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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Landes sind aber von 1821 an wenig mehr an die Person Bolivars gebunden.
Vielmehr wandte es sich, durch dessen Pläne in seinen Interessen bedroht, zu¬
letzt mit Haß und Erbitterung von ihm ab. Es war mitten im Kriege, als
der Congreß von Angostura I8ü>, mehr ein Kriegsrath, dem Einflüsse seines
überlegenen Geistes nachgebend, die Centralrepuölik ColunUnen gründete, deren
sehr freisinnige Verfassung dann der Congreß von Rosario de Cucuta 1821
ausarbeitete. Aber dieser Staat war eine Mißgeburt. Ohne positive Basis,
verdankte er seine Gründung der Nothwendigkeit, gegenüber den disciplinirten
und lange Zeit übermächtigen spanischen Truppen die Kräfte möglichst zu ver¬
einigen. Er stritt vor allem gegen die Configuration des Bodens. Denn in Län¬
dern, die theils von hohen Kordilleren durchzogen, theils die Hälfte des Jahres
in den Ebenen überschwemmt sind; bei Entfernungen, die aus Mangel an
Wegen und leichten Beförderungsmitteln für eine Depesche von der Hauptstadt
Bogota nach Caracas damals mehr Zeit forderten, als von da nach Enropa:
wie ist da Centralisation möglich? Die unstete Natur jener Völker ist ein zweites,
ebenso wichtiges Moment. Die Erfahrung der letzten 28 Jahre lehrt, daß
diese Staaten auch in ihrer jetzigen Gestalt noch zu ausgedehnt sind, um den
Regierungen und betreffenden Hauptstädten vor Jnsurrectionen entfernter Pro¬
vinzen Sicherheit zu geben. Und dazu welches Monstrum die Verfassung von
Eucuta! Mit ihrem vierjährigen Präsidenten, ihren periodisch wiederkehrenden
Congreßwahlen auf breitester Basis und ihren übrigen durchaus demokratischen
Formen! Diese Verfassung, völlig in die Luft gebaut, hat auch nie und nir¬
gend Ansehn erlaugt; auch der scharfblickende und gegenüber all den anar¬
chischen Elementen nothwendig despotische Bolivar war ihr von Anfang an
feindlich gesinnt. Insonderheit sträubte sich gleich von vornherein das Interesse
des zur Provinz degradirten Venezuela gegen eine rückhaltlose Annahme.
Direkter von den Schwingungen des Weltverkehrs berührt, im Besitze trefflicher
Häfen, leichter Verbindungslinien mit den Bildungsländcrn, in unmittelbarer
Nähe der Antillen -- wurde es schneller auf die Bahn des materiellen Fort¬
schrittes gelenkt und war durch Überlegenheit an Bildung, Handelsverkehr
und Industrie auf einen selbstständigen politischen Gang angewiesen.

Die Geschichte Kolumbiens von 1821 an ist auf dem Boden Neugrana-
das und Quitos ein Labyrinth von Anarchie, Meuterei, Verschwörung, welche
nnr der rastlose Geist Bolivars mit eiserner Kraft zu bannen verstand, bis er
plötzlich mit seiner Schöpfung auch äußerlich zu Grunde ging. Der Schau¬
platz seiner großartigen.Thätigkeit von 1821 um war Quito und der weitere
Süden. Nachdem er Peru und Bolivia den bolivianischen Codex mit seinem
lebenslänglichen, unverletzlichen und seinen Nachfolger zu ernennen ermächtig¬
ten Präsidenten aufgezwungen, kehrte er sieggekrönt I82<! mit gleichen Absichten
nach Columbien zurück. Die Unruhen daselbst boten willkommnen Anlaß, die


Landes sind aber von 1821 an wenig mehr an die Person Bolivars gebunden.
Vielmehr wandte es sich, durch dessen Pläne in seinen Interessen bedroht, zu¬
letzt mit Haß und Erbitterung von ihm ab. Es war mitten im Kriege, als
der Congreß von Angostura I8ü>, mehr ein Kriegsrath, dem Einflüsse seines
überlegenen Geistes nachgebend, die Centralrepuölik ColunUnen gründete, deren
sehr freisinnige Verfassung dann der Congreß von Rosario de Cucuta 1821
ausarbeitete. Aber dieser Staat war eine Mißgeburt. Ohne positive Basis,
verdankte er seine Gründung der Nothwendigkeit, gegenüber den disciplinirten
und lange Zeit übermächtigen spanischen Truppen die Kräfte möglichst zu ver¬
einigen. Er stritt vor allem gegen die Configuration des Bodens. Denn in Län¬
dern, die theils von hohen Kordilleren durchzogen, theils die Hälfte des Jahres
in den Ebenen überschwemmt sind; bei Entfernungen, die aus Mangel an
Wegen und leichten Beförderungsmitteln für eine Depesche von der Hauptstadt
Bogota nach Caracas damals mehr Zeit forderten, als von da nach Enropa:
wie ist da Centralisation möglich? Die unstete Natur jener Völker ist ein zweites,
ebenso wichtiges Moment. Die Erfahrung der letzten 28 Jahre lehrt, daß
diese Staaten auch in ihrer jetzigen Gestalt noch zu ausgedehnt sind, um den
Regierungen und betreffenden Hauptstädten vor Jnsurrectionen entfernter Pro¬
vinzen Sicherheit zu geben. Und dazu welches Monstrum die Verfassung von
Eucuta! Mit ihrem vierjährigen Präsidenten, ihren periodisch wiederkehrenden
Congreßwahlen auf breitester Basis und ihren übrigen durchaus demokratischen
Formen! Diese Verfassung, völlig in die Luft gebaut, hat auch nie und nir¬
gend Ansehn erlaugt; auch der scharfblickende und gegenüber all den anar¬
chischen Elementen nothwendig despotische Bolivar war ihr von Anfang an
feindlich gesinnt. Insonderheit sträubte sich gleich von vornherein das Interesse
des zur Provinz degradirten Venezuela gegen eine rückhaltlose Annahme.
Direkter von den Schwingungen des Weltverkehrs berührt, im Besitze trefflicher
Häfen, leichter Verbindungslinien mit den Bildungsländcrn, in unmittelbarer
Nähe der Antillen — wurde es schneller auf die Bahn des materiellen Fort¬
schrittes gelenkt und war durch Überlegenheit an Bildung, Handelsverkehr
und Industrie auf einen selbstständigen politischen Gang angewiesen.

