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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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mit einem blutenden Ohr, die Hände mit einem dreifarbigen Seil auf den
Rücken gebunden und dort betend und bettelnd seine alte Geschichte erzählte
und vorgab, der Teufel selbst habe ihm die Hände so zusammengeschnürt,
"ahmen die Nürnberger das Wunder zu ernst, und vor dem angelegentlicher
Kreuzverhör der geistlichen und weltlichen Autoritäten sank die Frechheit des
Mannes; er bekannte, daß er betrogen habe, wurde an den Pranger gestellt
und aus der Stadt verwiesen. Auch die von Nürnberg verfehlten nicht, ihre
Entdeckung in einer Flugschrift zu verbreiten.

Wie groß aber auch die Wichtigkeit war, welche Luthers Lehre und Gemüth
dem Teufel beilegte, der Protestantismus ruinirte den Höllenfürsten doch.
Die Vernunft fing bereits an ihr Recht zu fordern. Die gelehrte Bildung
der deutschen Theologen war sehr einseitig, aber jedes ernste, wissenschaftliche
Arbeiten leitet zu demselben Resultat, es hilft den vernünftigen Zusammen¬
hang der Dinge verstehn. So konnten auch die Reformatoren nicht vermeiden,
über das Verhältniß des Teufels zu Gott und über den Umfang seiner Macht
nachzudenken. Die Resultate, zu denen sie kamen, wichen natürlich im Ein¬
zelnen voneinander ab, im Ganzen ist eine starke rationalistische Strömung
unter der großen Gläubigkeit schon im 16. Jahrhundert unverkennbar. Der
Teufel steht unter der Zucht des Herrn, er darf nur thun, was Gott zuläßt
und erhält nur durch Versehen und Unrecht der Einzelnen Macht über sie. Etwas
Lebendiges kann er nicht schaffen, allerdings aber ist er ein sehr gewandter
"Physikus", der durch seine Schnelligkeit und große Kenntniß der Natur eine
Meuge überraschender Experimente durchsetzen kann. Er ist es, welcher die
Milch fließen läßt, wenn Hexen und Zauberer eine Axt in die Wand hauen
und den Stiel melken. Die Bethörten glauben, sie selbst bewirkten die Sache
durch ihre Kraft, während doch die Mittel, welche der Teufel ihnen vorschreibt,
nur läppische sind. In der Regel sind auch die Künste des Teufels nur
Blendwerke.") -- Es ist ersichtlich, daß solch erklärendes Reflectiren. so tief
in dem Wesen des Protestantismus begründet, mit der Zeit weitergehn und
endlich die ganze Realität des Teufels in Frage stellen mußte; aber freilich
dauerte es fast 200 Jahre, bevor in der Kirche selbst der Glaube an den
Teufel als ein unchristlicher und vernunftwidriger Aberglaube still bei Seite
gelegt wurde. Am populärsten trat die rationalistische Richtung in einem beson¬
dern Zweige der Tcufelsliteratur. hervor, welcher vom 16. bis in das 18. Jahr¬
hundert herein zahlreiche Federn in Bewegung setzte und große Wirkung ausübte.
Es waren kleine Tractate. meist von Theologen abgefaßt, wenige in dramatischer
Form, in denen einzelne Thorheiten und Laster des Jahrhunderts geschildert,
angegriffen und vom Standpunkt der christlichen Moral verurtheilt werden.



") Unter vielem Andern ist hier als lehrreich zu empfehlen: Des Teufels Nebelkappen,
durch Paulum Frisium, Nasje>>d.innen, 1583,

mit einem blutenden Ohr, die Hände mit einem dreifarbigen Seil auf den
Rücken gebunden und dort betend und bettelnd seine alte Geschichte erzählte
und vorgab, der Teufel selbst habe ihm die Hände so zusammengeschnürt,
»ahmen die Nürnberger das Wunder zu ernst, und vor dem angelegentlicher
Kreuzverhör der geistlichen und weltlichen Autoritäten sank die Frechheit des
Mannes; er bekannte, daß er betrogen habe, wurde an den Pranger gestellt
und aus der Stadt verwiesen. Auch die von Nürnberg verfehlten nicht, ihre
Entdeckung in einer Flugschrift zu verbreiten.

