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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Spitze der ganzen Richtung aber stehen sehr bedeutende und durchgebildete
Persönlichkeiten wie Mazzarella. de Scmctis, Guicciardini, Gueltiers, alles
Männer von großen Gaben und warmer evangelischer Gesinnung. Aber wir
haben es hier nicht mit einer geschlossenen Kirchengemeinschaft zu thun, und die
nur lose verbundenen Gemeinden stehen so selbständig da, dah sich schwer ein
Gesammturtheil fällen läßt. Bei manchen mag sich eine Politisirende Richtung
einmischen, aber vorwiegend ist in allen diesen Kreisen der Geist, der die ge¬
nannten trefflichen Männer beherrscht.

Man bezeichnet diesen Zweig der evangelischen Bewegung in Italien häusig
als "Darbismus". Nach unserem Berichterstatter nicht ganz mit Recht. Denn
im Gegensatz zum Darbismus sehen die Führer dieser Gemeinden "die Anwei¬
sungen der Apostel für das Gemeindeleben noch heute für maßgebend an.
Aber freilich die praktischen Consequenzen des Darbismus finden sich bei ihnen
insofern wieder, als das kirchliche Amt und jede kirchliche Organisation in den
Hintergrund treten gegen das allgemeine Priesterthum. Doch sind die einflu߬
reichen Männer dieser Partei nicht principiell gegen ein stetiges Amt und eine
kirchliche Ordnung, die meisten Gemeinden haben schon ihre bestimmten Evan¬
gelisten, auch fehlt es nicht ganz an einer einheitlichen Leitung der verschiedenen
Vereine."

In Süditalien beschränkt sich, abgesehen von der sehr kleinen Waldenser-
station zu Palermo, die evangelische Bewegung bis jetzt auf Neapel. Zwei Par¬
teien sind dort thätig, eine wenig zahlreiche unter dem den Waldcnsern nahe¬
stehenden Cresi, und eine andere, die, unter einem Comite aus Fremden, einen
ziemlich zahlreich besuchten Gottesdienst eingerichtet und eine sehr blühende
Knabenschule gegründet hat. "Aber früher," so klagt unser Berichterstatter,
"trat hier die Polemik und zuweilen auch die Politik zu sehr in den Vorder,
grünt."

Ueber das Verhältniß der Waldenser und der italienischen Brüder bemerkt
der Redner, daß sich statt eines Gegeneinander oder Nebeneinander immer mehr
ein freundliches Miteinander Bahn bricht, und führt dafür als Beispiel an,
daß sich zu Florenz allwöchentlich beide Parteien zu Gebetsstunden vereinigen,
in denen der spanischen Märtyrer gedacht wird. "Die beiden Richtungen kön¬
nen sich aber auch einander ergänzen und berichtigen. Die evangelischen Ge¬
sellschaften haben den Vorzug, daß ihnen weniger Vorurtheile entgegenstehen;
sie haben daher für jetzt einen ganz besonderen Beruf zu evangelisiren. Die
Waldenser dagegen erfreuen sich des Vorzugs einer alten geordneten Kirchen-
gemeinschaft, einer reichen Erfahrung und Tradition und eines theologischen
Lehrstandes; die solide Unterlage ihrer Evangelisation sichert ihnen eine schöne
Zukunft, obwohl gerade ihre Vorzüge für jetzt ihnen Nachtheil bringen."

Wir lassen nun einige Auszüge aus der Rede folgen, mit welcher der


Spitze der ganzen Richtung aber stehen sehr bedeutende und durchgebildete
Persönlichkeiten wie Mazzarella. de Scmctis, Guicciardini, Gueltiers, alles
Männer von großen Gaben und warmer evangelischer Gesinnung. Aber wir
haben es hier nicht mit einer geschlossenen Kirchengemeinschaft zu thun, und die
nur lose verbundenen Gemeinden stehen so selbständig da, dah sich schwer ein
Gesammturtheil fällen läßt. Bei manchen mag sich eine Politisirende Richtung
einmischen, aber vorwiegend ist in allen diesen Kreisen der Geist, der die ge¬
nannten trefflichen Männer beherrscht.

Man bezeichnet diesen Zweig der evangelischen Bewegung in Italien häusig
als „Darbismus". Nach unserem Berichterstatter nicht ganz mit Recht. Denn
im Gegensatz zum Darbismus sehen die Führer dieser Gemeinden „die Anwei¬
sungen der Apostel für das Gemeindeleben noch heute für maßgebend an.
Aber freilich die praktischen Consequenzen des Darbismus finden sich bei ihnen
insofern wieder, als das kirchliche Amt und jede kirchliche Organisation in den
Hintergrund treten gegen das allgemeine Priesterthum. Doch sind die einflu߬
reichen Männer dieser Partei nicht principiell gegen ein stetiges Amt und eine
kirchliche Ordnung, die meisten Gemeinden haben schon ihre bestimmten Evan¬
gelisten, auch fehlt es nicht ganz an einer einheitlichen Leitung der verschiedenen
Vereine."

