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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Kaisern nicht gelungen, die Neichseinheit herzustellen; die Hauptgründe dieses
Unglücks seien die Reformation, der westfälische Frieden und der sieben¬
jährige Krieg, Die Eifersucht Oestreichs gegen das durch Usurpation in die
Höhe gekommene Preußen sei vollkommen gerechtfertigt, aber "jetzt bleibt uns
nur übrig, in der Quelle des gemeinschaftlichen Verderbens die Mittel der
gemeinschaftlichen Rettung zu suchen. Eine treue Verbindung zwischen Oest¬
reich und Preußen ist Deutschlands letzte und gleichsam sterbende Hoffnung,
Durch alles, was Oestreich verlor, daß Preußen das werden konnte, was es
ist, durch wiederholte und blutige Kriege, durch ein halbes Jahrhundert von
offenen oder versteckten Befehdungen, von mannigfaltig streitenden Interesse,
von wesentlich feindseliger Politik, von Mißtrauen, Eifersucht und Erbitterung,
sur sich zwischen diesen beiden Mächten wie eine eherne Mauer gethürmt.
Aber jetzt ist die Frage nicht mehr, wie viel Schritte von einer, und wie viel
von der andern Seite zu thun sind, um in dem Punkte zusammenzutreffen
wo die gemeinschaftliche Rettung liegt. Im Angesicht der jetzigen Gefahr
wird der der Weiseste sein, der das Vergangene am vollkommensten vergißt,"
Man dürfe sich nicht beeilen, mit den an Frankreich abgefallenen Klein-
staaten Frieden zu schließen; es sei vielmehr die günstigste Gelegenheit, ihr
Land als ein erobertes zu behandeln. Die wahre Einheit Deutsch¬
lands ist unter den gegenwärtigen Umständen die Theilung
Deutschlands zwischen Oestreich und Preußen, Diese Denkschrift
sandte Gentz 14. Nov. 1804 an Müller, Er gesteht seine Abneigung
gegen die Reformation und eine immer weiter greifende Ueberzeugung
von der Schädlichkeit derselben für die wahre Bildung; er glaubt, daß es
für Deutschland unendlich vorteilhafter gewesen wäre, in einen Staats¬
körper vereinigt zu werden. "Ich bin auf dem Wege dieser traurigen Be¬
trachtungen schon so weit fortgegangen, daß es nur zweifelhaft geworden ist,
ob man die ganze Geschichte von Deutschland auch je noch aus einem richtigen
Gesichtspunkt behandelt hat. Ich weiß wohl, daß die Regenten des östreichischen
Hauses es selten oder nie verdienten. Beherrscher von Deutschland zu sein,
wovon nur das einer der stärksten Beweise scheint, das; sie es nicht geworden
sind. Aber ich kann nicht glauben, daß man Ursache habe, über das Mi߬
lingen ihrer, wenn auch noch so schlecht angelegten Plane zu frohlocken; auch
ist mir gewiß sehr gleichgiltig. ob es einem Habsburger oder Baier, oder
Hohenzoller, oder Hohenstaufen gelungen wäre, das Reich unter einen Hut zu
bringen; ich stelle mich auf einen östreichischen Standpunkt, weil dies Haus
die meiste Wahrscheinlichkeit hatte, zu vollbringen, was mir das Wünschens-
würdigste scheint," Aber freilich "wie die Sachen nun stehn, wäre es Raserei,
aus jenen unwiederbringlich verlorenen Zweck je wieder zurückkommen zu
wollen." -- Bekanntlich kam die romantische Schule zu demselben Resultat


Kaisern nicht gelungen, die Neichseinheit herzustellen; die Hauptgründe dieses
Unglücks seien die Reformation, der westfälische Frieden und der sieben¬
jährige Krieg, Die Eifersucht Oestreichs gegen das durch Usurpation in die
Höhe gekommene Preußen sei vollkommen gerechtfertigt, aber „jetzt bleibt uns
nur übrig, in der Quelle des gemeinschaftlichen Verderbens die Mittel der
gemeinschaftlichen Rettung zu suchen. Eine treue Verbindung zwischen Oest¬
reich und Preußen ist Deutschlands letzte und gleichsam sterbende Hoffnung,
Durch alles, was Oestreich verlor, daß Preußen das werden konnte, was es
ist, durch wiederholte und blutige Kriege, durch ein halbes Jahrhundert von
offenen oder versteckten Befehdungen, von mannigfaltig streitenden Interesse,
von wesentlich feindseliger Politik, von Mißtrauen, Eifersucht und Erbitterung,
sur sich zwischen diesen beiden Mächten wie eine eherne Mauer gethürmt.
