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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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es bin." -- Thiers nahm die Angelegenheit allerdings nicht so leicht, wie der
König, konnte jedoch zu einem festen positiven Entschlüsse nicht kommen. Statt
zu handeln blickt er rückwärts, kritisirt und >idelt. Alle Schuld der gegenwär¬
tigen Verwickelung schiebt er auf die Note vom 27. Juli 1839, womit durch,
aus nichts gewonnen war, abgesehen davon, daß diese Ansicht aus einer völlig
einseitigen Auffassung der Dinge beruhte. Guizot bemerkt mit Recht, daß, wenn
sich Frankreich der Note nicht angeschlossen hätte, dies nur die Folge gehabt
haben würde, daß die Jsolirung Frankreichs schon früher eingetreten wäre.
Die Jnstructionen, die Thiers Guizot ertheilt, tragen den der Situation genau
entsprechenden Charakter eines Gemisches von Rathlosigkeit und Vertrauen auf
unhaltbare Voraussetzungen. Guizot solle Zeit gewinnen, sagen, daß das
französische Cabinet durchaus keine absolute Meinung hätte, er solle die Jncon-
venienzen der Politik Lord Palmerstons nachweisen und jeden definitiven Ent¬
schluß verzögern. Sodann solle er sich von jeder gemeinschaftlichen Berathung
mit den vier Mächten fern halten und so das französische Cabinet von den
Banden freimachen, welche die Note vom Juli 1839 ihm auferlegt hätte. Er
selbst wollte sich jedes Versuches, unter der Hand ein directes Arrangement
zwischen der Pforte und dem Pascha zu Stande zu bringen, enthalten. Aber
er hoffte ein solches von dem natürlichen Laufe der Dinge; ja er erwartete,
daß durch ein Hinzögern die Mächte mürbe gemacht werden und sich zu dem
Entschlüsse gedrängt sehen würden, selbst den Status quo zwischen der Pforte
und dem Pascha zu garantiren. Die Naivetät dieser Jnstructionen würde
unbegreiflich sein, wenn man nicht erwägt, daß die Auskunftsmittel der absolu¬
ten Verlegenheit in der Regel so beschaffen sind, daß sie die Verlegenheit nur
steigern, und daß es im Privatleben, wie in der Politik nichts gibt, was so
viel Selbstüberwindung kostet, als eine fixe Idee aufzugeben, wenn man Jahre¬
lang auf dieselbe, wie auf eine Karte, Ehren, Einfluß, Macht, kurz ein ganzes
politisches System gestellt hat.

Der Fehler in Thiers Politik tritt nur um so schärfer hervor dadurch,
daß ein Factor in seiner Berechnung in der That nicht ganz unrichtig war.
Allerdings erweckte die Unbeweglichkeit der Situation in den Vertretern der
Kontinentalmächte ein gewisses Unbehagen, welches aber natürlich nicht soweit
ging, daß sie sich den Standpunkt des französischen Cabinets anzueignen ge¬
neigt waren. Eine Annäherung fand indessen statt. Der Wunsch nach einem
EinVerständniß aller Mächte führte zu dem von dem östreichischen Bevollmäch¬
tigten v. Neumann ausgestellten Plane, Syrien zu theilen und zwar in der
Art. daß Acre an Aegypten fiele. Dieser Concession trat auch, wiewohl mit
Widerstreben und schwerlich aufrichtig und ohne Hintergedanken, Lord Palmer-
ston bei. Darüber aber, und dies blieb der wesentlichste Differenzpunkt Frank¬
reich gegenüber, waren die vier Mächte einig, daß gegen Mehemed Ali im


es bin." — Thiers nahm die Angelegenheit allerdings nicht so leicht, wie der
König, konnte jedoch zu einem festen positiven Entschlüsse nicht kommen. Statt
zu handeln blickt er rückwärts, kritisirt und >idelt. Alle Schuld der gegenwär¬
tigen Verwickelung schiebt er auf die Note vom 27. Juli 1839, womit durch,
aus nichts gewonnen war, abgesehen davon, daß diese Ansicht aus einer völlig
einseitigen Auffassung der Dinge beruhte. Guizot bemerkt mit Recht, daß, wenn
sich Frankreich der Note nicht angeschlossen hätte, dies nur die Folge gehabt
haben würde, daß die Jsolirung Frankreichs schon früher eingetreten wäre.
Die Jnstructionen, die Thiers Guizot ertheilt, tragen den der Situation genau
entsprechenden Charakter eines Gemisches von Rathlosigkeit und Vertrauen auf
unhaltbare Voraussetzungen. Guizot solle Zeit gewinnen, sagen, daß das
französische Cabinet durchaus keine absolute Meinung hätte, er solle die Jncon-
venienzen der Politik Lord Palmerstons nachweisen und jeden definitiven Ent¬
schluß verzögern. Sodann solle er sich von jeder gemeinschaftlichen Berathung
mit den vier Mächten fern halten und so das französische Cabinet von den
Banden freimachen, welche die Note vom Juli 1839 ihm auferlegt hätte. Er
selbst wollte sich jedes Versuches, unter der Hand ein directes Arrangement
zwischen der Pforte und dem Pascha zu Stande zu bringen, enthalten. Aber
er hoffte ein solches von dem natürlichen Laufe der Dinge; ja er erwartete,
daß durch ein Hinzögern die Mächte mürbe gemacht werden und sich zu dem
Entschlüsse gedrängt sehen würden, selbst den Status quo zwischen der Pforte
und dem Pascha zu garantiren. Die Naivetät dieser Jnstructionen würde
unbegreiflich sein, wenn man nicht erwägt, daß die Auskunftsmittel der absolu¬
ten Verlegenheit in der Regel so beschaffen sind, daß sie die Verlegenheit nur
steigern, und daß es im Privatleben, wie in der Politik nichts gibt, was so
viel Selbstüberwindung kostet, als eine fixe Idee aufzugeben, wenn man Jahre¬
lang auf dieselbe, wie auf eine Karte, Ehren, Einfluß, Macht, kurz ein ganzes
politisches System gestellt hat.

Der Fehler in Thiers Politik tritt nur um so schärfer hervor dadurch,
daß ein Factor in seiner Berechnung in der That nicht ganz unrichtig war.
Allerdings erweckte die Unbeweglichkeit der Situation in den Vertretern der
Kontinentalmächte ein gewisses Unbehagen, welches aber natürlich nicht soweit
ging, daß sie sich den Standpunkt des französischen Cabinets anzueignen ge¬
neigt waren. Eine Annäherung fand indessen statt. Der Wunsch nach einem
EinVerständniß aller Mächte führte zu dem von dem östreichischen Bevollmäch¬
tigten v. Neumann ausgestellten Plane, Syrien zu theilen und zwar in der
Art. daß Acre an Aegypten fiele. Dieser Concession trat auch, wiewohl mit
Widerstreben und schwerlich aufrichtig und ohne Hintergedanken, Lord Palmer-
ston bei. Darüber aber, und dies blieb der wesentlichste Differenzpunkt Frank¬
reich gegenüber, waren die vier Mächte einig, daß gegen Mehemed Ali im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/13>, abgerufen am 27.09.2024.