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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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kommenden Geschlechts in ihr sich schwellend regte, dem seine Nachfolger über
kurz oder lang nicht mehr gewachsen sein würden, und verordnete darum, die
Gesetze gegen geheime Verbindungen sollten auf die Burschenschaft insbe¬
sondere ausgedehnt werden, weil diese die "schlechterdings unzulässige Voraus¬
setzung" einer fortdauernden Gemeinschaft der verschiedenen Universitäten in
Deutschland unterhielte. Anfangs zwar richtete sich der Eifer, wenigstens in
der Theorie gegen das noch heute bestehende Schlechte wie gegen das Gute,
dem er vor Allem galt. Wir können uns noch jetzt die Besorgnisse des . Prä¬
sidialgutachtens an den Bundestag aneignen, wenn es vor den Folgen warnt,
die entstehen müssen, wenn der Student "sich selbst in einem Ausnahmegesetze
begriffen wähnt, welches ihn über Lohn und Strafe erhebt" u. s. w. Bald
aber fühlte man, daß man den natürlichen Trieb nach Freiheitsgefühl nicht
ganz ersticken konnte, und gab ihm zum Ersatz für die entzogene edlere Ent¬
faltung die rohe äußerliche Ungebundenheit als nützliche Ableitung in vollem
Maße und begünstigte sie seitdem stets.

Dies führt uns zu den Corps, die von Allen, welche den alten Schlendrian
auf den Universitäten lieben, vor Allem von den Regierungen, welche in ihnen
ein Mittel der Abstumpfung jeder wahrhaft freien geistigen Regung erblicken,
stets gehegt und gepflegt werden. In der That repräsentiren sie auch am
vollkommensten den privilegirten, jeder gemeinen Rechtsgleichheit Hohn sprechen¬
den Zustand der akademischen Freiheit, dem, wie oben besprochen, der eximirte
Gerichtsstand zur sichern Grundlage dient. Ein gutmüthiger Prorector, der
zugleich ein großes Kirchenlicht in seinem Lande war, feierte die Corps seiner
Universität, als sie ihm einen Fackelzug gebracht hatten, in salbungsvoller
Rede als "die> Vertreter einer altehrwürdigen Tradition". Das Alter macht
aber nur den ehrwürdig, der in der Jugend Ehre verdient hat, und die große
Vergangenheit kennen wir besser, als deren würdige Neste jetzt die Corps noch
dastehen. Die deutschen Universitäten verdanken bekanntlich zu einem großen
Theile ihr Dasein und fast durchgängig ihre eigenthümlichen Lebensformen dem
siebzehnten Jahrhundert, der Zeit der tiefsten geistigen und sittlichen Versunken-,
heit der Nation, und wenn auch der Geist, der in ihnen lebendig geworden
ist, viel dazu beigetragen hat, aus diesem Ruin neues Leben zu erwecken, so
klebt doch allen alten Formen, welche sie selbst beibehalten haben, der Mangel
der alten Erniedrigung noch an. Insbesondere weiß man, daß der Geist der
akademischen Genossenschaften in den beiden vorigen Jahrhunderten, als deren
Nachfolger sich die Corps mit Recht betrachten, der letzte Ausläufer der traurigsten
Entartung nationaler Kraftfülle, des LandskneclMhums ist, welches nach dem
dreißigjährigen Kriege tonangebend war. Diesen Ton beibehalten zu haben, wäh¬
rend er sonst verschollen ist. namentlich beim Militär, von traurigen Ausnahme-
s allen abgesehen, einem edleren Standesbewußtsein Platz gemacht hat, ist der


kommenden Geschlechts in ihr sich schwellend regte, dem seine Nachfolger über
kurz oder lang nicht mehr gewachsen sein würden, und verordnete darum, die
Gesetze gegen geheime Verbindungen sollten auf die Burschenschaft insbe¬
sondere ausgedehnt werden, weil diese die „schlechterdings unzulässige Voraus¬
setzung" einer fortdauernden Gemeinschaft der verschiedenen Universitäten in
Deutschland unterhielte. Anfangs zwar richtete sich der Eifer, wenigstens in
der Theorie gegen das noch heute bestehende Schlechte wie gegen das Gute,
dem er vor Allem galt. Wir können uns noch jetzt die Besorgnisse des . Prä¬
sidialgutachtens an den Bundestag aneignen, wenn es vor den Folgen warnt,
die entstehen müssen, wenn der Student „sich selbst in einem Ausnahmegesetze
begriffen wähnt, welches ihn über Lohn und Strafe erhebt" u. s. w. Bald
aber fühlte man, daß man den natürlichen Trieb nach Freiheitsgefühl nicht
ganz ersticken konnte, und gab ihm zum Ersatz für die entzogene edlere Ent¬
faltung die rohe äußerliche Ungebundenheit als nützliche Ableitung in vollem
Maße und begünstigte sie seitdem stets.