In Süditalien beschränkt sich, abgesehen von der sehr kleinen Waldenser-
station zu Palermo, die evangelische Bewegung bis jetzt auf Neapel. Zwei Par¬
teien sind dort thätig, eine wenig zahlreiche unter dem den Waldcnsern nahe¬
stehenden Cresi, und eine andere, die, unter einem Comite aus Fremden, einen
ziemlich zahlreich besuchten Gottesdienst eingerichtet und eine sehr blühende
Knabenschule gegründet hat. „Aber früher," so klagt unser Berichterstatter,
„trat hier die Polemik und zuweilen auch die Politik zu sehr in den Vorder,
grünt."

Ueber das Verhältniß der Waldenser und der italienischen Brüder bemerkt
der Redner, daß sich statt eines Gegeneinander oder Nebeneinander immer mehr
ein freundliches Miteinander Bahn bricht, und führt dafür als Beispiel an,
daß sich zu Florenz allwöchentlich beide Parteien zu Gebetsstunden vereinigen,
in denen der spanischen Märtyrer gedacht wird. „Die beiden Richtungen kön¬
nen sich aber auch einander ergänzen und berichtigen. Die evangelischen Ge¬
sellschaften haben den Vorzug, daß ihnen weniger Vorurtheile entgegenstehen;
sie haben daher für jetzt einen ganz besonderen Beruf zu evangelisiren. Die
Waldenser dagegen erfreuen sich des Vorzugs einer alten geordneten Kirchen-
gemeinschaft, einer reichen Erfahrung und Tradition und eines theologischen
Lehrstandes; die solide Unterlage ihrer Evangelisation sichert ihnen eine schöne
Zukunft, obwohl gerade ihre Vorzüge für jetzt ihnen Nachtheil bringen."

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[0321] Spitze der ganzen Richtung aber stehen sehr bedeutende und durchgebildete Persönlichkeiten wie Mazzarella. de Scmctis, Guicciardini, Gueltiers, alles Männer von großen Gaben und warmer evangelischer Gesinnung. Aber wir haben es hier nicht mit einer geschlossenen Kirchengemeinschaft zu thun, und die nur lose verbundenen Gemeinden stehen so selbständig da, dah sich schwer ein Gesammturtheil fällen läßt. Bei manchen mag sich eine Politisirende Richtung einmischen, aber vorwiegend ist in allen diesen Kreisen der Geist, der die ge¬ nannten trefflichen Männer beherrscht. Man bezeichnet diesen Zweig der evangelischen Bewegung in Italien häusig als „Darbismus". Nach unserem Berichterstatter nicht ganz mit Recht. Denn im Gegensatz zum Darbismus sehen die Führer dieser Gemeinden „die Anwei¬ sungen der Apostel für das Gemeindeleben noch heute für maßgebend an. Aber freilich die praktischen Consequenzen des Darbismus finden sich bei ihnen insofern wieder, als das kirchliche Amt und jede kirchliche Organisation in den Hintergrund treten gegen das allgemeine Priesterthum. Doch sind die einflu߬ reichen Männer dieser Partei nicht principiell gegen ein stetiges Amt und eine kirchliche Ordnung, die meisten Gemeinden haben schon ihre bestimmten Evan¬ gelisten, auch fehlt es nicht ganz an einer einheitlichen Leitung der verschiedenen Vereine." In Süditalien beschränkt sich, abgesehen von der sehr kleinen Waldenser- station zu Palermo, die evangelische Bewegung bis jetzt auf Neapel. Zwei Par¬ teien sind dort thätig, eine wenig zahlreiche unter dem den Waldcnsern nahe¬ stehenden Cresi, und eine andere, die, unter einem Comite aus Fremden, einen ziemlich zahlreich besuchten Gottesdienst eingerichtet und eine sehr blühende Knabenschule gegründet hat. „Aber früher," so klagt unser Berichterstatter, „trat hier die Polemik und zuweilen auch die Politik zu sehr in den Vorder, grünt." Ueber das Verhältniß der Waldenser und der italienischen Brüder bemerkt der Redner, daß sich statt eines Gegeneinander oder Nebeneinander immer mehr ein freundliches Miteinander Bahn bricht, und führt dafür als Beispiel an, daß sich zu Florenz allwöchentlich beide Parteien zu Gebetsstunden vereinigen, in denen der spanischen Märtyrer gedacht wird. „Die beiden Richtungen kön¬ nen sich aber auch einander ergänzen und berichtigen. Die evangelischen Ge¬ sellschaften haben den Vorzug, daß ihnen weniger Vorurtheile entgegenstehen; sie haben daher für jetzt einen ganz besonderen Beruf zu evangelisiren. Die Waldenser dagegen erfreuen sich des Vorzugs einer alten geordneten Kirchen- gemeinschaft, einer reichen Erfahrung und Tradition und eines theologischen Lehrstandes; die solide Unterlage ihrer Evangelisation sichert ihnen eine schöne Zukunft, obwohl gerade ihre Vorzüge für jetzt ihnen Nachtheil bringen." Wir lassen nun einige Auszüge aus der Rede folgen, mit welcher der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/321>, abgerufen am 27.09.2024.