Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbstbiographie recht geben müssen, daß diese Anklage in allen übrigen Stücken
unbegründet war. Absichtlich gegen die Willensmeinung Friedrich Wilhelms
des Vierten zu handeln war damals sehr schwer, ja geradezu unmöglich. Wie
man überhaupt nur in seltenen Fällen mit Sicherheit erfuhr, welcher Ansicht
der König eigentlich huldigte, und wie man selbst in solchen Fällen keine
Garantie für die nächste Zukunft hatte, so war man in jenem traurigen Früh¬
jahr von 1848 noch viel unsicherer über die augenblicklichen Intentionen des¬
selben. Der Liberalismus Willisens aber war sehr gemäßigter Art. Er ver¬
kannte die Schattenseiten der französischen Revolutionen von 1830 und 1848
nicht, war ein entschiedener Gegner der constituirenden Nationalversammlung
und des allgemeinen Stimmrechts und hatte dies offen kundgegeben > als Graf
Arnim dahin gerichteten Forderungen bereitwilligst nachgab, er wollte endlich nichts
als den Vereinigten Landtag mit erweiterten Rechten und einem bessern Wahlgesetz.

Wir lassen nun wieder die Selbstbiographie sprechen.

"Es ist aus der Schrift: Acten und Bemerkungen zu ersehen, daß Colomb
ganz das Gegentheil von dem that, was das Ministerium ihm befohlen. Der
Zusammenstoß mit den Polen war nicht möglich, wenn er nach diesen Weisungen
handele. Wie die Nachrichten von den Begebenheiten bei Adelnau, Raczkow
und Xions nach Berlin kamen, gingen mir die Augen auf, und ich war
außer mir. Ich trieb, so viel ich konnte, daß Jemand hingeschickt würde,
der mit voller Autorität die Sache in die Hand nehmen könnte. Natzmer und
Krauseneck hatten abgelehnt, Pfuel hatte angenommen, aber trotz meines Drän¬
gens ließ man ihn nicht eher abreisen, als bis es zu spät war. Nach den
blutigen Tagen von Xions und Mieloslaw hielt ich natürlich meine Aufgabe
für völlig beseitigt und wollte nun zurücktreten und wieder nach Breslau
gehen." --

"Mancherlei Ministercombinationen tauchten zwar auf, in denen ich eine
Rolle spielen sollte, da man mit dem Grasen Canitz als Kriegsminister sehr
unzufrieden war. Wie oft drückte man mir sein Bedauern aus, daß ich mich
als Russenseind für diesen Posten unmöglich gemacht. Ich wurde gefragt, ob
ich unter Below als Kriegsminister die Stelle eines Chefs des Generalstabs
annehmen würde, und es schien mir kein Anlaß vorhanden, dies abzulehnen.
Da kam plötzlich das erste Zeichen der entschiedensten Ungnade. Die Magde¬
burger Division war vacant geworden, und man überging mich, um sie meinem
Hintermann Hirschfeld zu geben. Ich schrieb augenblicklich an den Kriegs¬
minister und bat um meinen Abschied, wenn das heißen solle, man wolle mir
keine Division zutheilen. Darauf erhielt ich die Antwort, daß dies nicht so
gemeint sei. Der König habe meinem Hintermann die Division gegeben, weil,
so lange mein Verhältniß zur posener Angelegenheit dauere, mir nicht gut eine
andere Stellung angewiesen werden könne. Dies beruhigte mich um so mehr


Selbstbiographie recht geben müssen, daß diese Anklage in allen übrigen Stücken
unbegründet war. Absichtlich gegen die Willensmeinung Friedrich Wilhelms
des Vierten zu handeln war damals sehr schwer, ja geradezu unmöglich. Wie
man überhaupt nur in seltenen Fällen mit Sicherheit erfuhr, welcher Ansicht
der König eigentlich huldigte, und wie man selbst in solchen Fällen keine
Garantie für die nächste Zukunft hatte, so war man in jenem traurigen Früh¬
jahr von 1848 noch viel unsicherer über die augenblicklichen Intentionen des¬
selben. Der Liberalismus Willisens aber war sehr gemäßigter Art. Er ver¬
kannte die Schattenseiten der französischen Revolutionen von 1830 und 1848
nicht, war ein entschiedener Gegner der constituirenden Nationalversammlung
und des allgemeinen Stimmrechts und hatte dies offen kundgegeben > als Graf
Arnim dahin gerichteten Forderungen bereitwilligst nachgab, er wollte endlich nichts
als den Vereinigten Landtag mit erweiterten Rechten und einem bessern Wahlgesetz.

Wir lassen nun wieder die Selbstbiographie sprechen.

