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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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allein zur herrschenden, sondern zur einzig zulässigen Religion erhoben Wächter
idiä. S. 1K9j. Es regierten nun zwar von 1733 -- 1797, also um ein Gutes
länger als ein halbes Jahrhundert, katholische Landesherrn; aber der alte,
völlig ausschließende Charakter der evangelisch-lutherischen Konfession blieb
bestehen trotz aller Versuche. Ein Privatgottesdienst war das Einzige, was
mun dem Herzog zugestand und Katholiken konnten gesetzlich nicht einmal zu
Beisitzern in einer Gemeinde, geschweige denn zu Bürgern ausgenommen werden.
(Wächter ilM. S. 389 ff.) Ein protestantischer Fürst sollte es sein, der nach¬
malige König Friedrich, welcher den Weg der religiösen Duldung einschlug
und schließlich, nachdem allerdings infolge der großen neuen Gebietserwerbungen
beinahe ein Drittheil seiner Unterthanen aus Katholiken bestand, durch das
Neligionscdict von 1806 die beiden evangelischen und die katholische Kirche
im gauzen Lande rechtlich einander gleichstellte. Damit war das Verhältniß
der Kirchen zueinander gegeben. Die Grundlagen für das Verhältniß der
Kirche zum Staate, die Grenzen zwischen den Gebieten dieser beiden großen
sittlichen Organismen gab im Wesentlichen richtig die Verfassungsurkunde von
1819 K K. 70--73, 78, 79. Der Kirche kommt volle Freiheit zu in Anordnung
ihrer innern Angelegenheiten; aber durchweg steht sie unter der obersthohcit-
lichen Aufsicht des Staatsoberhaupts. Der König hat das Recht der Ein¬
sicht und Genehmigung vor Verkündigung oder Vollzug jedweder Verordnung
von Seiten der Kirchengewalt, von ihm hängt die Besetzung geistlicher Aemter
ab und die Kirchendiener sind in Ansehung ihrer bürgerlichen Handlungen und
Verhältnisse der weltlichen Obrigkeit unterworfen. Nun ist im vorigen Jahr
die schon erwähnte Vereinbarung erfolgt, die das landesherrliche Planet auf¬
hebt, einen durchaus freien Verkehr zwischen dem römischen Stuhle und den
würtembergischen Unterthanen katholischer Confession einräumt, eine kirchliche
Gerichtsbarkeit im Sinne kanonischer Anschauungen wiederherstellt; ja eine
Strafgewalt selbst über Laien zuläßt, dem Bischof die weitgehendsten Rechte in
Schulsachen zugesteht, so daß dieser z. B. den Professoren an der katholisch¬
theologischen Facultät zu Tübingen, die Staatsdienerrechtc genießen, von jetzt
an nach freiem Ermessen die Befugniß, Vorlesungen zu halten, soll entziehen
können -- eine Vereinbarung endlich, welche die weitgreifendsten Einräumungen
macht hinsichtlich des Kirchenvermögens und der milden Stiftungen sowie hin¬
sichtlich der Besetzung von Kirchenämtern und die Auslassung des Eids der
Bischöfe auf die Stantsgesetze gutheißt. In diesen Bestimmungen liegt eine
Beseitigung von zu Recht bestehenden Gesetzen des Staates. Da aber
nach K. 85 der Verfassungsurkunde "ohne Einwilligung der Stände durch Ver¬
träge mit Auswärtigen kein Landesgesetz abgeändert oder aufgehoben werden
kann: so sind jedenfalls einzelne Bestimmungen dieser Vereinbarung den
Kanunern zum Behuf der verfassungsmäßigen Zustimmung vorzulegen.


allein zur herrschenden, sondern zur einzig zulässigen Religion erhoben Wächter
idiä. S. 1K9j. Es regierten nun zwar von 1733 — 1797, also um ein Gutes
länger als ein halbes Jahrhundert, katholische Landesherrn; aber der alte,
völlig ausschließende Charakter der evangelisch-lutherischen Konfession blieb
bestehen trotz aller Versuche. Ein Privatgottesdienst war das Einzige, was
mun dem Herzog zugestand und Katholiken konnten gesetzlich nicht einmal zu
Beisitzern in einer Gemeinde, geschweige denn zu Bürgern ausgenommen werden.
(Wächter ilM. S. 389 ff.) Ein protestantischer Fürst sollte es sein, der nach¬
malige König Friedrich, welcher den Weg der religiösen Duldung einschlug
und schließlich, nachdem allerdings infolge der großen neuen Gebietserwerbungen
beinahe ein Drittheil seiner Unterthanen aus Katholiken bestand, durch das
Neligionscdict von 1806 die beiden evangelischen und die katholische Kirche
im gauzen Lande rechtlich einander gleichstellte. Damit war das Verhältniß
der Kirchen zueinander gegeben. Die Grundlagen für das Verhältniß der
Kirche zum Staate, die Grenzen zwischen den Gebieten dieser beiden großen
sittlichen Organismen gab im Wesentlichen richtig die Verfassungsurkunde von
1819 K K. 70—73, 78, 79. Der Kirche kommt volle Freiheit zu in Anordnung
ihrer innern Angelegenheiten; aber durchweg steht sie unter der obersthohcit-
lichen Aufsicht des Staatsoberhaupts. Der König hat das Recht der Ein¬
sicht und Genehmigung vor Verkündigung oder Vollzug jedweder Verordnung
von Seiten der Kirchengewalt, von ihm hängt die Besetzung geistlicher Aemter
ab und die Kirchendiener sind in Ansehung ihrer bürgerlichen Handlungen und
Verhältnisse der weltlichen Obrigkeit unterworfen. Nun ist im vorigen Jahr
die schon erwähnte Vereinbarung erfolgt, die das landesherrliche Planet auf¬
hebt, einen durchaus freien Verkehr zwischen dem römischen Stuhle und den
würtembergischen Unterthanen katholischer Confession einräumt, eine kirchliche
Gerichtsbarkeit im Sinne kanonischer Anschauungen wiederherstellt; ja eine
Strafgewalt selbst über Laien zuläßt, dem Bischof die weitgehendsten Rechte in
Schulsachen zugesteht, so daß dieser z. B. den Professoren an der katholisch¬
theologischen Facultät zu Tübingen, die Staatsdienerrechtc genießen, von jetzt
an nach freiem Ermessen die Befugniß, Vorlesungen zu halten, soll entziehen
können — eine Vereinbarung endlich, welche die weitgreifendsten Einräumungen
macht hinsichtlich des Kirchenvermögens und der milden Stiftungen sowie hin¬
sichtlich der Besetzung von Kirchenämtern und die Auslassung des Eids der
Bischöfe auf die Stantsgesetze gutheißt. In diesen Bestimmungen liegt eine
Beseitigung von zu Recht bestehenden Gesetzen des Staates. Da aber
nach K. 85 der Verfassungsurkunde „ohne Einwilligung der Stände durch Ver¬
träge mit Auswärtigen kein Landesgesetz abgeändert oder aufgehoben werden
kann: so sind jedenfalls einzelne Bestimmungen dieser Vereinbarung den
Kanunern zum Behuf der verfassungsmäßigen Zustimmung vorzulegen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/310>, abgerufen am 21.12.2024.