Aber jetzt ist die Frage nicht mehr, wie viel Schritte von einer, und wie viel
von der andern Seite zu thun sind, um in dem Punkte zusammenzutreffen
wo die gemeinschaftliche Rettung liegt. Im Angesicht der jetzigen Gefahr
wird der der Weiseste sein, der das Vergangene am vollkommensten vergißt,"
Man dürfe sich nicht beeilen, mit den an Frankreich abgefallenen Klein-
staaten Frieden zu schließen; es sei vielmehr die günstigste Gelegenheit, ihr
Land als ein erobertes zu behandeln. Die wahre Einheit Deutsch¬
lands ist unter den gegenwärtigen Umständen die Theilung
Deutschlands zwischen Oestreich und Preußen, Diese Denkschrift
sandte Gentz 14. Nov. 1804 an Müller, Er gesteht seine Abneigung
gegen die Reformation und eine immer weiter greifende Ueberzeugung
von der Schädlichkeit derselben für die wahre Bildung; er glaubt, daß es
für Deutschland unendlich vorteilhafter gewesen wäre, in einen Staats¬
körper vereinigt zu werden. „Ich bin auf dem Wege dieser traurigen Be¬
trachtungen schon so weit fortgegangen, daß es nur zweifelhaft geworden ist,
ob man die ganze Geschichte von Deutschland auch je noch aus einem richtigen
Gesichtspunkt behandelt hat. Ich weiß wohl, daß die Regenten des östreichischen
Hauses es selten oder nie verdienten. Beherrscher von Deutschland zu sein,
wovon nur das einer der stärksten Beweise scheint, das; sie es nicht geworden
sind. Aber ich kann nicht glauben, daß man Ursache habe, über das Mi߬
lingen ihrer, wenn auch noch so schlecht angelegten Plane zu frohlocken; auch
ist mir gewiß sehr gleichgiltig. ob es einem Habsburger oder Baier, oder
Hohenzoller, oder Hohenstaufen gelungen wäre, das Reich unter einen Hut zu
bringen; ich stelle mich auf einen östreichischen Standpunkt, weil dies Haus
die meiste Wahrscheinlichkeit hatte, zu vollbringen, was mir das Wünschens-
würdigste scheint," Aber freilich „wie die Sachen nun stehn, wäre es Raserei,
aus jenen unwiederbringlich verlorenen Zweck je wieder zurückkommen zu
wollen." — Bekanntlich kam die romantische Schule zu demselben Resultat


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[0349] Kaisern nicht gelungen, die Neichseinheit herzustellen; die Hauptgründe dieses Unglücks seien die Reformation, der westfälische Frieden und der sieben¬ jährige Krieg, Die Eifersucht Oestreichs gegen das durch Usurpation in die Höhe gekommene Preußen sei vollkommen gerechtfertigt, aber „jetzt bleibt uns nur übrig, in der Quelle des gemeinschaftlichen Verderbens die Mittel der gemeinschaftlichen Rettung zu suchen. Eine treue Verbindung zwischen Oest¬ reich und Preußen ist Deutschlands letzte und gleichsam sterbende Hoffnung, Durch alles, was Oestreich verlor, daß Preußen das werden konnte, was es ist, durch wiederholte und blutige Kriege, durch ein halbes Jahrhundert von offenen oder versteckten Befehdungen, von mannigfaltig streitenden Interesse, von wesentlich feindseliger Politik, von Mißtrauen, Eifersucht und Erbitterung, sur sich zwischen diesen beiden Mächten wie eine eherne Mauer gethürmt. Aber jetzt ist die Frage nicht mehr, wie viel Schritte von einer, und wie viel von der andern Seite zu thun sind, um in dem Punkte zusammenzutreffen wo die gemeinschaftliche Rettung liegt. Im Angesicht der jetzigen Gefahr wird der der Weiseste sein, der das Vergangene am vollkommensten vergißt," Man dürfe sich nicht beeilen, mit den an Frankreich abgefallenen Klein- staaten Frieden zu schließen; es sei vielmehr die günstigste Gelegenheit, ihr Land als ein erobertes zu behandeln. Die wahre Einheit Deutsch¬ lands ist unter den gegenwärtigen Umständen die Theilung Deutschlands zwischen Oestreich und Preußen, Diese Denkschrift sandte Gentz 14. Nov. 1804 an Müller, Er gesteht seine Abneigung gegen die Reformation und eine immer weiter greifende Ueberzeugung von der Schädlichkeit derselben für die wahre Bildung; er glaubt, daß es für Deutschland unendlich vorteilhafter gewesen wäre, in einen Staats¬ körper vereinigt zu werden. „Ich bin auf dem Wege dieser traurigen Be¬ trachtungen schon so weit fortgegangen, daß es nur zweifelhaft geworden ist, ob man die ganze Geschichte von Deutschland auch je noch aus einem richtigen Gesichtspunkt behandelt hat. Ich weiß wohl, daß die Regenten des östreichischen Hauses es selten oder nie verdienten. Beherrscher von Deutschland zu sein, wovon nur das einer der stärksten Beweise scheint, das; sie es nicht geworden sind. Aber ich kann nicht glauben, daß man Ursache habe, über das Mi߬ lingen ihrer, wenn auch noch so schlecht angelegten Plane zu frohlocken; auch ist mir gewiß sehr gleichgiltig. ob es einem Habsburger oder Baier, oder Hohenzoller, oder Hohenstaufen gelungen wäre, das Reich unter einen Hut zu bringen; ich stelle mich auf einen östreichischen Standpunkt, weil dies Haus die meiste Wahrscheinlichkeit hatte, zu vollbringen, was mir das Wünschens- würdigste scheint," Aber freilich „wie die Sachen nun stehn, wäre es Raserei, aus jenen unwiederbringlich verlorenen Zweck je wieder zurückkommen zu wollen." — Bekanntlich kam die romantische Schule zu demselben Resultat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/349>, abgerufen am 21.12.2024.