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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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wenn die ersten Kammern die entscheidenden Factoren unsers Staatslebens
wären, so müßten neben Bayern auch Würtemberg, Hessen-Darmstadt, Hanno¬
ver, Sachsen und vielleicht selbst Baden als großdeutsche Territorien gelten.
Aber wenn es vielmehr auf die gewählten Volksvertretungen ankommt, so ist ,
nach Ausweis dieser Versammlung lediglich Bayern noch überwiegend in gro߬
deutschem Besitz. Von Würtemberg war Moritz Mohl mit einem halben
Dutzend Gleichgesinnter da, während die Führer der dortigen Demokratie
sammt und sonders in Weimar gewesen waren. Aus Baden erschienen einige
abgedankte Minister nebst einem einzigen andern Abgeordneten. Hessen-Darm¬
stadt stellte, charakteristisch genug, eine starke Anzahl früherer Kammer¬
mitglieder, die bei den soeben vollzogenen Neuwahlen durchgefallen sind. Aus
Nassau erschienen Rcgierungsmänner und Ultramontane, denen die nächsten
Neuwahlen dasselbe Schicksal in Aussicht stellen. Aus Hannover hatten dle
Führer der Junkerpartei und die Mitglieder der Camarilla, die zugegen waren,
ein paar Bauern aus der vom Grafen Borries gezogenen Schaar mitgebracht,
die ebenfalls schwerlich wieder auf einem Landtage erscheinen werden. Sachsens
zweite Kammer war anscheinend überhaupt nicht vertreten. (Durch einen ein¬
zigen Abgeordneten: Seiler D. Red.) Kurhesseus-Landesvertretung glänzte
gleich der preußischen durch Abwesenheit; dagegen waren fast vollzählig die
Junker erschienen, die früher in Kassel erste Kammer spielten. Von den
35 Millionen des außeröstreichischen Deutschlands mögen demnach ungefähr 5
oder K in Frankfurt repräsentirt gewesen sein.

In dieser Weise hat sich denn also hier der deutschen Whigpartei
gegenüber, die in der großen Mehrzahl der Volksvertretungen dominirt, die
deutsche Torypartei constituirt.

Die kleine Beimischung demokratischer Elemente, die es in Frankfurt unter,
350--4gg Anwesenden auf 20--30 Stimmen brachte, kann die Gesammtfarbe
kaum modificiren, und es ist daher die conservative Partei im Gegensatz zur
liberalen, was am 28. October hier das Licht der Welt erblickt hat. Die Gro߬
deutschen sind nicht allein der Bundesreform so abgeneigt, daß nur die äußerste
Noth, die Gefahr, sonst ungleich mehr nachgeben zu müssen, sie zum Anerbieten
mikroskopischer Reformen treiben kann; sie sind auch der Freiheit und dem
Fortschritt so weit entgegen, als die Zeit nur irgend erlauben will. Aber frei¬
lich, die Zeit ist gegen diese charmanter Leute jetzt sehr hart und preßt Be¬
kenntnisse von ihren Lippen, deren sie sich im Innern eigentlich schämen. Schon
daß sie überhaupt aus allen Theilen Deutschlands zusammenkommen, ist gegen
alle ehrwürdige Tradition. Und dann öffentlich tagen zu müssen! Welche Un¬
bequemlichkeit für ritterliche Gedanken, auf ein skeptisches, wo nicht gar feind¬
selig abgeneigtes Publicum Rücksicht nehmen zu müssen, bevor sie sich in hör¬
bare Laute fassen!


wenn die ersten Kammern die entscheidenden Factoren unsers Staatslebens
wären, so müßten neben Bayern auch Würtemberg, Hessen-Darmstadt, Hanno¬
ver, Sachsen und vielleicht selbst Baden als großdeutsche Territorien gelten.
Aber wenn es vielmehr auf die gewählten Volksvertretungen ankommt, so ist ,
nach Ausweis dieser Versammlung lediglich Bayern noch überwiegend in gro߬
deutschem Besitz. Von Würtemberg war Moritz Mohl mit einem halben
Dutzend Gleichgesinnter da, während die Führer der dortigen Demokratie
sammt und sonders in Weimar gewesen waren. Aus Baden erschienen einige
abgedankte Minister nebst einem einzigen andern Abgeordneten. Hessen-Darm¬
stadt stellte, charakteristisch genug, eine starke Anzahl früherer Kammer¬
mitglieder, die bei den soeben vollzogenen Neuwahlen durchgefallen sind. Aus
Nassau erschienen Rcgierungsmänner und Ultramontane, denen die nächsten
Neuwahlen dasselbe Schicksal in Aussicht stellen. Aus Hannover hatten dle
Führer der Junkerpartei und die Mitglieder der Camarilla, die zugegen waren,
ein paar Bauern aus der vom Grafen Borries gezogenen Schaar mitgebracht,
die ebenfalls schwerlich wieder auf einem Landtage erscheinen werden. Sachsens
zweite Kammer war anscheinend überhaupt nicht vertreten. (Durch einen ein¬
zigen Abgeordneten: Seiler D. Red.) Kurhesseus-Landesvertretung glänzte
gleich der preußischen durch Abwesenheit; dagegen waren fast vollzählig die
Junker erschienen, die früher in Kassel erste Kammer spielten. Von den
35 Millionen des außeröstreichischen Deutschlands mögen demnach ungefähr 5
oder K in Frankfurt repräsentirt gewesen sein.

In dieser Weise hat sich denn also hier der deutschen Whigpartei
gegenüber, die in der großen Mehrzahl der Volksvertretungen dominirt, die
deutsche Torypartei constituirt.

Die kleine Beimischung demokratischer Elemente, die es in Frankfurt unter,
350—4gg Anwesenden auf 20—30 Stimmen brachte, kann die Gesammtfarbe
kaum modificiren, und es ist daher die conservative Partei im Gegensatz zur
liberalen, was am 28. October hier das Licht der Welt erblickt hat. Die Gro߬
deutschen sind nicht allein der Bundesreform so abgeneigt, daß nur die äußerste
Noth, die Gefahr, sonst ungleich mehr nachgeben zu müssen, sie zum Anerbieten
mikroskopischer Reformen treiben kann; sie sind auch der Freiheit und dem
Fortschritt so weit entgegen, als die Zeit nur irgend erlauben will. Aber frei¬
lich, die Zeit ist gegen diese charmanter Leute jetzt sehr hart und preßt Be¬
kenntnisse von ihren Lippen, deren sie sich im Innern eigentlich schämen. Schon
daß sie überhaupt aus allen Theilen Deutschlands zusammenkommen, ist gegen
alle ehrwürdige Tradition. Und dann öffentlich tagen zu müssen! Welche Un¬
bequemlichkeit für ritterliche Gedanken, auf ein skeptisches, wo nicht gar feind¬
selig abgeneigtes Publicum Rücksicht nehmen zu müssen, bevor sie sich in hör¬
bare Laute fassen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/251>, abgerufen am 27.09.2024.