Wie groß aber auch die Wichtigkeit war, welche Luthers Lehre und Gemüth
dem Teufel beilegte, der Protestantismus ruinirte den Höllenfürsten doch.
Die Vernunft fing bereits an ihr Recht zu fordern. Die gelehrte Bildung
der deutschen Theologen war sehr einseitig, aber jedes ernste, wissenschaftliche
Arbeiten leitet zu demselben Resultat, es hilft den vernünftigen Zusammen¬
hang der Dinge verstehn. So konnten auch die Reformatoren nicht vermeiden,
über das Verhältniß des Teufels zu Gott und über den Umfang seiner Macht
nachzudenken. Die Resultate, zu denen sie kamen, wichen natürlich im Ein¬
zelnen voneinander ab, im Ganzen ist eine starke rationalistische Strömung
unter der großen Gläubigkeit schon im 16. Jahrhundert unverkennbar. Der
Teufel steht unter der Zucht des Herrn, er darf nur thun, was Gott zuläßt
und erhält nur durch Versehen und Unrecht der Einzelnen Macht über sie. Etwas
Lebendiges kann er nicht schaffen, allerdings aber ist er ein sehr gewandter
„Physikus", der durch seine Schnelligkeit und große Kenntniß der Natur eine
Meuge überraschender Experimente durchsetzen kann. Er ist es, welcher die
Milch fließen läßt, wenn Hexen und Zauberer eine Axt in die Wand hauen
und den Stiel melken. Die Bethörten glauben, sie selbst bewirkten die Sache
durch ihre Kraft, während doch die Mittel, welche der Teufel ihnen vorschreibt,
nur läppische sind. In der Regel sind auch die Künste des Teufels nur
Blendwerke.") — Es ist ersichtlich, daß solch erklärendes Reflectiren. so tief
in dem Wesen des Protestantismus begründet, mit der Zeit weitergehn und
endlich die ganze Realität des Teufels in Frage stellen mußte; aber freilich
dauerte es fast 200 Jahre, bevor in der Kirche selbst der Glaube an den
Teufel als ein unchristlicher und vernunftwidriger Aberglaube still bei Seite
gelegt wurde. Am populärsten trat die rationalistische Richtung in einem beson¬
dern Zweige der Tcufelsliteratur. hervor, welcher vom 16. bis in das 18. Jahr¬
hundert herein zahlreiche Federn in Bewegung setzte und große Wirkung ausübte.
Es waren kleine Tractate. meist von Theologen abgefaßt, wenige in dramatischer
Form, in denen einzelne Thorheiten und Laster des Jahrhunderts geschildert,
angegriffen und vom Standpunkt der christlichen Moral verurtheilt werden.



») Unter vielem Andern ist hier als lehrreich zu empfehlen: Des Teufels Nebelkappen,
durch Paulum Frisium, Nasje>>d.innen, 1583,
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[0390] mit einem blutenden Ohr, die Hände mit einem dreifarbigen Seil auf den Rücken gebunden und dort betend und bettelnd seine alte Geschichte erzählte und vorgab, der Teufel selbst habe ihm die Hände so zusammengeschnürt, »ahmen die Nürnberger das Wunder zu ernst, und vor dem angelegentlicher Kreuzverhör der geistlichen und weltlichen Autoritäten sank die Frechheit des Mannes; er bekannte, daß er betrogen habe, wurde an den Pranger gestellt und aus der Stadt verwiesen. Auch die von Nürnberg verfehlten nicht, ihre Entdeckung in einer Flugschrift zu verbreiten. Wie groß aber auch die Wichtigkeit war, welche Luthers Lehre und Gemüth dem Teufel beilegte, der Protestantismus ruinirte den Höllenfürsten doch. Die Vernunft fing bereits an ihr Recht zu fordern. Die gelehrte Bildung der deutschen Theologen war sehr einseitig, aber jedes ernste, wissenschaftliche Arbeiten leitet zu demselben Resultat, es hilft den vernünftigen Zusammen¬ hang der Dinge verstehn. So konnten auch die Reformatoren nicht vermeiden, über das Verhältniß des Teufels zu Gott und über den Umfang seiner Macht nachzudenken. Die Resultate, zu denen sie kamen, wichen natürlich im Ein¬ zelnen voneinander ab, im Ganzen ist eine starke rationalistische Strömung unter der großen Gläubigkeit schon im 16. Jahrhundert unverkennbar. Der Teufel steht unter der Zucht des Herrn, er darf nur thun, was Gott zuläßt und erhält nur durch Versehen und Unrecht der Einzelnen Macht über sie. Etwas Lebendiges kann er nicht schaffen, allerdings aber ist er ein sehr gewandter „Physikus", der durch seine Schnelligkeit und große Kenntniß der Natur eine Meuge überraschender Experimente durchsetzen kann. Er ist es, welcher die Milch fließen läßt, wenn Hexen und Zauberer eine Axt in die Wand hauen und den Stiel melken. Die Bethörten glauben, sie selbst bewirkten die Sache durch ihre Kraft, während doch die Mittel, welche der Teufel ihnen vorschreibt, nur läppische sind. In der Regel sind auch die Künste des Teufels nur Blendwerke.") — Es ist ersichtlich, daß solch erklärendes Reflectiren. so tief in dem Wesen des Protestantismus begründet, mit der Zeit weitergehn und endlich die ganze Realität des Teufels in Frage stellen mußte; aber freilich dauerte es fast 200 Jahre, bevor in der Kirche selbst der Glaube an den Teufel als ein unchristlicher und vernunftwidriger Aberglaube still bei Seite gelegt wurde. Am populärsten trat die rationalistische Richtung in einem beson¬ dern Zweige der Tcufelsliteratur. hervor, welcher vom 16. bis in das 18. Jahr¬ hundert herein zahlreiche Federn in Bewegung setzte und große Wirkung ausübte. Es waren kleine Tractate. meist von Theologen abgefaßt, wenige in dramatischer Form, in denen einzelne Thorheiten und Laster des Jahrhunderts geschildert, angegriffen und vom Standpunkt der christlichen Moral verurtheilt werden. ») Unter vielem Andern ist hier als lehrreich zu empfehlen: Des Teufels Nebelkappen, durch Paulum Frisium, Nasje>>d.innen, 1583,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/390>, abgerufen am 21.12.2024.