Dies führt uns zu den Corps, die von Allen, welche den alten Schlendrian
auf den Universitäten lieben, vor Allem von den Regierungen, welche in ihnen
ein Mittel der Abstumpfung jeder wahrhaft freien geistigen Regung erblicken,
stets gehegt und gepflegt werden. In der That repräsentiren sie auch am
vollkommensten den privilegirten, jeder gemeinen Rechtsgleichheit Hohn sprechen¬
den Zustand der akademischen Freiheit, dem, wie oben besprochen, der eximirte
Gerichtsstand zur sichern Grundlage dient. Ein gutmüthiger Prorector, der
zugleich ein großes Kirchenlicht in seinem Lande war, feierte die Corps seiner
Universität, als sie ihm einen Fackelzug gebracht hatten, in salbungsvoller
Rede als „die> Vertreter einer altehrwürdigen Tradition". Das Alter macht
aber nur den ehrwürdig, der in der Jugend Ehre verdient hat, und die große
Vergangenheit kennen wir besser, als deren würdige Neste jetzt die Corps noch
dastehen. Die deutschen Universitäten verdanken bekanntlich zu einem großen
Theile ihr Dasein und fast durchgängig ihre eigenthümlichen Lebensformen dem
siebzehnten Jahrhundert, der Zeit der tiefsten geistigen und sittlichen Versunken-,
heit der Nation, und wenn auch der Geist, der in ihnen lebendig geworden
ist, viel dazu beigetragen hat, aus diesem Ruin neues Leben zu erwecken, so
klebt doch allen alten Formen, welche sie selbst beibehalten haben, der Mangel
der alten Erniedrigung noch an. Insbesondere weiß man, daß der Geist der
akademischen Genossenschaften in den beiden vorigen Jahrhunderten, als deren
Nachfolger sich die Corps mit Recht betrachten, der letzte Ausläufer der traurigsten
Entartung nationaler Kraftfülle, des LandskneclMhums ist, welches nach dem
dreißigjährigen Kriege tonangebend war. Diesen Ton beibehalten zu haben, wäh¬
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[0119] kommenden Geschlechts in ihr sich schwellend regte, dem seine Nachfolger über kurz oder lang nicht mehr gewachsen sein würden, und verordnete darum, die Gesetze gegen geheime Verbindungen sollten auf die Burschenschaft insbe¬ sondere ausgedehnt werden, weil diese die „schlechterdings unzulässige Voraus¬ setzung" einer fortdauernden Gemeinschaft der verschiedenen Universitäten in Deutschland unterhielte. Anfangs zwar richtete sich der Eifer, wenigstens in der Theorie gegen das noch heute bestehende Schlechte wie gegen das Gute, dem er vor Allem galt. Wir können uns noch jetzt die Besorgnisse des . Prä¬ sidialgutachtens an den Bundestag aneignen, wenn es vor den Folgen warnt, die entstehen müssen, wenn der Student „sich selbst in einem Ausnahmegesetze begriffen wähnt, welches ihn über Lohn und Strafe erhebt" u. s. w. Bald aber fühlte man, daß man den natürlichen Trieb nach Freiheitsgefühl nicht ganz ersticken konnte, und gab ihm zum Ersatz für die entzogene edlere Ent¬ faltung die rohe äußerliche Ungebundenheit als nützliche Ableitung in vollem Maße und begünstigte sie seitdem stets. Dies führt uns zu den Corps, die von Allen, welche den alten Schlendrian auf den Universitäten lieben, vor Allem von den Regierungen, welche in ihnen ein Mittel der Abstumpfung jeder wahrhaft freien geistigen Regung erblicken, stets gehegt und gepflegt werden. In der That repräsentiren sie auch am vollkommensten den privilegirten, jeder gemeinen Rechtsgleichheit Hohn sprechen¬ den Zustand der akademischen Freiheit, dem, wie oben besprochen, der eximirte Gerichtsstand zur sichern Grundlage dient. Ein gutmüthiger Prorector, der zugleich ein großes Kirchenlicht in seinem Lande war, feierte die Corps seiner Universität, als sie ihm einen Fackelzug gebracht hatten, in salbungsvoller Rede als „die> Vertreter einer altehrwürdigen Tradition". Das Alter macht aber nur den ehrwürdig, der in der Jugend Ehre verdient hat, und die große Vergangenheit kennen wir besser, als deren würdige Neste jetzt die Corps noch dastehen. Die deutschen Universitäten verdanken bekanntlich zu einem großen Theile ihr Dasein und fast durchgängig ihre eigenthümlichen Lebensformen dem siebzehnten Jahrhundert, der Zeit der tiefsten geistigen und sittlichen Versunken-, heit der Nation, und wenn auch der Geist, der in ihnen lebendig geworden ist, viel dazu beigetragen hat, aus diesem Ruin neues Leben zu erwecken, so klebt doch allen alten Formen, welche sie selbst beibehalten haben, der Mangel der alten Erniedrigung noch an. Insbesondere weiß man, daß der Geist der akademischen Genossenschaften in den beiden vorigen Jahrhunderten, als deren Nachfolger sich die Corps mit Recht betrachten, der letzte Ausläufer der traurigsten Entartung nationaler Kraftfülle, des LandskneclMhums ist, welches nach dem dreißigjährigen Kriege tonangebend war. Diesen Ton beibehalten zu haben, wäh¬ rend er sonst verschollen ist. namentlich beim Militär, von traurigen Ausnahme- s allen abgesehen, einem edleren Standesbewußtsein Platz gemacht hat, ist der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/119>, abgerufen am 27.09.2024.