„Es ist aus der Schrift: Acten und Bemerkungen zu ersehen, daß Colomb
ganz das Gegentheil von dem that, was das Ministerium ihm befohlen. Der
Zusammenstoß mit den Polen war nicht möglich, wenn er nach diesen Weisungen
handele. Wie die Nachrichten von den Begebenheiten bei Adelnau, Raczkow
und Xions nach Berlin kamen, gingen mir die Augen auf, und ich war
außer mir. Ich trieb, so viel ich konnte, daß Jemand hingeschickt würde,
der mit voller Autorität die Sache in die Hand nehmen könnte. Natzmer und
Krauseneck hatten abgelehnt, Pfuel hatte angenommen, aber trotz meines Drän¬
gens ließ man ihn nicht eher abreisen, als bis es zu spät war. Nach den
blutigen Tagen von Xions und Mieloslaw hielt ich natürlich meine Aufgabe
für völlig beseitigt und wollte nun zurücktreten und wieder nach Breslau
gehen." —

„Mancherlei Ministercombinationen tauchten zwar auf, in denen ich eine
Rolle spielen sollte, da man mit dem Grasen Canitz als Kriegsminister sehr
unzufrieden war. Wie oft drückte man mir sein Bedauern aus, daß ich mich
als Russenseind für diesen Posten unmöglich gemacht. Ich wurde gefragt, ob
ich unter Below als Kriegsminister die Stelle eines Chefs des Generalstabs
annehmen würde, und es schien mir kein Anlaß vorhanden, dies abzulehnen.
Da kam plötzlich das erste Zeichen der entschiedensten Ungnade. Die Magde¬
burger Division war vacant geworden, und man überging mich, um sie meinem
Hintermann Hirschfeld zu geben. Ich schrieb augenblicklich an den Kriegs¬
minister und bat um meinen Abschied, wenn das heißen solle, man wolle mir
keine Division zutheilen. Darauf erhielt ich die Antwort, daß dies nicht so
gemeint sei. Der König habe meinem Hintermann die Division gegeben, weil,
so lange mein Verhältniß zur posener Angelegenheit dauere, mir nicht gut eine
andere Stellung angewiesen werden könne. Dies beruhigte mich um so mehr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115054"/>
            <p xml:id="ID_619" prev="#ID_618"> Selbstbiographie recht geben müssen, daß diese Anklage in allen übrigen Stücken<lb/>
unbegründet war. Absichtlich gegen die Willensmeinung Friedrich Wilhelms<lb/>
des Vierten zu handeln war damals sehr schwer, ja geradezu unmöglich. Wie<lb/>
man überhaupt nur in seltenen Fällen mit Sicherheit erfuhr, welcher Ansicht<lb/>
der König eigentlich huldigte, und wie man selbst in solchen Fällen keine<lb/>
Garantie für die nächste Zukunft hatte, so war man in jenem traurigen Früh¬<lb/>
jahr von 1848 noch viel unsicherer über die augenblicklichen Intentionen des¬<lb/>
selben. Der Liberalismus Willisens aber war sehr gemäßigter Art. Er ver¬<lb/>
kannte die Schattenseiten der französischen Revolutionen von 1830 und 1848<lb/>
nicht, war ein entschiedener Gegner der constituirenden Nationalversammlung<lb/>
und des allgemeinen Stimmrechts und hatte dies offen kundgegeben &gt; als Graf<lb/>
Arnim dahin gerichteten Forderungen bereitwilligst nachgab, er wollte endlich nichts<lb/>
als den Vereinigten Landtag mit erweiterten Rechten und einem bessern Wahlgesetz.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_620"> Wir lassen nun wieder die Selbstbiographie sprechen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_621"> &#x201E;Es ist aus der Schrift: Acten und Bemerkungen zu ersehen, daß Colomb<lb/>
ganz das Gegentheil von dem that, was das Ministerium ihm befohlen. Der<lb/>
Zusammenstoß mit den Polen war nicht möglich, wenn er nach diesen Weisungen<lb/>
handele. Wie die Nachrichten von den Begebenheiten bei Adelnau, Raczkow<lb/>
und Xions nach Berlin kamen, gingen mir die Augen auf, und ich war<lb/>
außer mir. Ich trieb, so viel ich konnte, daß Jemand hingeschickt würde,<lb/>
der mit voller Autorität die Sache in die Hand nehmen könnte. Natzmer und<lb/>
Krauseneck hatten abgelehnt, Pfuel hatte angenommen, aber trotz meines Drän¬<lb/>
gens ließ man ihn nicht eher abreisen, als bis es zu spät war. Nach den<lb/>
blutigen Tagen von Xions und Mieloslaw hielt ich natürlich meine Aufgabe<lb/>
für völlig beseitigt und wollte nun zurücktreten und wieder nach Breslau<lb/>
gehen." &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_622" next="#ID_623"> &#x201E;Mancherlei Ministercombinationen tauchten zwar auf, in denen ich eine<lb/>
