Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.in der That war für ihn in der Schweiz keine Stelle mehr, er hatte es mit Als im Herbst l800 der Hofrath Denis, der bekannte Barde und Ueber- in der That war für ihn in der Schweiz keine Stelle mehr, er hatte es mit Als im Herbst l800 der Hofrath Denis, der bekannte Barde und Ueber- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/186731"/> <p xml:id="ID_732" prev="#ID_731"> in der That war für ihn in der Schweiz keine Stelle mehr, er hatte es mit<lb/> allen Parteien verdorben. „Ich ergebe mich der Führung Gottes, wenn er<lb/> mich mich in den Tod leitete; wo würe der Verlust? ^ Ich habe meine mir<lb/> vorgezeichnete Laufbahn zwar nicht erfüllt; aber läßt sich bei diesen Weltum-<lb/> ständcn hoffen, das; ichs konnte? und ich bin des Mißverständnisses, des Ver-<lb/> kennens. des Reckens, der Kleingeisterei und Großbüberci übersatt." 1. Sept.<lb/> 1798) „Wäre unser geliebtes Helvetien für immer verloren, dann freilich<lb/> würde unschwer sein, Leute zusammenzubringen, um jenseit des Meeres<lb/> ein neues zu gründen." (12. Juni 1798) In der vollständigen Rathlosigkeit<lb/> über das, was zu thun sei, überläßt er sich der Rhetorik. „Ich verirre mich<lb/> immer mehr in die dunklen Regionen, seit einiger Zeit habe ich das Weis¬<lb/> sagen an mir .... ja ich habe eine Schrift angefangen, welche in diese»»<lb/> Geist alles warnend, ja schreckend ankündigt: Cassandra. oder über die<lb/> Natur und Ursachen des Falls der bisherigen europäischen Staaten. Es ist<lb/> über mich gekommen; ich konnte nicht länger schweigen, mußte zeugen .. . .<lb/> Uebrigens weiß ich, daß es nichts helfen wird l sie haben Augen und sehen<lb/> nicht; und da alle Ideen durch die Sinne kommen, was ist zu thun, wo sie<lb/> ganz verwachsen sind! Ein fürchterlicher elektrischer Schlag wird das caput,<lb/> moiwum wieder aufrühren, aber das Gehäuse, worin es ist, zersprengen."<lb/> -2. Aug. 1798) „Welche Aussicht! In dem uralten Bau der Staaten lausen<lb/> Rasende, wie einst in Tschilminar der berauschte Sohn Philipps, mit Fackeln<lb/> umher; bald brennt hier ein Thurm empor, oder bricht dort eine Zinne her¬<lb/> ab; bis alles in Schutt sinkt. Dann wird die Wohnung der Freude und<lb/> Pracht von wilden Thieren besessen, die aus den eisernen Thoren, hinter die<lb/> Gog und Magog verschlossen waren, hervvrstürmen; Verwilderung wird das<lb/> Ende sein, und die neue Reihe Entwicklungen mannigfaltiger Cultur jenseit<lb/> Thule wieder beginnen und herab, über Polynesien hin, in fernen Jahrhun¬<lb/> derten, etwa im alten Orient, wieder mit unserer Halbkugel den Faden an¬<lb/> knüpfen." — In dieser unerquicklichen Weise zieht sich die Korrespondenz über<lb/> die schweizer Angelegenheiten bis tief in das Jahr 1801 namentlich mit Füßli<lb/> und Bonstetten. Seine Freunde konnten ihn nicht verstehen, weil er in<lb/> jedem Reformversuch revolutionäre Bestrebungen witterte und das Heil nur<lb/> in der unbedingten Rückkehr zum Alten sah.</p><lb/> <p xml:id="ID_733" next="#ID_734"> Als im Herbst l800 der Hofrath Denis, der bekannte Barde und Ueber-<lb/> setzer des Ossian starb, wurde Müller an seiner Statt zum ersten Custos an<lb/> der Hofbibliothek ernannt. Im ersten Augenblick empfand er über diese rein<lb/> literarische Stellung die lebhafteste Freude, aber bald scheint man gegen ihn.<lb/> an dessen Bekehrung zum Katholicismus man allmälig verzweifelte, wieder<lb/> satter geworden zu sein. Man verbot ihm. auch im Ausland etwas drucken<lb/> zu lassen, ohne es der wiener Censur vorgelegt zu haben, und er schreibt an</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0319]
in der That war für ihn in der Schweiz keine Stelle mehr, er hatte es mit
allen Parteien verdorben. „Ich ergebe mich der Führung Gottes, wenn er
mich mich in den Tod leitete; wo würe der Verlust? ^ Ich habe meine mir
vorgezeichnete Laufbahn zwar nicht erfüllt; aber läßt sich bei diesen Weltum-
ständcn hoffen, das; ichs konnte? und ich bin des Mißverständnisses, des Ver-
kennens. des Reckens, der Kleingeisterei und Großbüberci übersatt." 1. Sept.
