoffen.
Aber sicher wird mehr als ein Jahrzehnt, vielleicht ein Menschenalter, hingehen,
bevor solche Vorbildung in genügender Weise bei unsern Dorfbewohnern durch¬
gesetzt wird, auch dann wird die Kürze der Dienstzeit eine Grenze haben, unter
welche im Interesse eines disciplinirten und waffentüchtigen Heeres nicht herab¬
gegangen werden darf. Deshalb wird eine Verminderung des sogenannten
stehenden Heeres zuverlässig auch dann nicht eintreten, wenn die Führer der
gegenwärtigen Opposition einmal die Ministerstühle besetzen sollen. Aber auch
die neu gebildeten Bataillone werden bei noch stärkerer Rekrutenaushebung


letzten Grundlagen der preußischen Heerverfassung sind. Die allgemeine Dienst-
Pflicht ohne Stellvertretung, die kurze Dienstzeit, mag diese nun IV- oder
2'/- Jahr dauern, und die tüchtige technische Bildung des Offiziercorps müssen
ihnen noch immer von jeder Nation Europa's beneidet werden, Frankreich nicht
ausgenommen. Es ist wahr, Vieles bleibt zu wünschen übrig, um das Heer
mit der fortgeschrittenen Entwickelung des Staatskörpers in Einklang zu brin¬
gen, aber ebenso deutlich ist, daß die Umänderungen zum Theil nur langsam
als nothwendige Consequenz nationaler Fortschritte sich entwickeln können, und
daß bei dem größten Theil derselben nicht der Landesvertretung, sondern einem
Ministerium, zu welchem die Kammer Vertrauen hat, die Initiative überlassen
werden muß.

Deshalb darf es auch ferner nicht die Höhe des Militäretats an sich
sein, wogegen die Opposition ankämpft. Wenn günstige Sterne früher oder >
später der gegenwärtigen Opposition die Leitung der Geschäfte in die Hand
geben, dann würde dieselbe weit mehr als 41 Millionen für das Hexr bean¬
spruchen müssen und mit gutem Grunde. Und das Volk wird die vergrößerte
Steuerlast sehr wohl tragen, ohne zu verarmen. Denn was an Steuern in
Preußen etwa jetzt drückt, ist doch nicht die Steuerlast überhaupt, sondern die
Verkeilung derselben, der verhältnißmäßig geringe Procentsatz, welchen die
Grundsteuer im Verhältniß zur Gewerb- und Einkommensteuer ausmacht, ferner
die verhältnißmäßige Langsamkeit des industriellen Fortschritts in den östlichen
Grenzprovinzen, welchen durch russische Zölle, östreichische Valuta und die
Vernachlässigung ihrer Flußwege die Kraft gelähmt ist, endlich die Hindernisse,
welche das Dahinsiechen des Zollvereins einer starken Zunahme der Finanz¬
zölle in den Weg legt. Daß aber Preußen einen höhern Etat für seine
Wehrbarkeit erhalten muß, wird aus den Forderungen deutlich, welche alle
liberalen Fractionen mit gutem Grunde erheben. Die Regierung gibt sich
jetzt Mühe, 63,000 Mann jährlich einzustellen, wir fordern militärische Ausbil¬
dung der gesammten waffenfähigen Jugend des Jahres/ Einstellung von etwa
80,000 Mann. Allerdings muß es möglich sein, dies in möglichst kurzer
Dienstzeit zu bewirken, und daß eine systematische. Vorbildung der Jugend
wesentliche Hülfe für Verkürzung der Dienstzeit werden könne, steht zu hoffen.
Aber sicher wird mehr als ein Jahrzehnt, vielleicht ein Menschenalter, hingehen,
bevor solche Vorbildung in genügender Weise bei unsern Dorfbewohnern durch¬
gesetzt wird, auch dann wird die Kürze der Dienstzeit eine Grenze haben, unter
welche im Interesse eines disciplinirten und waffentüchtigen Heeres nicht herab¬
gegangen werden darf. Deshalb wird eine Verminderung des sogenannten
stehenden Heeres zuverlässig auch dann nicht eintreten, wenn die Führer der
gegenwärtigen Opposition einmal die Ministerstühle besetzen sollen. Aber auch
die neu gebildeten Bataillone werden bei noch stärkerer Rekrutenaushebung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/39>, abgerufen am 27.09.2024.