Rolle spielen sollte, da man mit dem Grasen Canitz als Kriegsminister sehr<lb/>
unzufrieden war. Wie oft drückte man mir sein Bedauern aus, daß ich mich<lb/>
als Russenseind für diesen Posten unmöglich gemacht. Ich wurde gefragt, ob<lb/>
ich unter Below als Kriegsminister die Stelle eines Chefs des Generalstabs<lb/>
annehmen würde, und es schien mir kein Anlaß vorhanden, dies abzulehnen.<lb/>
Da kam plötzlich das erste Zeichen der entschiedensten Ungnade. Die Magde¬<lb/>
burger Division war vacant geworden, und man überging mich, um sie meinem<lb/>
Hintermann Hirschfeld zu geben. Ich schrieb augenblicklich an den Kriegs¬<lb/>
minister und bat um meinen Abschied, wenn das heißen solle, man wolle mir<lb/>
keine Division zutheilen. Darauf erhielt ich die Antwort, daß dies nicht so<lb/>
gemeint sei. Der König habe meinem Hintermann die Division gegeben, weil,<lb/>
so lange mein Verhältniß zur posener Angelegenheit dauere, mir nicht gut eine<lb/>
andere Stellung angewiesen werden könne. Dies beruhigte mich um so mehr</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Selbstbiographie recht geben müssen, daß diese Anklage in allen übrigen Stücken unbegründet war. Absichtlich gegen die Willensmeinung Friedrich Wilhelms des Vierten zu handeln war damals sehr schwer, ja geradezu unmöglich. Wie man überhaupt nur in seltenen Fällen mit Sicherheit erfuhr, welcher Ansicht der König eigentlich huldigte, und wie man selbst in solchen Fällen keine Garantie für die nächste Zukunft hatte, so war man in jenem traurigen Früh¬ jahr von 1848 noch viel unsicherer über die augenblicklichen Intentionen des¬ selben. Der Liberalismus Willisens aber war sehr gemäßigter Art. Er ver¬ kannte die Schattenseiten der französischen Revolutionen von 1830 und 1848 nicht, war ein entschiedener Gegner der constituirenden Nationalversammlung und des allgemeinen Stimmrechts und hatte dies offen kundgegeben > als Graf Arnim dahin gerichteten Forderungen bereitwilligst nachgab, er wollte endlich nichts als den Vereinigten Landtag mit erweiterten Rechten und einem bessern Wahlgesetz. Wir lassen nun wieder die Selbstbiographie sprechen. „Es ist aus der Schrift: Acten und Bemerkungen zu ersehen, daß Colomb ganz das Gegentheil von dem that, was das Ministerium ihm befohlen. Der Zusammenstoß mit den Polen war nicht möglich, wenn er nach diesen Weisungen handele. Wie die Nachrichten von den Begebenheiten bei Adelnau, Raczkow und Xions nach Berlin kamen, gingen mir die Augen auf, und ich war außer mir. Ich trieb, so viel ich konnte, daß Jemand hingeschickt würde, der mit voller Autorität die Sache in die Hand nehmen könnte. Natzmer und Krauseneck hatten abgelehnt, Pfuel hatte angenommen, aber trotz meines Drän¬ gens ließ man ihn nicht eher abreisen, als bis es zu spät war. Nach den blutigen Tagen von Xions und Mieloslaw hielt ich natürlich meine Aufgabe für völlig beseitigt und wollte nun zurücktreten und wieder nach Breslau gehen." — „Mancherlei Ministercombinationen tauchten zwar auf, in denen ich eine Rolle spielen sollte, da man mit dem Grasen Canitz als Kriegsminister sehr unzufrieden war. Wie oft drückte man mir sein Bedauern aus, daß ich mich als Russenseind für diesen Posten unmöglich gemacht. Ich wurde gefragt, ob ich unter Below als Kriegsminister die Stelle eines Chefs des Generalstabs annehmen würde, und es schien mir kein Anlaß vorhanden, dies abzulehnen. Da kam plötzlich das erste Zeichen der entschiedensten Ungnade. Die Magde¬ burger Division war vacant geworden, und man überging mich, um sie meinem Hintermann Hirschfeld zu geben. Ich schrieb augenblicklich an den Kriegs¬ minister und bat um meinen Abschied, wenn das heißen solle, man wolle mir keine Division zutheilen. Darauf erhielt ich die Antwort, daß dies nicht so gemeint sei. Der König habe meinem Hintermann die Division gegeben, weil, so lange mein Verhältniß zur posener Angelegenheit dauere, mir nicht gut eine andere Stellung angewiesen werden könne. Dies beruhigte mich um so mehr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/202>, abgerufen am 27.09.2024.