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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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die ausgezeichneten Menschen bis zur Halsstarrigkeit altgläubig werden. Auch
jetzt, auch in diesen Zeiten der Auflösung müssen sehr viele an der Cultur
des Menschengeschlechts arbeiten; aber einige müssen sich schlechterdings ganz
dem schweren, undankbaren, dem gefahrvollen Geschäft widmen, das Uebermaß
dieser Cultur zu bekämpfen. Daß diese vor allen Dingen selbst hochcultivirt
sein müssen, setzte ich als ganz unumgänglich voraus." (23. Dec.) Er selbst
hält für seine Aufgabe, ausschließlich für das Ertmltungsprincip zu wirken.
Schon am 12. Aug. 1805 schreibt er von Adam Müller, den er für den
größten Kopf Deutschlands erklärt: "Ich kenne an ihm nur den einzigen Feh¬
ler, daß er zu wenig einseitig ist. Gewiß ein seltener Fehler! aber wahr ist
es, daß man, um nicht blos groß durch sein reines Dasein zu erscheinen,
sondern auch große Dinge in der wirklichen Welt auszuführen, sei es auch
nur als Schriftsteller, schlechterdings etwas einseitig sein muß, um sich auf
bestimmte Gegenstände mit Vorliebe und Enthusiasmus werfen zu können."
Und eben diese Idee bezeichnet er in heulen höchsten Alter 1827 in einem
merkwürdigen Schreiben an seine ehemalige Geliebte AmaUe v. Jmhoff als
den Schlüssel zum Verständniß seines ganzen Lebens. Die Idee war voll¬
kommen richtig für eine Zeit, wo es bei der entsetzlichen Gefahr darauf an¬
kam, rücksichtslos alle Energie des Geistes nach einer Seite zu wenden. Leider
hat er aber auch nach Beendigung des Kampfes, als es aufzubauen galt,
an dieser jetzt völlig leeren Negation, die zum physischen Jnstinct bei ihm
geworden war. festgehalten und dadurch mehr den Mächten der Zerstörung
in die Hände gearbeitet, als alle revolutionären Schrifsteller.

Je mehr das Unwetter sich seinem Staat näherte, desto zaghafter wurde
Müller. Noch unmer hielt er sich für den Propheten der Zeiten, aber er
wünschte nicht mehr persönlich hervorzutreten. Mit einem gewissen Behagen
ergeht er sich in seinem Brief von 19. Dec. 18"5 in der Ausmalung von
der Schlechtigkeit des Zeitalters. "Nun ist Europa hin; die schönsten Länder
der gesitteten Welt, alle Würde der Völker, alle Mittelpunkte wissenschaftlicher
Bildung, alle Hoffnungen der Humanität sind hin. Ich weiß so wenig als
Sie, ob er über uus lierfallen, oder uns durch seine Begnadigung aviliren
wird; wol aber, daß mit königlichen, tur- und fürstlichen Titeln Präfecturen
sein, daß die Völker theils den Verres Preis gegeben, theils die Seleuciden,
Logiden, Dejotarusse, Attakusse in dem Fall sein werden, je auf den ersten
Wink das Mark der Nationen als Geschenk oder Darlehn darzubringen. Ende
alles edlen, freien, hohen Seins, auch in der Literatur. Also kein Bleiben
in West noch Süd; besonders wenn Freiheit und Gleichgewicht von Jugend
an Losungsworte gewesen. Wäre Attila Bonaparte ein August und nicht ein
Barbar, so könnte ein ruhiger Geschichtschreiber auch in seiner Welt wie Livius
die alte loben; aber weder ist er ein weiser Octavius, noch ich so ein gleich-


die ausgezeichneten Menschen bis zur Halsstarrigkeit altgläubig werden. Auch
jetzt, auch in diesen Zeiten der Auflösung müssen sehr viele an der Cultur
des Menschengeschlechts arbeiten; aber einige müssen sich schlechterdings ganz
dem schweren, undankbaren, dem gefahrvollen Geschäft widmen, das Uebermaß
dieser Cultur zu bekämpfen. Daß diese vor allen Dingen selbst hochcultivirt
sein müssen, setzte ich als ganz unumgänglich voraus." (23. Dec.) Er selbst
hält für seine Aufgabe, ausschließlich für das Ertmltungsprincip zu wirken.
Schon am 12. Aug. 1805 schreibt er von Adam Müller, den er für den
größten Kopf Deutschlands erklärt: „Ich kenne an ihm nur den einzigen Feh¬
ler, daß er zu wenig einseitig ist. Gewiß ein seltener Fehler! aber wahr ist
es, daß man, um nicht blos groß durch sein reines Dasein zu erscheinen,
sondern auch große Dinge in der wirklichen Welt auszuführen, sei es auch
nur als Schriftsteller, schlechterdings etwas einseitig sein muß, um sich auf
bestimmte Gegenstände mit Vorliebe und Enthusiasmus werfen zu können."
Und eben diese Idee bezeichnet er in heulen höchsten Alter 1827 in einem
merkwürdigen Schreiben an seine ehemalige Geliebte AmaUe v. Jmhoff als
den Schlüssel zum Verständniß seines ganzen Lebens. Die Idee war voll¬
kommen richtig für eine Zeit, wo es bei der entsetzlichen Gefahr darauf an¬
kam, rücksichtslos alle Energie des Geistes nach einer Seite zu wenden. Leider
hat er aber auch nach Beendigung des Kampfes, als es aufzubauen galt,
an dieser jetzt völlig leeren Negation, die zum physischen Jnstinct bei ihm
geworden war. festgehalten und dadurch mehr den Mächten der Zerstörung
in die Hände gearbeitet, als alle revolutionären Schrifsteller.

Je mehr das Unwetter sich seinem Staat näherte, desto zaghafter wurde
Müller. Noch unmer hielt er sich für den Propheten der Zeiten, aber er
wünschte nicht mehr persönlich hervorzutreten. Mit einem gewissen Behagen
ergeht er sich in seinem Brief von 19. Dec. 18«5 in der Ausmalung von
der Schlechtigkeit des Zeitalters. „Nun ist Europa hin; die schönsten Länder
der gesitteten Welt, alle Würde der Völker, alle Mittelpunkte wissenschaftlicher
Bildung, alle Hoffnungen der Humanität sind hin. Ich weiß so wenig als
Sie, ob er über uus lierfallen, oder uns durch seine Begnadigung aviliren
wird; wol aber, daß mit königlichen, tur- und fürstlichen Titeln Präfecturen
sein, daß die Völker theils den Verres Preis gegeben, theils die Seleuciden,
Logiden, Dejotarusse, Attakusse in dem Fall sein werden, je auf den ersten
Wink das Mark der Nationen als Geschenk oder Darlehn darzubringen. Ende
alles edlen, freien, hohen Seins, auch in der Literatur. Also kein Bleiben
in West noch Süd; besonders wenn Freiheit und Gleichgewicht von Jugend
an Losungsworte gewesen. Wäre Attila Bonaparte ein August und nicht ein
Barbar, so könnte ein ruhiger Geschichtschreiber auch in seiner Welt wie Livius
die alte loben; aber weder ist er ein weiser Octavius, noch ich so ein gleich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/356>, abgerufen am 21.12.2024.