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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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garnen sich die östreichischen Sympathien und die grvßdeutscken Tendenzen im
westlichen Deutschland immer kräftiger zu regen. Auf dem deutschen Schützen¬
fest hatten beide vor ihren natürlichen Gegensätzen einen gewissen Vorsprung
voraus. Die Künstlerversammlung in Salzburg und der Juristentag in Wien
wurden nicht ohne einigen Erfolg dazu benutzt, um die Blicke des deutschen
Volks auf Herrn v. Schmerling, als aus seinen dereinstigen Retter aus Ohn¬
macht und Niedrigkeit zu lenken. Den identischen Noten, die im Frühjahr die
rein theoretischen Rcsormideen Preußens so trotzig zurückgewiesen hatten, folgte
im Sommer ein Antrag Oestreichs und seiner Genossen beim Bundestage, der
eine praktische Gegenreform in Aussicht nahm. War das Angebot im Vergleich
zu den Forderungen der Nation auch lächerlich gering, so schien es doch immer¬
hin eine Art von Anfang zur Reform der Bundesverfassung, die Preußen sich
begnügte als verbesserungsbedürftig anzuerkennen und in ihren Lebensäuße¬
rungen möglichst eng zu beschränken. Es mußte nun versucht werden, für diese
Gcgenreform eine Partei zu gewinnen. Die sorgsam ausgestreuten Keime
mußten aufgehen. So wurde denn dem Abgeordnetentage gegenüber, mit dem
die Nationalpartei eben ihren Stand zu befestigen suchte, eine großdeutsche Ver¬
sammlung auf Ende October nach der Bundeshauptstadt ausgeschrieben.

Indessen hatte der Reformgcdanke auch in der neuen Krise seine .Kraft
bewährt. Es gelang der ihn tragenden Partei auf ihren Zusammenkünften in
Weimar und in Koburg, aus der unhaltbar gewordenen alten in eine neue feste
und durch ihre eigene Stärke auch allein zu behauptende Stellung überzutreten.
Sie verlor nicht blos nicht an Terrain und Mannschaft, sondern sie verstärkte
sich noch durch den nunmehr rückhaltlos erfolgenden Anschluß der bisher scheu
zurückhaltender schwäbischen Fortschrittspartei. Für die großdeutsche Versamm¬
lung war dies ein schwerer Schlag. Sie büßte damit die Aussicht ein, durch
Hinzutritt eines so entschieden und, anerkannt liberalen Körpers ihre im All¬
gemeinen sehr dunkle politische Farbe zeitgemäß zu erhellen. Als eS feststand,
daß von der würtembergischen Demokratie höchstens ein versprengtes schwaches
Häuflein in Frankfurt erscheinen werde, zog sich auch der größte Theil der
Oestreicher vorsichtig zurück. Der Versuch war .offenbar mißglückt, die neue
Partei zu annähernd gleichen Hälften aus Conservativen und Demokraten zu¬
sammenzusetzen. Der so leidenschaftlich geübte Hohn gegen die Kleindeutschen
fiel jetzt auf die angeblichen Großdeuischen zurück, die trotz ihres Gegensatzes zu
dem Weimarer Tage über den Kreis der Abgeordneten hinausgreifen mußten,
um aus Preußen, Kurhessen und ein paar andern Staaten nur überhaupt Zuzug
zu erhalten, und deren Versammlung auch dann noch so vorwiegend aus ein¬
zelnen Gegenden von Deutschland beschickt wurde, daß sie sich in dieser
Beziehung zum Nationalverein ungefähr verhalten wie Bayern zu Preußen.

Ein Blick auf die Mitgliederliste weist dies sogleich näher nach. Zwar


garnen sich die östreichischen Sympathien und die grvßdeutscken Tendenzen im
westlichen Deutschland immer kräftiger zu regen. Auf dem deutschen Schützen¬
fest hatten beide vor ihren natürlichen Gegensätzen einen gewissen Vorsprung
voraus. Die Künstlerversammlung in Salzburg und der Juristentag in Wien
wurden nicht ohne einigen Erfolg dazu benutzt, um die Blicke des deutschen
Volks auf Herrn v. Schmerling, als aus seinen dereinstigen Retter aus Ohn¬
macht und Niedrigkeit zu lenken. Den identischen Noten, die im Frühjahr die
rein theoretischen Rcsormideen Preußens so trotzig zurückgewiesen hatten, folgte
im Sommer ein Antrag Oestreichs und seiner Genossen beim Bundestage, der
eine praktische Gegenreform in Aussicht nahm. War das Angebot im Vergleich
zu den Forderungen der Nation auch lächerlich gering, so schien es doch immer¬
hin eine Art von Anfang zur Reform der Bundesverfassung, die Preußen sich
begnügte als verbesserungsbedürftig anzuerkennen und in ihren Lebensäuße¬
rungen möglichst eng zu beschränken. Es mußte nun versucht werden, für diese
Gcgenreform eine Partei zu gewinnen. Die sorgsam ausgestreuten Keime
mußten aufgehen. So wurde denn dem Abgeordnetentage gegenüber, mit dem
die Nationalpartei eben ihren Stand zu befestigen suchte, eine großdeutsche Ver¬
sammlung auf Ende October nach der Bundeshauptstadt ausgeschrieben.

Indessen hatte der Reformgcdanke auch in der neuen Krise seine .Kraft
bewährt. Es gelang der ihn tragenden Partei auf ihren Zusammenkünften in
Weimar und in Koburg, aus der unhaltbar gewordenen alten in eine neue feste
und durch ihre eigene Stärke auch allein zu behauptende Stellung überzutreten.
Sie verlor nicht blos nicht an Terrain und Mannschaft, sondern sie verstärkte
sich noch durch den nunmehr rückhaltlos erfolgenden Anschluß der bisher scheu
zurückhaltender schwäbischen Fortschrittspartei. Für die großdeutsche Versamm¬
lung war dies ein schwerer Schlag. Sie büßte damit die Aussicht ein, durch
Hinzutritt eines so entschieden und, anerkannt liberalen Körpers ihre im All¬
gemeinen sehr dunkle politische Farbe zeitgemäß zu erhellen. Als eS feststand,
daß von der würtembergischen Demokratie höchstens ein versprengtes schwaches
Häuflein in Frankfurt erscheinen werde, zog sich auch der größte Theil der
Oestreicher vorsichtig zurück. Der Versuch war .offenbar mißglückt, die neue
Partei zu annähernd gleichen Hälften aus Conservativen und Demokraten zu¬
sammenzusetzen. Der so leidenschaftlich geübte Hohn gegen die Kleindeutschen
fiel jetzt auf die angeblichen Großdeuischen zurück, die trotz ihres Gegensatzes zu
dem Weimarer Tage über den Kreis der Abgeordneten hinausgreifen mußten,
um aus Preußen, Kurhessen und ein paar andern Staaten nur überhaupt Zuzug
zu erhalten, und deren Versammlung auch dann noch so vorwiegend aus ein¬
zelnen Gegenden von Deutschland beschickt wurde, daß sie sich in dieser
Beziehung zum Nationalverein ungefähr verhalten wie Bayern zu Preußen.

Ein Blick auf die Mitgliederliste weist dies sogleich näher nach. Zwar


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/250>, abgerufen am 27.09.2024.