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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Also hat Hebbel, indem er uns von Anfang an mit befangenen Staunen
emporblicken läßt zu seinen Helden, den Ton angeschlagen, welcher allein die¬
ser Fabel geziemt. Auch daß Hebbel den ganzen Inhalt des Nibelungenliedes
in die dramatische Form umgegossen hat, tonnen wir nur billigen. Denn
wenn man so gern auf die attischen Dramatiker verweist, die nur einzelne
Katastrophen aus der reichen Fülle der homerischen Gedichte sich ausgewählt,
so will diese gelehrte Vergleichung hier nimmermehr passen. Wie Schuld die
Schuld gebiert, dies Fortwirken des Frevels, weiches in der ursprünglichen
Form der Sage, in dem Fluche, den Andwan über das Gold gesprochen, so¬
gar noch schöner ausgedrückt war, bildet recht eigentlich den Kern der Tragik
des Nibelungenliedes. Darum müssen wir sehen, wie Siegfrieds Mörder und
ihr ganzes Geschlecht untergehen; eine Vision, welche dies nur andeutet --
wie in Geibels Brunhild -- kann uns nicht genügen. Wer diesen Stoff dra¬
matisch gestaltet, muß verzichten auf die concentrirte Schönheit des Einzel¬
dramas, er ist gezwungen zur cyklischen Behandlung. Darum ist Hebbel mit
Recht Schritt für Schritt dem Liede gefolgt. Das kurze Vorspiel "der hörnerne
Siegfried" schildert Siegfrieds Einzug bei den Burgunden und endet mit jenem
Vertrage, der Siegfried verpflichtet, um den Preis von Knemhilds Hand
Brunhild für Günther zu gewinnen. In diesem Theile wirkt besonders er¬
greifend die Gestalt Siegfrieds, ein Bild der Heldenjugend, redselig und arg¬
los, froh und hochgemuth. Der zweite Theil, "Siegfrieds Tod", den wir für
den schönsten des Werkes halten, beginnt mit der Werbung bei Brunhild und
endet mit den Flüchen Knemhilds an ihres Gatten Bahre. Der letzte Theil,
"Knemhilds Rache", hebt an mit Etzels Werbung um Kriemhild und schließt
ab mit dem Untergange der Helden. Hier lag die Gefahr nahe, daß in dem
gräßlichen Morden die dramatische Spannung verloren gehe, der große Unter¬
gang nur wie ein episches Ereigniß wirke. Auch diese Klippe hat Hebbel sehr
glücklich umgangen, indem er aus der Noth eine Tugend machte und das Re¬
tardiren selber zur Erhöhung der dramatischen Spannung benutzte. Während
des gesammten dritten und vierten Actes in diesem letzten Theile werden wir
der erdrückenden Angst nicht ledig, wir sehen das Verhängniß nahen und wie¬
der zurückweichen, bis endlich am Schlüsse des vierten Acts Hagen Kriemhildens
Sohn, den kleinen Otilie, ermordet und also das Gastrecht brechend selber das
Verderben herbeiruft, das im fünften Acte schrecklich hereinstürzt.

Diese Eintheilung des Stoffs ist gerade deshalb ein großes künstlerisches
Verdienst, weil der Laie meinen wird, sie verstehe sich von selbst. Sie bietet dem
Dichtet den unschätzbaren Vortheil, daß er, ohne je in undramatische Breite zu
verfallen, den reichen tragischen Gehalt seiner Fabel wirklich erschöpfen kann.
Es gibt einige Stoffe von so unergründlicher tragischer Tiefe, daß sie unserer
Seele bei jeder neuen Betrachtung immer neue und immer ergreifendere Siena-


Also hat Hebbel, indem er uns von Anfang an mit befangenen Staunen
emporblicken läßt zu seinen Helden, den Ton angeschlagen, welcher allein die¬
ser Fabel geziemt. Auch daß Hebbel den ganzen Inhalt des Nibelungenliedes
in die dramatische Form umgegossen hat, tonnen wir nur billigen. Denn
wenn man so gern auf die attischen Dramatiker verweist, die nur einzelne
Katastrophen aus der reichen Fülle der homerischen Gedichte sich ausgewählt,
so will diese gelehrte Vergleichung hier nimmermehr passen. Wie Schuld die
Schuld gebiert, dies Fortwirken des Frevels, weiches in der ursprünglichen
Form der Sage, in dem Fluche, den Andwan über das Gold gesprochen, so¬
gar noch schöner ausgedrückt war, bildet recht eigentlich den Kern der Tragik
des Nibelungenliedes. Darum müssen wir sehen, wie Siegfrieds Mörder und
ihr ganzes Geschlecht untergehen; eine Vision, welche dies nur andeutet —
wie in Geibels Brunhild — kann uns nicht genügen. Wer diesen Stoff dra¬
matisch gestaltet, muß verzichten auf die concentrirte Schönheit des Einzel¬
dramas, er ist gezwungen zur cyklischen Behandlung. Darum ist Hebbel mit
Recht Schritt für Schritt dem Liede gefolgt. Das kurze Vorspiel „der hörnerne
Siegfried" schildert Siegfrieds Einzug bei den Burgunden und endet mit jenem
Vertrage, der Siegfried verpflichtet, um den Preis von Knemhilds Hand
Brunhild für Günther zu gewinnen. In diesem Theile wirkt besonders er¬
greifend die Gestalt Siegfrieds, ein Bild der Heldenjugend, redselig und arg¬
los, froh und hochgemuth. Der zweite Theil, „Siegfrieds Tod", den wir für
den schönsten des Werkes halten, beginnt mit der Werbung bei Brunhild und
endet mit den Flüchen Knemhilds an ihres Gatten Bahre. Der letzte Theil,
„Knemhilds Rache", hebt an mit Etzels Werbung um Kriemhild und schließt
ab mit dem Untergange der Helden. Hier lag die Gefahr nahe, daß in dem
gräßlichen Morden die dramatische Spannung verloren gehe, der große Unter¬
gang nur wie ein episches Ereigniß wirke. Auch diese Klippe hat Hebbel sehr
glücklich umgangen, indem er aus der Noth eine Tugend machte und das Re¬
tardiren selber zur Erhöhung der dramatischen Spannung benutzte. Während
des gesammten dritten und vierten Actes in diesem letzten Theile werden wir
der erdrückenden Angst nicht ledig, wir sehen das Verhängniß nahen und wie¬
der zurückweichen, bis endlich am Schlüsse des vierten Acts Hagen Kriemhildens
Sohn, den kleinen Otilie, ermordet und also das Gastrecht brechend selber das
Verderben herbeiruft, das im fünften Acte schrecklich hereinstürzt.

Diese Eintheilung des Stoffs ist gerade deshalb ein großes künstlerisches
Verdienst, weil der Laie meinen wird, sie verstehe sich von selbst. Sie bietet dem
Dichtet den unschätzbaren Vortheil, daß er, ohne je in undramatische Breite zu
verfallen, den reichen tragischen Gehalt seiner Fabel wirklich erschöpfen kann.
Es gibt einige Stoffe von so unergründlicher tragischer Tiefe, daß sie unserer
Seele bei jeder neuen Betrachtung immer neue und immer ergreifendere Siena-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/183>, abgerufen am 27.09.2024.