1798) „Wäre unser geliebtes Helvetien für immer verloren, dann freilich
würde unschwer sein, Leute zusammenzubringen, um jenseit des Meeres
ein neues zu gründen." (12. Juni 1798) In der vollständigen Rathlosigkeit
über das, was zu thun sei, überläßt er sich der Rhetorik. „Ich verirre mich
immer mehr in die dunklen Regionen, seit einiger Zeit habe ich das Weis¬
sagen an mir .... ja ich habe eine Schrift angefangen, welche in diese»»
Geist alles warnend, ja schreckend ankündigt: Cassandra. oder über die
Natur und Ursachen des Falls der bisherigen europäischen Staaten. Es ist
über mich gekommen; ich konnte nicht länger schweigen, mußte zeugen .. . .
Uebrigens weiß ich, daß es nichts helfen wird l sie haben Augen und sehen
nicht; und da alle Ideen durch die Sinne kommen, was ist zu thun, wo sie
ganz verwachsen sind! Ein fürchterlicher elektrischer Schlag wird das caput,
moiwum wieder aufrühren, aber das Gehäuse, worin es ist, zersprengen."
-2. Aug. 1798) „Welche Aussicht! In dem uralten Bau der Staaten lausen
Rasende, wie einst in Tschilminar der berauschte Sohn Philipps, mit Fackeln
umher; bald brennt hier ein Thurm empor, oder bricht dort eine Zinne her¬
ab; bis alles in Schutt sinkt. Dann wird die Wohnung der Freude und
Pracht von wilden Thieren besessen, die aus den eisernen Thoren, hinter die
Gog und Magog verschlossen waren, hervvrstürmen; Verwilderung wird das
Ende sein, und die neue Reihe Entwicklungen mannigfaltiger Cultur jenseit
Thule wieder beginnen und herab, über Polynesien hin, in fernen Jahrhun¬
derten, etwa im alten Orient, wieder mit unserer Halbkugel den Faden an¬
knüpfen." — In dieser unerquicklichen Weise zieht sich die Korrespondenz über
die schweizer Angelegenheiten bis tief in das Jahr 1801 namentlich mit Füßli
und Bonstetten. Seine Freunde konnten ihn nicht verstehen, weil er in
jedem Reformversuch revolutionäre Bestrebungen witterte und das Heil nur
in der unbedingten Rückkehr zum Alten sah.
Als im Herbst l800 der Hofrath Denis, der bekannte Barde und Ueber-
setzer des Ossian starb, wurde Müller an seiner Statt zum ersten Custos an
der Hofbibliothek ernannt. Im ersten Augenblick empfand er über diese rein
literarische Stellung die lebhafteste Freude, aber bald scheint man gegen ihn.
an dessen Bekehrung zum Katholicismus man allmälig verzweifelte, wieder
satter geworden zu sein. Man verbot ihm. auch im Ausland etwas drucken
zu lassen, ohne es der wiener Censur vorgelegt zu haben, und er schreibt an
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