Die Geschichte Kolumbiens von 1821 an ist auf dem Boden Neugrana-
das und Quitos ein Labyrinth von Anarchie, Meuterei, Verschwörung, welche
nnr der rastlose Geist Bolivars mit eiserner Kraft zu bannen verstand, bis er
plötzlich mit seiner Schöpfung auch äußerlich zu Grunde ging. Der Schau¬
platz seiner großartigen.Thätigkeit von 1821 um war Quito und der weitere
Süden. Nachdem er Peru und Bolivia den bolivianischen Codex mit seinem
lebenslänglichen, unverletzlichen und seinen Nachfolger zu ernennen ermächtig¬
ten Präsidenten aufgezwungen, kehrte er sieggekrönt I82<! mit gleichen Absichten
nach Columbien zurück. Die Unruhen daselbst boten willkommnen Anlaß, die


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[0396] Landes sind aber von 1821 an wenig mehr an die Person Bolivars gebunden. Vielmehr wandte es sich, durch dessen Pläne in seinen Interessen bedroht, zu¬ letzt mit Haß und Erbitterung von ihm ab. Es war mitten im Kriege, als der Congreß von Angostura I8ü>, mehr ein Kriegsrath, dem Einflüsse seines überlegenen Geistes nachgebend, die Centralrepuölik ColunUnen gründete, deren sehr freisinnige Verfassung dann der Congreß von Rosario de Cucuta 1821 ausarbeitete. Aber dieser Staat war eine Mißgeburt. Ohne positive Basis, verdankte er seine Gründung der Nothwendigkeit, gegenüber den disciplinirten und lange Zeit übermächtigen spanischen Truppen die Kräfte möglichst zu ver¬ einigen. Er stritt vor allem gegen die Configuration des Bodens. Denn in Län¬ dern, die theils von hohen Kordilleren durchzogen, theils die Hälfte des Jahres in den Ebenen überschwemmt sind; bei Entfernungen, die aus Mangel an Wegen und leichten Beförderungsmitteln für eine Depesche von der Hauptstadt Bogota nach Caracas damals mehr Zeit forderten, als von da nach Enropa: wie ist da Centralisation möglich? Die unstete Natur jener Völker ist ein zweites, ebenso wichtiges Moment. Die Erfahrung der letzten 28 Jahre lehrt, daß diese Staaten auch in ihrer jetzigen Gestalt noch zu ausgedehnt sind, um den Regierungen und betreffenden Hauptstädten vor Jnsurrectionen entfernter Pro¬ vinzen Sicherheit zu geben. Und dazu welches Monstrum die Verfassung von Eucuta! Mit ihrem vierjährigen Präsidenten, ihren periodisch wiederkehrenden Congreßwahlen auf breitester Basis und ihren übrigen durchaus demokratischen Formen! Diese Verfassung, völlig in die Luft gebaut, hat auch nie und nir¬ gend Ansehn erlaugt; auch der scharfblickende und gegenüber all den anar¬ chischen Elementen nothwendig despotische Bolivar war ihr von Anfang an feindlich gesinnt. Insonderheit sträubte sich gleich von vornherein das Interesse des zur Provinz degradirten Venezuela gegen eine rückhaltlose Annahme. Direkter von den Schwingungen des Weltverkehrs berührt, im Besitze trefflicher Häfen, leichter Verbindungslinien mit den Bildungsländcrn, in unmittelbarer Nähe der Antillen — wurde es schneller auf die Bahn des materiellen Fort¬ schrittes gelenkt und war durch Überlegenheit an Bildung, Handelsverkehr und Industrie auf einen selbstständigen politischen Gang angewiesen. Die Geschichte Kolumbiens von 1821 an ist auf dem Boden Neugrana- das und Quitos ein Labyrinth von Anarchie, Meuterei, Verschwörung, welche nnr der rastlose Geist Bolivars mit eiserner Kraft zu bannen verstand, bis er plötzlich mit seiner Schöpfung auch äußerlich zu Grunde ging. Der Schau¬ platz seiner großartigen.Thätigkeit von 1821 um war Quito und der weitere Süden. Nachdem er Peru und Bolivia den bolivianischen Codex mit seinem lebenslänglichen, unverletzlichen und seinen Nachfolger zu ernennen ermächtig¬ ten Präsidenten aufgezwungen, kehrte er sieggekrönt I82<! mit gleichen Absichten nach Columbien zurück. Die Unruhen daselbst boten willkommnen Anlaß, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/396>, abgerufen am 21.12.2024.